© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

„Unsere Toleranz ist erschöpft“
Hamburg: In der Hansestadt formiert sich Widerstand gegen die Gewalt von zumeist aus dem Ausland stammenden Jugendlichen
Bernhard Knapstein

Entsetzen, Fassungslosigkeit und Trauer: In den Gesichtern der rund 60 Jugendlichen, die nur wenige Tage nach der tödlichen Messerattacke auf den 22jährigen Pascal die Fahrspuren der Bremer Straße in Hamburg-Harburg blockieren, findet sich keine Spur von Haß oder Zorn. Am Tatort offenbaren verweinte Augen und leere Blicke der jungen Demonstranten eher Kraftlosigkeit und Erschöpfung. Sie sitzen für Pascal auf der Straße und für mehr Sicherheit in der Stadt.

Der Abiturient mußte sterben, weil er nicht hinnahm, daß seine Verlobte belästigt wurde. Der mutmaßliche Täter, Matthias A., ist aramäisch-türkischer Herkunft und war bereits vor der Tat polizeibekannt. Er machte kurzen Prozeß mit Pascal und stach ohne großes Federlesen zu – ein Fall von vielen allein im ersten Halbjahr 2010. Die Hansestadt pflegt zwar ihre Friedfertigkeit und Internationalität, dennoch sprechen die Zahlen für sich. 2009 lag die Gewaltkriminalität mit 9.574 Taten in der Stadt bei knapp der Hälfte der Delikte von ganz Bayern. Seit 2005 haben die Gewaltdelikte um 70 Prozent zugenommen, und 85 Prozent davon geschehen im öffentlichen Raum, vor allem im öffentlichen Personennahverkehr.

Jugendliche Gewaltkriminalität und dabei insbesondere die Gewalt mit Messern ist in Hamburg fast schon Normalität. Was Behörden und Presse bisher zumeist politisch korrekt verschwiegen haben: Der Anteil der Gewalttäter mit Migrationshintergrund ist enorm hoch. Exakte Zahlen kann der Senat freilich nicht nennen, da die Statistiken nur zwischen deutschen Staatsbürgern und Ausländern differenzieren, nicht aber den Migrationshintergrund der Tatverdächtigen mit deutschem Paß  erfassen. „Bei den letzten Gewaltdelikten waren aber immer Tatverdächtige mit Migrationshintergrund beteiligt“, sagte der Sprecher der Innenbehörde, Thomas Kunz. Erst nach den jüngsten Angriffen von rund 30 Jugendlichen auf Polizeibeamte (JF 27/10) platzte Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) der Kragen. „Es muß erlaubt sein, einmal darauf hinzuweisen, daß wir ein Integrationsproblem haben.“ Junge Männer mit Migrationshintergrund seien überproportional an Gewaltdelikten beteiligt.

In der öffentlichen Debatte überwog bisher – gefördert durch eine bei der Herkunftsfrage von Tätern zurückhaltend berichtende Presse – das Toleranzprinzip den keimenden Unmut über Gewaltdelikte von Zuwanderern. Im Falle der um Pascal trauernden Jugendlichen wandelt sich jetzt das Bild. Die heterogene Gruppe junger Demonstranten im Mordfall Pascal setzt ein Zeichen und bringt ihre Ängste an die Öffentlichkeit. Am Straßenrand haben sie ein Schild aufgestellt. Der Text ist kurz: „Unsere Toleranz ist erschöpft! Was sollen wir uns noch gefallen lassen? Immer müssen die Deutschen tolerant sein und sind der Gewalt hilflos ausgesetzt! Unfaßbar!“ Ein Kreuz, Kerzen und zwei Deutschland-Fähnchen. „Wir hassen der Unfähigkeit wegen. Der Unfähigkeit einer ganzen Stadt, eines ganzen Landes. Jeder sollte seine Chance bekommen, nicht ein Dutzend und mehr“, heißt es auf einem verteilten Handzettel. „Wer seine Chance nicht nutzt, sie gar überstrapaziert und herausfordert, der hat sie verwirkt.“ Ein friedlicher Hilfeschrei mit eindeutiger Tonlage gegenüber der ausufernden Gewalt in der Hansestadt.

Im Internet sind die Reaktionen noch deutlicher. In der nach dem Tod von Pascal gegründeten Facebook-Gruppe „Gegen Gewalt in Harburg“ haben sich in kürzester Zeit mehr als 3.100 Menschen eingetragen, die teils besonnen, teils aber auch  aggressiv über Täter mit Migrationshintergrund und den laschen Umgang der Justiz mit „Wiederholungstätern“ diskutieren. Auch die fehlende Integrationsbereitschaft von Türken und Arabern wird dabei immer wieder beklagt.

Die Stimmung in Hamburg brodelt zwar, doch das Gros der Unmutsäußerungen richtet sich gleichwohl nur selten direkt gegen Ausländer, sondern primär gegen die gescheiterte Integrationspolitik und gegen das Versagen der Justiz. Dieses wurde am Montag erneut augenfällig: Die Polizei nahm den 17 Jahre alten Berhan I. unter dem Verdacht fest, seine Freundin krankenhausreif geprügelt zu haben. Der junge Mann war erst Mitte Mai aus der Untersuchungshaft entlassen worden, nachdem eine Richterin wegen der Vulkanaschewolke zu spät aus ihrem Urlaub zurückgekommen war. In dem daraufhin geplatzten Prozeß mußte sich Berhan I. zusammen mit seinem vorbestraften Freund Onur K. (17) vor Gericht verantworten: Sie sollen einen 44 Jahre alten Mann zu Tode geprügelt haben, nachdem dieser sich geweigert hatte, ihnen 20 Cent zu geben. 

Die Facebook-Gruppe hat unterdessen unter dem Motto „Ein Licht gegen Gewalt“ zu einer Gedenkveranstaltung auf dem Harburger Rathausplatz aufgerufen, um die Politik zum Handeln zu zwingen. Auch spontane Treffen von Demonstranten – Flashmobs genannt – soll es bereits, wenn auch noch unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsgrenze, gegeben haben.

Für Hamburgs Ersten Bürgermeister Ole von Beusts (CDU) und seine schwarz-grüne Koalition könnte die explosive Stimmung zur Zerreißprobe werden. Der Bürgermeister muß reagieren, will er nicht einem zweiten Ronald Schill den Weg bereiten. Doch die Diskussion über eine gescheiterte Integrationspolitik wird nicht nur in Hamburg geführt werden. Sie ist in fast allen deutschen Großstädten ein Thema. Klamme öffentliche Kassen und die damit verbundene personelle Unterdeckung bei Polizei und den Sicherheitsabteilungen der öffentlichen Verkehrsbetriebe verschärfen die Lage noch.

Foto: Hamburg im Griff der Gewalt: Die Justiz rückt in das Zentrum der Kritik

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