© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

Eine dezidiert alteuropäische Geistanalyse
Lichtblicke in der Tristesse der „Kulturwissenschaften“ nach Bologna: Die sechsbändige „Geist“-Reihe bei Königshausen & Neumann
Harald Seubert

Der Begriff des Geistes hat seit langem keine Konjunktur – gerade auch nicht in den Geisteswissenschaften, die sich inzwischen dem Bolognaprozeß gemäß stromlinienförmig „Kulturwissenschaften“ nennen. Man geht an die Wurzeln europäischen Denkens, von Philosophie, Theologie, aber auch der Kunst – und man setzt einen Gegenakzent gegen den Mainstream, wenn man dem Geistbegriff in seinen wesentlichen Erscheinungsformen und Filiationen nachspürt. Eben dies leistet ein sechsbändiges Sammelwerk des Philosophenehepaars Edith und Klaus Düsing, entstanden in Kooperation mit dem Wiener Philosophen Hans-Dieter Klein.

Die einzelnen Bände widmen sich  „Geist, Eros und Agape“, „Geist und Literatur“ in einem Bogenschlag von Shakespeare bis Celan, „Geist und Psyche“ – von Platon über das Neue Testament bis in die Tiefenpsychologie. Angesichts von heutigen Neuro- und Biowissenschaften kommt dem Band „Geist und Willensfreiheit“ gewiß besondere Bedeutung zu, und fundamental für das Komplementärverhältnis von Glaube und Vernunft ist das Buch „Geist und Heiliger Geist“.

Verhandelt werden in jedem Band gut dreitausend Jahre europäischer Philosophie- und Geistesgeschichte, in einem großen interdisziplinären Gespräch zwischen jenen Wissenschaften, deren Beitrag durch die Sache erfordert ist. Philosophie und Theologie erweisen sich dabei aber, auch dies ist man kaum mehr gewohnt, als Leitdisziplinen. Unter den Beiträgern sind erste Namen ihrer Disziplinen: Wolfhart Pannenberg, Eberhard Jüngel, Norbert Fischer, Otto Pöggeler, um nur einige zu nennen. Für die ethische und staatsphilosophische Grundlagendebatte ist der Band über Geist und Sittlichkeit von besonderer Bedeutung. Bei aller eigenständigen Handschrift ergeben sich vielfache Verflechtungen und Vertiefungen zwischen den einzelnen Bänden. Dabei sind insbesondere drei Punkte gegenüber gängiger Produktion hervorzuheben. Erstens: Das Niveau der Beiträge ist durchgehend außergewöhnlich hoch – und dies, weil nicht „Diskurse“ und „Paradigmen“, sondern die zu untersuchende Sache leitend ist. Man findet dabei Glanzstücke: Aufsätze von Klaus Düsing über Fichte und von Edith Düsing über Nietzsche ersetzen ganze Bibliotheken, Hans-Jürgen Gerigk lehrt einen die Weltliteratur völlig neu zu lesen und das große ökumenische Gespräch der gläubiger Theologen wirkt wie ein befreiender Ausweg aus der Alltagsbanalität.

Zweitens: Konsequent werden im Horizont der Deutung und Neuaneignung der großen Tradition die Sachfragen behandelt: Systematischer und historischer Blick, die im heutigen Wissenschaftsbetrieb immer öfter steril auseinandertreten, verbinden sich höchst fruchtbar und geben ein Frageniveau vor, das die punktuellen Gegenwartsdebatten kaum erreichen. Eindrücklich wird damit sichtbar, daß der kleinstmögliche Nenner, die pragmatische Verschweigung der Untiefen keineswegs der überzeugendste ist.

Drittens: Die Autoren legen nicht nur Diskussionsbeiträge und Konzeptionen vor. Sie sind an der Wahrheit der Sachverhalte interessiert. Dieses Werk bemüht sich deshalb auch nicht um Moden: Es ist dezidiert alteuropäisch angelegt, es zehrt aus der Spannung von Antike und Christentum und ihrer Entfaltung in der abendländischen Geistesgeschichte. Gerade deshalb dürfte es mehr für ein interkulturelles Gespräch austragen als Bibliotheken interkultureller Programmatik. 

Es ist nicht immer leicht, jungen Konservativen klarzumachen, aus welcher Grundlage die eigene Identität schöpfen kann. Wer sich in diese Bände vertieft, hat einen Maßstab, was europäisches Denken und Dichten ausmacht – insbesondere auch in der deutschen Tradition. Und man wird bemerken, wie recht der alte Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon hatte, als er die beiden Wahrsprüche nebeneinandersetzte: Sapere aude! (zwei Jahrhunderte später von Kant übersetzt: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen) und Ad fontes! Zu den Quellen. Vor allem Edith Düsing ist für diese Edition zu danken. Entstanden unabhängig von Exzellenzclustern, ist das Geist-Werk, was andere von sich nur behaupten: wahrhaft exzellent.    

Edith und Klaus Düsing, Hans-Dieter Klein (Hrsg.): Geist und .... Sechs Bände. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2006/2010, Übersicht über die einzelnen Bände, Seitenzahlen und Preise unter : www.koenigshausen-neumann.de

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