© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

Alle Macht der Bürgerplattform
Polen: Regierungskandidat Komorowski gewinnt Stichwahl ums Präsidentenamt / Achtungserfolg für Oppositionsführer Kaczynski
Andrzej Madela

Mit dem 53-Prozent-Sieg von Parlamentspräsident Bronisław Komorowski gegen seinen Herausforderer Jarosław Kaczyński wurde am Sonntag der vierte polnische Staatspräsident seit der politischen Wende 1989 gewählt. Ministerpräsident Donald Tusk ist nun in einer komfortabelen politischen Situation: Mit Komorowski, der wie Tusk der wirtschaftsliberalen Bürgerplattform (PO) angehört, hat er endlich auch das Staatspräsidentenamt im Griff. Mit dem willenlosen Koalitionär Waldemar Pawlak von der bäuerlichen Volkspartei (PSL) in der Tasche und einem künftigen Parlamentsvorsitzenden von seinen Gnaden in der Hinterhand ist Tusk unbestritten der Herr des politischen Geschehens in Polen.

Zwar eignet sich der erst in der Stichwahl erzitterte Sieg seines biederen Kandidaten (JF 26/10) nicht für eine glanzvolle Feier. Dennoch verschafft er dringend gebrauchte innenpolitische Ruhe bis zu den Parlamentswahlen im Herbst 2011. Vorbei die Zeiten, als sein zäher Kampf gegen den im April verunglückten Lech Kaczyński Zeit und Energie kostete (JF 16/10).

Etwas anders stellt sich die Situation aus der Sicht Komorowskis dar. Im Gegensatz zu Lech Wałęsa, Aleksander Kwaśniewski oder Lech Kaczyński, die vor ihrem jeweiligen Amtsantritt bedeutende Parteien oder Massenbewegungen angeführt hatten, kommt Komorowski sprichwörtlich aus dem Nichts. Ohne eigene Machtbasis in der PO oder der Ministerialbürokratie ist der erste Mann Polens nur eine Marionette seines Förderers Tusk, dessen Wohlwollen er bereits die Sejm-Präsidentschaft zu verdanken hatte. Die stillschweigende Erwartung, die in Komorowski gesetzt wird, ähnelt Angela Merkels Intention bei der Auswahl von Christian Wulff: reibungsloses Funktionieren der Exekutive, frei von unerwünschter Eigeninitiative, selbständiger Kontrolle und exaktem Hinschauen.

Tiefe politische Spaltung Polens erneut bestätigt

Komorowski dürfte damit der mit Abstand schwächste Präsident der Nachwendezeit werden. Er kann sich weder eine markant unabhängige politische Position erlauben noch die von Kaczyński gepflegte Parteinahme für die polnischen Minderheiten in Litauen, Weißrußland und der Ukraine ernsthaft weiterführen. Die verfassungsrechtlich ohnehin unklar definierte Position des nominellen polnischen Staatsoberhaupts würde unter ihm an Bedeutung gegenüber dem Rest der Exekutive einbüßen und Polen endgültig weg von einer halbpräsidialen und hin zu einer parlamentarischen Praxis treiben.

Komorowskis Ergebnis (bei 55,3 Prozent Wahlbeteiligung) zeigt, daß der PO kein markanter Einbruch in fremde Wahlreviere gelungen ist. Wie Kaczyński legte er nur etwa elf Prozentpunkte zu. Klare PO-Mehrheiten existieren nur in den industriell und infrastrukturell entwickelten Woiwodschaften im Westen und Norden. Östlich der Weichsel, im sozial vernachlässigten Osten und Süden liegt Kaczyński weit vorn. Damit offenbart Komorowskis Wahl außer der tiefen politischen auch eine strukturelle und geographische Teilung Polens. Sein Aufstieg ist auch ein Sieg der Besserverdienenden über die Sozialhilfeempfänger.

Hätte Kaczyński die Wahl gewonnen, würde all dies spiegelbildlich gelten. Allerdings könnte er all die Eigenschaften für sich in Anspruch nehmen, die Komorowski abgehen: Unabhängigkeit von der Exekutive, präsidentielle Eigenständigkeit gegenüber Regierung und Parlament, eigene Hausmacht in Gestalt von Partei und Fraktion und Erfahrung als Regierungs- und Parteichef. Insofern wäre er als Kontrolleur der vollziehenden und gesetzgebenden Gewalt um einiges besser aufgestellt.

Kaczyńskis 47-Prozent-Ergebnis bedeut auch, daß der Ex-Premier seine Wahlklientel gegenüber 2007 fast verdoppeln konnte, was die Parlamentswahl 2011 wieder spannend macht. Kaczyński ist es offenbar gelungen, auch einen Teil jener 13,7 Prozent für sich einzunehmen, die im ersten Wahlgang dem postkommunistischen Kandidaten Grzegorz Napieralski (SLD) ihre Stimme gaben. Möglich, daß der soziale Zuschnitt von Kaczyńskis Wahlkampagne die Traditionalisten unter den Linkswählern eher überzeugte als die konturlose Präsentation seines Gegners.

Wahrscheinlicher aber ist, daß die polnischen Wähler keine Einparteienallmacht wünschten und deswegen Kaczyńskis sozialkonservativer Partei PiS ihre Koalitionsfähigkeit zurückgaben, die sie wieder fürs bürgerliche Zentrum attraktiv macht, wo mit Sicherheit die nächste Parlamentswahl entschieden wird. So gesehen ist Kaczyńskis Wahlergebnis nur ein Rückschlag, aber keine Niederlage. Das sollten all jene bedenken, die Polen nun dauerhaft auf einen bedingungslos EU-kompatiblen Euro-Kurs sehen.

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