© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/10 02. Juli 2010

Menschen zweiter Klasse
Bürgerrechte: Wer die falsche Weltanschauung hat, muß mit Diskriminierung rechnen
Martin Lichtmesz

Jedermann kennt Voltaires zum Klischee gewordenen Satz: „Ich hasse jedes Wort von dem, was Sie sagen; aber ich werde bis zu meinem Ende dafür kämpfen, daß Sie es auch weiterhin sagen dürfen.“ Zitiert wird er mit Vorliebe von denen, die wegen ihrer Meinung in Bedrängnis geraten sind und nun gleichsam an den Edelmut vermittelnder Dritter oder gar ihrer Gegenspieler appellieren – in der Hoffnung, daß das Pathos der Aufklärung immer noch ausreichend moralische Zugkraft hat. Selten wird diese abgegriffene Münze von denen ins Spiel gebracht, die mit ihrer Meinung in einer sicheren Position sitzen.

Schon Voltaire war eher ein Poseur als ein Idealist. Mag so mancher tatsächlich an die schönen Worte und allgemeinen Erklärungen glauben, in der Praxis ist es vor allem das Eigeninteresse, das zum Widerspruch antreibt. Denn wer will schon für häßliche Meinungen von häßlichen Menschen mit häßlichen Absichten den Kopf hinausstecken?

Das gilt besonders, wenn man einen gewissen Konsens hinter sich weiß, wer denn nun zu diesen häßlichen Menschen zählen soll. Wer ihn nicht mitmacht, wird schnell selbst als häßlich angesehen, und wo käme man denn hin, wenn Unmenschen nun auch noch Menschenrechte bekommen?

Wie immer steckt der Teufel im Detail, und es bedarf wachsamer Augen, um die Ritzen zu erkennen, durch die er eindringen kann. Auch die in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift Merkur erschienene Polemik „Sonderrecht gegen Neonazis?“ von Horst Meier ist wohl nicht von Selbstlosigkeit motiviert. Allen jenen, die darüber jubeln, daß seit 2005 endlich eine juristische Handhabe vorliegt, um den alljährlichen „Rudolf-Heß-Gedenkmarsch“ in Wunsiedel zu unterbinden, stellt der Jurist Meier die Frage, ob sie sich damit nicht ein veritables Kuckucksei ins Nest gelegt haben. Mit der 2005 eingeführten Verschärfung des sogenannten „Volksverhetzungsparagraphen“ 130 Strafgesetzbuch, wonach nun nicht mehr allein „Holocaustleugner“ mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen haben, sondern wer überhaupt die „nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt“, werde „ausgerechnet der Meinungsfreiheit, dem Zentrum der Kommunikationsgrundrechte, eine Art Ausnahmerecht unterschoben“. Durch diese schleichende „Ideologisierung des Grundrechtes“ und die Abstempelung von „Neonazis zu Grundrechtssubjekten zweiter Klasse“ würden auf lange Sicht „schwere Kollateralschäden für die Bürgerrechte“ entstehen.

Das betrifft natürlich in erster Linie jene, die rechts von der Mitte oder auch nur rechts davon stehen, was links als politisch, gesellschaftlich und juristisch akzeptabel gilt. Denn „Vergangenheitsbewältigungsverweigerer“ etwa, wie Meier formuliert, kann man auf vielerlei Art und mit gutem Grund sein, zumal wenn man erkannt hat, „wie heillos sich Vergangenheitsbewältigung und juristisches Handwerk verwirren“.

Ebenso gibt es viele und gute Gründe, auch als Rechter oder Konservativer einen Mann wie den NPD-Vorsitzenden Udo Voigt für einen häßlichen Menschen mit häßlichen Meinungen zu halten. Der Direktor eines 4-Sterne-Hotels in Bad Saarow befand Voigt gar für so häßlich, daß durch dessen Anwesenheit das „Wohlfühlgefühl“ seiner Gäste schwer beeinträchtigt würde, und erteilte ihm mit explizitem Bezug auf seine politische Tätigkeit Hausverbot. Voigt sah das als Angriff auf seine Persönlichkeitsrechte und als Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungs-, also das „Antidiskriminierungs“-Gesetz, dessen Paragraph 1 als Ziel angibt, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“

Daß nun ausgerechnet Voigt auf der Grundlage des AGG vor Gericht zieht, haben viele Beobachter als Provokation oder als Treppenwitz empfunden. Man muß nun keineswegs NPD-Anhänger sein, um das AGG als problematisch zu empfinden, insofern es eine Drittwirkung zwischen Bürgern in Kraft setzt. Ein Kneipenbesitzer, der Katholiken verabscheut, müßte also aufgrund des Gleichbehandlungsgebotes trotzdem einen katholischen Priester in seine Kneipe lassen.

In den USA hat der libertäre Politiker Rand Paul unlängst eine Kontroverse ausgelöst, weil er den „Civil Rights Act“ von 1964, der ähnliche Antidiskriminierungsbestimmungen enthält, auf der Grundlage der Vertragsfreiheit attackierte. Insofern sollte theoretisch auch ein Konservativer kein Problem haben, wenn ein Hotelbesitzer von seinem Hausrecht Gebrauch macht. Er wird auch kein Problem mit dem Kreuzberger Dönerbuden-Besitzer haben, der Schwarzen generell Hausverbot erteilte, weil er keine afrikanischen Drogendealer in seinem Laden haben will, da deren Anwesenheit zu geschäftsschädigenden Polizeirazzien führte. Das Gesetz steht hier allerdings gegen ihn, und als ein Kunde Anzeige erstattete, zog er das Hausverbot zurück – worauf prompt die Razzien wieder einsetzten.

Im Falle Udo Voigt entschied das Landgericht Frankfurt/Oder gegen den Kläger, und in der offiziellen Begründung des Urteils zeigt sich deutlich die ganze Crux der Problematik. Denn damit die natürlich von Anfang an politisch einschlägig motivierten Bestimmungen des AGG nicht nach hinten losgehen, wurde dessen Paragraph 19 derart angepaßt, daß zumindest die politischen Neger draußen bleiben müssen.

Nach Auskunft des Landgerichts sei das AGG „zwar grundsätzlich anwendbar, soweit hier eine Diskriminierung wegen einer Weltanschauung, die auch politische Überzeugungen umfassen könnte, vorliegen würde. Aus der konkret einschlägigen Vorschrift aber war vom Gesetzgeber ganz bewußt der Begriff der ‘Weltanschauung’ gestrichen worden, weil ‘die Gefahr (besteht), daß z.B. Anhänger rechtsradikalen Gedankenguts aufgrund der Vorschrift versuchen, sich Zugang zu Geschäften zu verschaffen, die ihnen aus anerkennenswerten Gründen verweigert wurden.’“

Worin nun genau diese „anerkennenswerten Gründe“ bestehen, mag sich jeder selbst ausmalen – man kann davon ausgehen, daß sie sich finden werden und daß sie auch nicht bei den Parias der NPD haltmachen werden. Anhänger und Funktionäre anderer rechter Bewegungen können davon schon Lieder singen. Die Tendenzen, die sich hier abzeichnen, laufen darauf hinaus, nicht nur den Ausschluß aus den Debatten, sondern auch die gesellschaftliche Stigmatisierung von Meinungsabweichlern gesetzlich zu untermauern – und zwar nur, versteht sich, in eine politische Richtung.

Horst Meier fordert in dieser Lage, die „Bürgerrechte der geschriebenen Verfassung radikal ernst zu nehmen.“ Angesichts der Aporien, die nun auch dank der Causa Voigt sichtbar werden, wird das nicht einfach sein, und das schon wegen des weitverbreiteten Bedürfnisses nach allgemeiner Wellness der Diskurse.

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