© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

CDU-Krise
Vorsitzende auf Abruf
Dieter Stein

Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel ist schwer angeschlagen. Die Bundespräsidentenwahl mit trotz komfortabler schwarz-gelber Mehrheit notwendigen drei Wahlgängen machte deutlich, daß der Unmut in den Reihen der Koalition, vor allem aber der eigenen Partei groß ist über den Mangel an Führung und Kontur.

Übereinstimmend berichten Hauptstadtjournalisten, in der Fraktionssitzung während der Bundesversammlung habe die Rede Roland Kochs vor dem letzten Wahlgang den Ausschlag gegeben. Während Merkel einen eher lustlosen letzten Appell an die Abgeordneten gerichtet habe, erntete der scheidende hessische Ministerpräsident mit einer Stegreifrede „donnernden Applaus“ (FAZ) und wendete das Blatt für Wulff. Die Frankfurter Rundschau zitiert einen Parlamentarier: „Er war göttlich. Ohne ihn wäre es schiefgelaufen.“ Manche spekulieren schon über ein Comeback Kochs.

Die 40 Stimmen für den Kandidaten der Opposition, Joachim Gauck, waren also ein Mini-Putsch, ein spontaner Flashmob gefrusteter Mitglieder der Koalitionsparteien, um mit dem Führungsstil der Kanzlerin abzurechnen. Merkel gelingt es seit der Bundestagswahl nicht mehr, Ruhe in die eigenen Reihen zu bringen. Wenn sie jetzt glaubt, mit der Wahl von Wulff sei ein zentrales Problem abgehakt und vor allem ein letzter potentieller Rivale ausgeschaltet, täuscht sie sich. Die Niederlage der CDU im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW und der Regierungsverlust für Jürgen Rüttgers ist überhaupt noch nicht verdaut. Unter der Führung Angela Merkels befindet sich die Partei im ununterbrochenen Sinkflug. Lange wird das nicht mehr ohne Folgen für sie bleiben.

Einen Wendepunkt stellte die im Januar verabschiedete „Berliner Erklärung“ dar. Mit ihr hatte das Umfeld der Vorsitzenden für programmatische Klarheit und eine Neuausrichtung sorgen wollen. Doch der Neustart geriet zum Rohrkrepierer. Neben dem konservativen Arbeitskreis Engagierter Katholiken in der CDU sammelte ein langjähriger CDU-Bundesparteirichter bis heute knapp 6.000 Protestunterschriften von frustrierten Parteimitgliedern unter einem „Manifest gegen den Linkstrend“ der CDU und gegen die weitere Aufgabe von „Grundpositionen“.

Am Linkstrend der CDU wird sich trotz mehrfacher warnender Ohrfeigen bis auf weiteres kaum etwas ändern. Dafür stand auch das Duell um den Vorsitz der CDU-Fraktion in NRW. Karl-Josef Laumann bremste zwar den Multikulti-Linksausleger Armin Laschet aus, steht selbst aber ebenfalls für eine „sozialdemokratische“ CDU. Momentan sieht es nicht danach aus, als ob die CDU-Spitze etwas gelernt hat. Im Herbst hat Partei-General Hermann Gröhe eine Serie von sieben Regionalkonferenzen angesetzt, auf denen Merkel wieder Kontakt zur „Basis“ aufnehmen will.

Dauernd heißt es beschwichtigend, man müsse „mehr“ und „besser“ miteinander „reden“ – die Krise als Kommunikationsproblem. Ob sich der Unmut dadurch bändigen läßt, ist zu bezweifeln. Es brodelt weiter in der CDU, und der Ruf nach politischen Alternativen wird lauter.

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