© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/10 02. Juli 2010

Einwurf: Notizen zur Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika, Folge acht
Erster Gipfelsturm einer goldenen Generation
Arthur Hiller

Für die Engländer war es wohl die letzte Chance einer in die Jahre gekommenen „goldenen Generation“, den WM-Pokal in die Heimat zu entführen. Die nur selten durchbrochene Tradition, daß das Mutterland des Fußballs in Entscheidungsspielen gegen die „Krauts“ den kürzeren zieht, hat jedoch auch in Südafrika eine Fortsetzung erfahren.

Der 4:1-Rekordsieg von Schweinsteiger, Özil, Müller & Co. geht in die Annalen dieser ganz besonderen Rivalität als eine doppelte Revanche ein. Das berüchtigte Wembley-Tor, das die deutsche Endspielniederlage von 1966 auf den Weg brachte, ist egalisiert. Ausgeglichen ist zudem das 1:5-Debakel, das die Deutschen in der Qualifikation für die WM 2002 im Münchner Olympiastadion erlitten.

Der Wermutstropfen, daß der Schiedsrichter einen regulären Treffer der Engländer übersah, kann die deutsche Euphorie über das Weiterkommen nicht vergällen, weil das Ergebnis vielleicht nicht in der Höhe, aber doch in der Tendenz die Machtverhältnisse auf dem Platz widerspiegelte. Die „Three Lions“ setzten ihre Widersacher zwar über lange Minuten unter Druck. Die Deutschen meisterten die Situation aber in der Defensive und zeigten sich zu blitzartig vorgetragenen Gegenattacken mit erfolgreichem Abschluß fähig.

Was der deutliche Auftaktsieg gegen Australien erhoffen ließ und durch die folgenden Gruppenspiele gegen Serbien und Ghana in Frage gestellt schien, ist nach der Galavorstellung von Bloemfontein nicht mehr von der Hand zu weisen: Der Kader, den Joachim Löw für die WM zusammengestellt hat, verfügt über ein spielerisches Potential, das man in deutschen Nationalmannschaften fast zwei Jahrzehnte lang vergeblich suchte. Es handelt sich womöglich um den ersten furiosen Auftritt einer „goldenen Generation“ im DFB-Trikot, die noch am Anfang ihrer Karriere steht und für zukünftige Turniere manches erhoffen läßt. Sollte der Griff nach den Sternen jetzt nicht bereits auf Anhieb gelingen, dürfte sich daher der Katzenjammer der Deutschen in Grenzen halten. Anders als bei den Engländern ist Südafrika für sie keine Abschiedsvorstellung.

Wird nun auch noch am kommenden Samstag das vorweggenommene Endspiel gegen Argentinien gewonnen, könnte das neuerliche Sommermärchen sogar jene Vollendung finden, die 2006 ausblieb. Der charismatische Beelzebub Diego Maradona hat zwar ein Team geformt, das bisher wie kein anderes seine Gegner zu dominieren verstand und dabei doch den Eindruck vermittelte, zu noch mehr imstande zu sein. Es ist aber nicht frei von Schwachstellen und kann von Joachim Löws Equipe bezwungen werden, wenn sie das aus dem Erfolg über England gewonnene Selbstvertrauen über die sechs Tage Spielpause zu konservieren versteht.

Der glückliche 1:0-Sieg, den Argentinien vor vier Monaten in einem Freundschaftsspiel erstritt, ist eine Warnung, aber auch nicht mehr. Die deutschen Spieler, die am 3. Juli in Kapstadt auflaufen werden, mögen weitgehend die gleichen sein wie jene, die am 3. März in München unterlagen. Das Team wird jedoch ein anderes sein.

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