© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

Hanseatische Einheitsfront
Bildungspolitik: In Hamburg werben fast alle Parteien geschlossen gegen den Widerstand vieler Bürger für die schwarz-grüne Schulreform
Hinrich Rohbohm

Deine Stimme für die Zukunft“, steht auf dem rosaroten Plakat, mit dem die Hamburger CDU um den Ersten Bürgermeister Ole von Beust um Zustimmung für ihre zusammen mit den Grünen ausgearbeitete Schulreform wirbt. Das Plakat gleicht haargenau dem der SPD: der gleiche Slogan, das gleiche Foto. Deutlicher kann eine christdemokratische Partei ihre Sozialdemokratisierung nicht demonstrieren.

Es hat schon etwas von einer politischen „Einheitsfront“, in welch harmonischer Eintracht CDU, Grüne, SPD und Linkspartei für die Hamburger Schulreform werben. Eine Reform, gegen die inzwischen längst nicht nur empörte Eltern der Volksinitiative „Wir wollen lernen“ Sturm laufen und über die die Hamburger am 18. Juli in einem Volksbegehren entscheiden können.

„Dann ziehen wir aus Hamburg weg“

„Was da passiert, hat mit Demokratie nichts mehr zu tun“, sagt ein Familienvater, der sich sonst „nicht sonderlich“ für Politik  interessiert. Daß seine Kinder jetzt aber in einer sogenannten Primarschule sechs Jahre unterrichtet werden sollen, obwohl Vergleiche mit anderen Bundesländern gezeigt hätten, daß dieses Modell gescheitert ist, kann er nicht nachvollziehen. „Da geht es doch mehr um Ideologie als um das Wohl unserer Kinder“, empört sich eine Mutter aus Hamburg-Eppendorf. „Wenn die Primarschule kommt, ziehen wir aus Hamburg weg.“

Ihre Wut richtet sich inzwischen längst gegen alle Politiker in der Hamburger Bürgerschaft. Denn eine Opposition gibt es in der Frage der Schulreform nicht. Die Fraktionen haben einen sogenannten Schulfrieden geschlossen. CDU, Grüne, SPD und Linkspartei sind sich darin einig, die Schulreform umzusetzen. Lediglich die nicht im Landesparlament vertretene FDP und die Freien Wähler stellen sich der Einheitsfront entgegen. Dabei herrscht an der Basis der Bürgerschaftsparteien selbst großer Unmut über die Reform. Selbst ein gutes Drittel der Anhänger der Grünen sieht die Reformpläne skeptisch.

Bei den Christdemokraten ist die Ablehnung noch größer. Die Union, einst Verfechterin des gegliederten Schulwesens, hatte in den Koalitionsverhandlungen 2008 die Bildungspolitik hanseatischen Wirtschaftsinteressen geopfert: Zustimmung der Grünen zur Elbvertiefung und zum Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg. Im Gegenzug trägt die CDU die grün-alternative Schulideologie mit. „Das war der Deal“, sagt ein CDU-Insider – ein Kuhhandel, bei dem die CDU die Sprengkraft der Bildungspolitik unterschätzt zu haben scheint.

Von der Schüler Union über den RCDS bis zur großen Mehrheit der Jungen Union wird die Reform abgelehnt – trotz Ole von Beust. Und trotz eines Beschlusses eines Landesparteitages für die Reform. Auf dem Parteitag hatte sich kaum ein CDU-Delegierter getraut, seine Meinung offen auszusprechen. Beim CDU-Funktionär heutiger Prägung stehen Posten und Karriere an erster Stelle, Inhalte sind austauschbar, zweitrangig. Lediglich eine als Alsterkreis titulierte CDU-Gruppe übt offen Kritik am Kurs der Unionsführung (JF 27/10). „Es gilt, den Fehler zu vermeiden, den die in der Bürgerschaft vertretenen Parteien mit der Verkürzung des Gymnasiums begehen wollen: die Beschädigung der noch am besten funktionierenden Schulform“, heißt es in deren Positionspapier.

Inzwischen gehen CDU-Bürgerschaftsabgeordnete im Büro der Volksinitiative „Wir wollen lernen“ öfter ein und aus, als es den Parteifunktionären lieb ist. „Die drücken uns heimlich sogar die Daumen“, sagt ein ehrenamtlicher Helfer der Initiative, der inzwischen viele solcher Merkwürdigkeiten erlebt hat – etwa, daß sich CDU-Bildungspolitiker aus Nordrhein-Westfalen im Büro der Initiative in der Lilienstraße melden und diese ermutigen, alles zu tun, um die Reform zu verhindern, weil sonst auch bei ihnen Hamburger Verhältnisse drohten. „Da kommen CDU-Leute bei uns vorbei, die Flugblätter zum Verteilen abholen wollen“, erzählt ein Aktivist. Andere Unionisten aus der Funktionärstruppe des Bürgermeisters lassen indes Plakate aufstellen, um für die Reform zu werben.

Der sogenannte Schulfrieden sei erkauft worden, heißt es aus der Initiative. Mit dem Zugeständnis, Lehrern eine frühere Pensionierung zu ermöglichen, habe der Senat SPD, Linke und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) für die Reform gewinnen können. Die evangelische Kirche wurde mit der Aussicht auf mehr Religionsunterricht an den Schulen geködert. Man revanchiert sich, rührt aktiv die Werbetrommel für die Reform. „Die geben allein für den Wahlkampf gut das Zehnfache von dem aus, was uns zur Verfügung steht“, schildert ein „Wir wollen lernen“-Aktivist. Daß dabei Gelder von Gewerkschaftsmitgliedern offenbar zweckentfremdet eingesetzt werden, wisse jeder in Hamburg.

Doch die Reformbefürworter fürchten nun, daß Hamburgs Bürger dem Senat einen Strich durch die Rechnung machen könnte. „Wir sind beleidigt und bedroht worden, unsere Plakate wurden zerstört“, berichten Aktivisten der Volksinitiative. Von ihrem Kampf gegen die Schulreform lassen sie sich dennoch nicht abhalten.

An den Wochenenden sind sie mit Infoständen in der Stadt vertreten, wollen die Menschen über die Konsequenzen der Reform aufklären – und müssen die Erfahrung machen, daß es in der Politik längst nicht immer sauber zugeht. Als die Initiative in Ottensen am von ihr bei der Stadt angemieteten Standort erscheint und ihren Stand belegen will, stehen dort bereits die Grünen. Der Aufforderung, den Platz zu räumen, kommen die Linksalternativen nicht nach. Unweit des Geschehens lauern sogenannte Autonome. Die Initiative will Streit vermeiden, sucht sich einen anderen Platz in der Nähe. Eine junge Frau ist mit ihrem kleinen Kind dabei.

Schulleiter warnen vor wenig durchdachter Reform

Sie wird von Passanten angesprochen und um Informationen zum Volksentscheid gebeten. Funktionäre der Grünen eilen herbei, stellen sich zwischen die Passanten und die junge Frau, um das Gespräch zu verhindern. Erst nach deutlichen Worten der Initiativler ließen sie von der Frau ab.

Lehrer, die der Reform mit Skepsis begegnen, fühlen sich unter Druck gesetzt. Die Schulbehörde soll Pädagogen zu verstehen gegeben haben, sich nicht kritisch zur Schulreform zu äußern – wohingegen ein Werben für die Reform kein Problem darstellen solle. „Man mag kaum noch etwas sagen“, bestätigt die Lehrerin einer Stadtteilschule. Aufgrund der Reform gehe es an ihrer Schule drunter und drüber. Mindestens 600 Millionen Euro wird die Reform den Hamburger Steuerzahler aufgrund erforderlich werdender Erweiterungsbauten kosten. Wie hoch sich die Kosten tatsächlich belaufen werden, weiß bis jetzt niemand – ein Umstand, der auch vom Bund der Steuerzahler moniert wird. „Wer die Mißstände benennt, wird gemobbt“, schildert die Lehrerin das Klima an ihrer Schule.

Auch die Schulleiter können ein Lied von der Reform singen. Überhastet und wenig durchdacht sei sie. „Die sollen uns doch einfach mal in Ruhe arbeiten lassen“, mahnt einer von ihnen an. Namentlich genannt werden möchte er lieber nicht. Es sei nicht auszuschließen, daß es dann für ihn „unangenehm“ werde.

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