© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

Als Diplomaten oder Journalisten getarnt
Wirtschaftsspionage: Der Verfassungsschutzbericht warnt vor zunehmender Gefahr aus Rußland und China
Hans Christians

Als Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) im Juni den neuen Verfassungsschutzbericht vorstellte, wurden keine weltbewegenden Neuheiten erwartet. Daß die Zahl linksextremer Taten ansteigen würde, war allgemein bekannt, und daß sich sein Ministerium darum bemühte, durch volle 70 Seiten über „Rechtsextremismus“ nur keine Verharmlosung dieser vielbeschworenen Gefahr unterstellt zu bekommen, war ebenfalls nicht überraschend. Auch die Warnungen vor dem immer größer werdenden islamistischen Terrorpotential gehört mittlerweile zum politischen Tagesgeschäft (JF 26/10).

Daß das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als Inlandsnachrichtendienst endlich dem Thema Wirtschaftsspionage einen größeren Platz einräumte, war überfällig. Es paßte ins Bild, daß nur wenige Tage später in den USA ein russisches Agentennetz in bester James-Bond-Manier enttarnt wurde. Speziell die zunehmenden Angriffe auf Firmencomputersysteme gefährdeten den technologischen Vorsprung deutscher Unternehmen und damit letztlich Arbeitsplätze, beklagte de Maizière und kündigte an: „Der Kampf gegen das Ausspähen von Firmendaten wird ein neuer Schwerpunkt der Arbeit des Bundesamts für Verfassungsschutz sein.“

Auch Iran, Syrien, Libyen  und Nordkorea im VS-Visier

Auch Regierung, Verwaltung sowie Wissenschaftseinrichtungen seien zunehmend Ziel von Wirtschaftsspionage. Teilweise würden ausländische Geheimdienste in Deutschland Studenten, Doktoranden und Professoren instrumentalisieren, um Wissen abzuschöpfen. Um welche Staaten es sich konkret handele, wollte der Minister, der sich bislang vor allem mit Zensurvorschlägen fürs Internet hervorgetan hatte, auch auf Nachfrage nicht vertiefen. Das Schweigen des CDU-Politikers dürfte einen guten Grund haben, schließlich liegt es nicht im Interesse der schwarz-gelben Koalition, außenpolitische Verbündete wie die USA an den Pranger zu stellen.

Daß George W. Bushs „Achse des Bösen“ aus dem Iran, Syrien, Libyen und Nordkorea drei VS-Druckseiten gewidmet werden, überrascht nicht. Daß speziell Rußland und China aber mit besonderem Argwohn begegnet wird, zeigen die insgesamt 17 Seiten über die einstigen Kontrahenten aus dem Kalten Krieg. Der Austausch von Geheimdaten und finanziellen Transaktionen (Stichwort: Swift-Abkommen, JF 27/10) hat das Ausspähen von militärischen Geheimnissen auf der Prioritätenliste abgelöst. Daß ein Geheimdienstexperte wie Udo Ulfkotte darauf hinweist, daß gerade die USA federführend im Bereich der Wirtschaftsspionage sind, kann nicht überraschen (Seite 15 dieser Ausgabe).

Dabei bestätigte der ehemalige Direktor der CIA, James Woolsey, bereits vor zehn Jahren ganz unverblümt, daß die USA Wirtschaftsgeheimnisse stehlen, „mit Spionage, durch Abhören, durch Aufklärungssatelliten“, und daß es nun „verstärkte Anstrengungen“ bezüglich Wirtschaftsspionage gäbe. Woolsey behauptete (nicht ganz unbegründet), daß Wirtschaftsspionage gerechtfertigt sei, da europäische Unternehmen eine „nationale Kultur“ der Bestechung hätten und daß sie „als erste im Verdacht“ stünden, „wenn es darum geht, Bestechungsgelder im Zusammenhang mit großen internationalen Aufträgen zu zahlen“.

Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 hat man in Washington diese Bemühungen zusätzlich verstärkt. Durch den Kampf gegen mutmaßliche islamische Terrorhelfer und ihre vermeintlichen Sympathisanten innerhalb der Wirtschaft wurde vieles möglich, was bis dahin als rechtsstaatlich unmöglich galt. Seit Bekanntwerden des US-Abhörsystems Echolon (JF 10/10) lassen sich die technischen Möglichkeiten dieser Weltmacht erahnen.

Es ist daher nur politisch erklärbar, warum das BfV das Thema zuerst jahrelang stiefmütterlich behandelte, um nun plötzlich vor feindlichem Datenklau aus Moskau und Peking zu warnen. Der VS-Bericht 2009 widmet den russischen Geheimdiensten die meisten Seiten. Rußland betreibe „Auslandsaufklärung in den Bereichen Politik, Wirtschaft sowie Wissenschaft und Technologie“ und forsche „Ziele und Arbeitsmethoden westlicher Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden aus“. Der russische Geheimdienst verfüge über mehr als 13.000 Mitarbeiter und ist auch in Deutschland „stark vertreten“. Seine Agenten seien häufig als Diplomaten oder Journalisten getarnt.

Gefahr durch etwa 80.000 Chinesen in Deutschland?

Größter Stützpunkt in Deutschland sei die russische Botschaft in Berlin. Während die russischen Dienste einen Großteil ihrer Nachrichten aus „offenen Quellen“ bezögen, würden auch konspirative Methoden angewandt, um besonders sensible Informationen zu beschaffen. Erwähnt werden heimliche Treffen mit Informanten in Restaurants sowie Geld- und Sachgeschenke. Dabei sind nicht nur international operierende Großkonzerne betroffen, auch der deutsche Mittelstand wird immer öfter zum Observierungsobjekt.

Die chinesischen Nachrichtendienste bemühten sich um sensible Informationen aus der deutschen Wirtschaft: „Darunter fallen Erkenntnisse über neue Produkte und Herstellungsprozesse oder aktuelle Forschungsergebnisse“, heißt es im VS-Bericht. „Wegen der Verflechtung von Staat und Unternehmen ist bei Ausspähungsversuchen von chinesischer Seite in der Regel schwer zu unterscheiden, ob es sich dabei um eine von einer staatlichen Stelle betriebene Wirtschaftsspionage handelt oder ob eine (private) Firma Konkurrenzausspähung verübt.“

Weitere Möglichkeiten für die Erkenntnisgewinnung ergäben sich durch die Wirtschafts- und Wissenschaftskooperation: „So leben und arbeiten etwa 80.000 Chinesen in Deutschland, darunter etliche Gastwissenschaftler, Praktikanten und Studenten. Die Nachrichtendienste kennen das Wissenspotential dieser Personen. Sie verschaffen sich einen Überblick über deren Zugänge, bauen Kontakte auf und versuchen, einzelne für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Dabei weisen die Nachrichtendienstangehörigen ihre Landsleute auf das Privileg hin, in Deutschland arbeiten zu können und appellieren zugleich an deren Patriotismus.“

Die Frage, warum das für Gastwissenschaftler und Studenten aus befreundeten Ländern nicht gelten soll, und warum das Bundesinnenministerium gerade jetzt Rußland und China öffentlich an den Pranger stellt, ließ de Maizière unbeantwortet. Der Fortgang des boulevardesk aufgeladenen Agenten-Skandal um die attraktive Anna Chapman & Co. in den USA könnte darüber vielleicht Aufschluß geben. Denn nur wenige Beobachter glauben, daß die öffentliche Inszenierung ein Zufall gewesen ist, vor allem weil US-Präsident Barack Obama wenige Tage zuvor dem russischen Regierungschef Dmitri Medwedew einen Beitritt zur Welthandelsorganisation (WHO) in Aussicht gestellt hat.

Der Verfassungsschutzbericht im Internet: www.verfassungsschutz.de

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