© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

„Es gibt keine Schonräume“
Droht die Ausplünderung Deutschlands durch Wirtschaftsspionage? Hans-Georg Wieck war Chef des BND
Moritz Schwarz

Herr Dr. Wieck, laut Verfassungsschutzbericht 2009 werden „Wirtschaft und Wissenschaft immer stärker (...) Angriffsziele der Spionage durch fremde Nachrichtendienste“. Droht Deutschland eine neue Gefahr?

Wieck: Diese Gefährdung besteht seit langem. Und Wirtschaftsspionage gegen Deutschland ist als solche seit eh und je Aufklärungsziel des deutschen Auslandsnachrichtendienstes (BND) und des mit der inneren Sicherheit befaßten Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) sowie der entsprechenden Behörden auf Länderebene. Der jüngste Jahresbericht des BfV will die aus Kostengründen in Sicherheitsfragen oft nachlässigen Unternehmen in Deutschland und die allgemeine Öffentlichkeit für dieses wichtige Thema sensibilisieren.

Der ehemalige „FAZ“-Journalist Udo Ulfkotte warnt in seinem jüngsten Buch „Wirtschaftskrieg“ (siehe Seite 15), daß „fremde Geheimdienste deutsche Arbeitsplätze vernichten“.

Wieck: Nicht nur im Wege ausländischer nachrichtendienstlicher Tätigkeit können in Deutschland entwickelte und angewendete Technologien verlorengehen und anderenorts wirtschaftlich genutzt werden. Das geschieht auch durch den illegalen Nachbau von Geräten, die im Markt angeboten werden. Es gibt aber auch durchaus legale Weitergabe von Technologie im Zuge der internationalen Zusammenarbeit zwischen Unternehmen. Im internationalen Wettbewerb gibt es keine Garantie für den Bestand von Arbeitsplätzen. Gleichwohl gilt es, illegalen Abfluß von Technologie zu unterbinden.

Welches Ausmaß hat das Problem?

Wieck: Die heute übliche Wirtschaftsspionage mag nicht mehr durch die militärische Spannungslage ausgelöst und gesteuert sein, sondern von wirtschaftlichen und technologischen Forderungen, auch wenn es keine Feindbilder mehr gibt. Das mag den Beobachter überraschen – aber der wirtschaftliche Wettbewerb hat eben an Bedeutung gewonnen. Die starke Stellung der deutschen Wirtschaft auf dem internationalen Markt beruht auf ihrer hohen technologischen Wettbewerbsfähigkeit, nicht auf der Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitskosten und der Preisgestaltung.

Jedes fünfte deutsche Unternehmen soll bereits Opfer von Industriespionage geworden sein. Die Frage aber ist, in wieviel Prozent der Fälle stecken ausländische Firmen oder Geheimdienste dahinter? 

Wieck: Diese Frage müßte von amtlichen Stellen beantwortet werden.

Vor allem Rußland und die VR China nennt das BfV in puncto Wirtschaftsspionage. Wie stark und wie gefährlich sind deren geheimdienstliche Aktivitäten in Deutschland?

Wieck: Deutschland dürfte in den Anforderungsprofilen aller Länder, die Wirtschaftsspionage betreiben, an einer führenden Position stehen, auch in Peking und Moskau.

Sind BND und BfV in der Lage, solche Angriffe abzuwehren?

Wieck: Ich bin davon überzeugt, daß es bei der Leitung und den Sachverständigen in unseren Geheimdiensten kein Defizit an Expertise auf dem Gebiet der Spionageabwehr im Wirtschafts- und Technologiebereich gibt. Aber die Geheimdienste haben keine operative Verantwortung für die Sicherheit von Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Diese Verantwortung liegt bei den Unternehmen und Instituten selbst, denen offizielle Richtlinien an die Hand gegeben werden.

Angeblich wird in Wirtschaftskreisen mitunter Kritik am „Standortnachteil BND“ geübt, soll heißen, die deutschen Dienste schützen die eigene Wirtschaft nicht effizient genug.

Wieck: Mir ist keine Kritik der genannten Art bekannt. Ich kenne aber die vielfältige Zusammenarbeit der staatlichen  Sicherheitsbehörden mit der Wirtschaft zum Schutze gegen Spionage. Es gibt auch zahlreiche Firmen, die auf dem Gebiet der Sicherheit der Unternehmen gegen Spionage tätig sind und entsprechende Beratungsverträge haben.

Der BND genießt den Ruf, kein effektiver Geheimdienst zu sein, der „Spiegel“ etwa nennt dessen Trias: „schlecht informiert, zu spät informiert, gar nicht informiert“.

Wieck: Die DDR hat – nicht ohne Erfolg – in ihrer gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Propagandaarbeit stets versucht, den Bundesnachrichtendienst und seinen Vorgänger, die „Organisation Gehlen“ in der deutschen Öffentlichkeit zu diskreditieren. Diese Propaganda hatte vordergründig Erfolg – zum Beispiel beim Spiegel, der sich immer als politisches Kampforgan verstand, und in der allgemeinen Öffentlichkeit. Bei den Verhandlungen über die Herstellung der deutschen Einheit stützte sich die Bundesregierung auf die jährlichen Lageberichte zur Nation, welche die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag erstattete. Dabei wurde seit 1969 für die DDR deren statistisches Material verwendet. Deshalb hatte die Bundesregierung 1990 eine falsche Vorstellung von der Wirtschaftslage der DDR, obschon ihr die realistische Berichterstattung des BND und der Nato vorlagen. Diese Unterlagen und die entsprechenden Fachleute wurden nicht zu Rate gezogen. Die Arbeitsergebnisse des BND gingen nicht nur den deutschen Behörden in Bonn zu, sondern wurden auch dem Lagezentrum des Nordatlantischen Bündnisses zugeleitet und wurden dort angemessen gewürdigt. Die Bundesregierung übernahm auch die Lagefeststellungen des Nordatlantischen Bündnisses. Wie jüngste wissenschaftliche Veröffentlichungen auf der Grundlage der MfS- und der BND-Unterlagen zeigen, hatte der BND stets ein akkurates Bild der sowjetischen Streitkräfte in der DDR sowie der Volksarmee. Und diese Lage zu jedem Zeitpunkt erfassen und darstellen zu können, war die Hauptaufgabe des BND.

Stasi-Akten offenbaren, noch beim Bau der Mauer soll der BND der bestinformierte westliche Geheimdienst gewesen sein. Für die Zeit bis 1989 ist das allerdings nicht mehr belegt.

Wieck: Die Durststrecke bestand für den BND nach dem Bau der Mauer 1961. Sie dauerte bis zur Verabschiedung der KSZE-Schlußakte von Helsinki 1975. Die Arbeitsmöglichkeiten verbesserten sich mit der ständigen Ausweitung der Besuchszahlen von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik Deutschland. Der Bundesnachrichtendienst konnte zuverlässig die Stimmungslage in der Bevölkerung und die Entwicklung der Dissidentenszene sowie die Verschlechterung der Wirtschaftslage feststellen.

Immerhin kein geringerer als Helmut Schmidt nannte den BND bekanntlich einen „Dilettantenverein“.

Wieck: Helmut Schmidt hatte immer eine Neigung zur Polemik. Im Widerspruch zu dem öffentlich geäußerten populistisch geprägten negativen Urteil über den BND steht aber die Entscheidung des Kanzlers Schmidt selbst zugunsten der Verlegung der Auswertungsabteilung des BND an den Rhein. Er konnte die Entscheidung nicht gegen den Widerstand im BND durchsetzen. Heute stellt der Neubau für den Sitz des BND in Berlin die größte regierungsseitige Baumaßnahme in der Hauptstadt dar. Aus dem „häßlichen Entlein an der Isar“ ist in der öffentlichen Wahrnehmung ein unentbehrliches Instrument der Bundesregierung zur Absicherung ihrer Entscheidungen geworden.

Kritiker meinen, Problem des BND sei, daß er sich zu sehr an Recht und Gesetz halte. US-Präsident Carter hat in den siebziger Jahren versucht, die CIA zu einer rechtlich „sauberen“ Institution zu machen, und ist damit gescheitert. Kann ein „anständiger“ Dienst nicht effektiv sein und umgekehrt?

Wieck: Im Bundesgesetz über den Bundesnachrichtendienst und entsprechenden Gesetzen für die anderen geheimen Nachrichtendienste sind die nachrichtendienstlichen Mittel festgelegt, mit denen der Auftrag erfüllt werden muß und angemessen ausgeführt werden kann. Aufgrund der Trennung zwischen geheimen Nachrichtendiensten und den Strafverfolgungsbehörden kann kein Geheimdienst in Deutschland irgend jemanden festnehmen, und damit entfällt die Option der auch internationalrechtlich verbannten Folter. Es ist ein unbegründeter Mythos, daß physischer Zwang zu belastbaren Erkenntnissen führt. Auch die USA mußten und müssen Abschied von der Folter als Mittel zur Informationsgewinnung nehmen. Von Bedeutung für die Relevanz der nachrichtendienstlichen Arbeit ist die Antwort auf die Frage, wie die Dienste im Bereich der nachrichtendienstlichen Beratung der Regierung aufgestellt sind. In den USA haben wir es mit sechzehn Geheimdiensten zu tun, in Großbritannien auf internationalem Gebiet mit dem unter der Aufsicht des Außenministeriums stehenden MI 6 und mit dem Militärischen Aufklärungsdienst unter Aufsicht des Verteidigungsministeriums. Daneben gibt es noch die Organisation für die geheime Fernmeldeaufklärung. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es nur einen einzigen, die militärischen und die nichtmilitärischen Fragen umfassenden Auslandsnachrichtendienst. Seine Arbeitsergebnisse gehen auf der Leitungs- und auf der Arbeitsebene an alle zuständigen Bundesministerien und Einrichtungen des Landes. Die Vorteile dieses Systems liegen auf der Hand. Es gibt keinen das Ergebnis beeinträchtigenden Konkurrenzkampf zwischen den Geheimdiensten und den Ministerien eines Landes. Das wird auch bei unseren internationalen Partnern so gesehen.

Ulfkotte vertritt in seinem Buch die Ansicht, die größte Bedrohung durch Wirtschaftsspionage gehe tatsächlich von sogenannten befreundeten Staaten aus, vor allem von den USA.

Wieck: Weltweit klären Geheimdienste auf dem Felde der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, von Raketenentwicklungen und auf dem Felde der Abrüstungs- und Rüstungskontrollabkommen auf. Bei internationalen Überprüfungskonferenzen sind die Ergebnisse von nationalen nachrichtendienstlichen Aufklärungsdiensten zugelassen. Gegenüber bestimmten Ländern gibt es international vereinbare Ausfuhrverbote, deren Einhaltung auch durch Geheimdienste überwacht wird. Mit anderen Worten: Es gibt eine Grauzone zwischen zulässiger Wirtschaftsaufklärung und „verbotener“, aber aus Wirtschafts- oder Rüstungsgründen betriebener nationaler Aufklärung zur Ausforschung der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten und gegebenenfalls auch von Produktionskapazitäten anderer Länder.

Das bedeutet konkret bezüglich der Frage?

Wieck: Daß Herr Ulfkotte für seine Behauptung erstmal den Beweis antreten muß.

Auch der Duisburger Politikwissenschaftler Thomas Herber kritisiert in einer Studie, über Wirtschaftsspionage durch die USA werde fast gar nicht gesprochen, obwohl sie größere Ausmaße habe als die der VR China.

Wieck: Ich nehme an, solche Vermutungen stützen sich auf die unbestrittene Tatsache, daß US-Geheimdienste weltweit Daten politischer, militärischer und wirtschaftlicher Natur erfassen. Nach meiner Kenntnis dürfen US-Dienste unternehmerisch relevante Informationen, die im Rahmen ihrer Erfassungsarbeit angefallen sind, nicht an amerikanische Firmen weitergeben – da ist die US-Rechtslage eindeutig. Im Falle Chinas und Rußlands gehören die Bemühungen um Zugang zu westlichen Technologien zum Auftrag der Geheimdienste.

Nach Ulfkottes Darstellung verursacht die Weigerung der deutschen Regierung und Dienste, die Wirtschaftsspionage sogenannter befreundeter Staaten bei uns zur Kenntnis zu nehmen, jährlich einen Schaden in Milliardenhöhe.

Wieck: Aufklärung gegenüber Wirtschaftsspionage wird nach allen Richtungen betrieben. Es gibt keine „Schonräume“ für befreundete Nationen. Auch die Abwehr von etwaigen Spionageaktivitäten befreundeter Nationen gegen das eigene Land gehört zum Pflichtenkatalog der deutschen geheimen Nachrichtendienste.

Darf davon ausgegangen werden, daß auch der BND im Ausland Wirtschaftsspionage betreibt bzw. deutsche Firmen dabei unterstützt?

Wieck: Im internationalen Rüstungskontrollsystem haben die geheimen Nachrichtendienste eine wichtige Kontrollfunktion, um die Einhaltung von Wirtschaftssanktionen und die Durchsetzung des internationalen Nichtverbreitungsabkommens sicherzustellen. Die Geheimdienste wirken beim Kampf gegen organisierte Kriminalität, illegalen Drogenhandel und Geldwäsche mit. Die deutschen geheimen Nachrichtendienste haben keinen Auftrag, Wirtschaftsspionage zugunsten deutscher Unternehmen durchzuführen. Offenbar schmälert das nicht die internationale Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft.

 

Dr. Hans-Georg Wieck, der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND)  gilt als Experte für internationale Sicherheitsfragen (www.hans-georg-wieck.com). Von Haus aus Diplomat – Wieck war deutscher Botschafter in Teheran, Moskau, bei der Nato und in Neu-Delhi –, leitete er von 1985 bis 1990 den Bundesnachrichtendienst in Pullach und hatte seit Ende seiner aktiven Dienstzeit mehrere Lehraufträge an Universitäten im In- und Ausland inne. Geboren wurde der studierte Historiker 1928 in Hamburg.

BND: 1956 ging der Bundesnachrichtendienst (www.bnd.de) aus der „Organisation Gehlen“ hervor, benannt nach deren Gründer, dem ehemaligen Wehrmachtsgeneral und Spionage-Offizier Reinhard Gehlen, der auch erster Präsident des BND wurde. Neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)   und dem Amt für den Militärischen Abschirmdienst (MAD), die dem Bundesinnenminister bzw. dem Verteidigungsminister unterstehen, ist der BND – unterstellt direkt dem Bundeskanzler – der dritte Geheimdienst der Bundesrepublik Deutschland und ihr einziger Auslandsnachrichtendienst. Noch ansässig im oberbayerischen Pullach, plant der BND seinen Umzug nach Berlin-Mitte, wo bereits der Rohbau der neuen Zentrale steht. Die Zahl seiner Mitarbeiter wird auf etwa 6.000 geschätzt. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT wollte der BND dazu und zur Frage, wie viele davon im Ausland tätig sind, jedoch keine Angaben machen. 

Foto: Die Arbeit deutscher Firmen im Blick fremder Mächte: „Abwehr auch von Spionage befreundeter Nationen ist Pflicht“

 

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