© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/10 09. Juli 2010

Eine Niederlage des Deutschen Ordens ist garantiert
Unterhaltung statt Pathos: Der Grunwald-Sieg entwickelt sich in Polen vom nationalen Mythos zum Ritterspektakel
Andrzej Madela

Der große Sieg ist in Polen Teil der nationalen Mystik. Gemäß dem gegenwärtigen Bildungsniveau hat er jedoch mittlerweile die Form eines gewaltigen Historienspektakels angenommen, das seit 1992 jährlich die Schlacht zwischen Tannenberg und Grünfelde (polnisch Grunwald) vom 15. Juli 1410 nachgestellt. Der mediale Rummel mag dabei einem Uneingeweihten schlicht unglaublich vorkommen: Außer mit den etwa 3.000 bis 4.000 standesgemäß ausgerüsteten und bewaffneten „Rittern“ beider feindlicher Armeen wartet Grunwald mit einem imposanten mittelalterlichen Heerlager mit allerlei Waffen-, Huf- und Kunstschmieden etc. auf, in dem einem der Alltag einer Armee im Krieg lebendig nahegebracht wird.

Zahlreiche Ritterturniere und Waffenübungen erhöhen die inszenierte Attraktivität und erweisen sich als echte Publikumsmagneten. Weit über 100.000 Schaulustige aus ganz Europa geraten dabei in ihren Bann, und sie brennen geradezu darauf, die spektakulären Attacken berittener Slawenvölker gegen die Kreuzritterstreitmacht hautnah zu erleben. In den ereignisarmen Sommermonaten ist die aufwendig inszenierte Historienmalerei vor geschichtsnatürlicher Kulisse jedenfalls konkurrenzlos und das mediale Getöse um die sichere Niederlage des Deutschen Ritterordens ungeteilt. Kein Sender, keine Zeitung und schon gar kein Internetportal darf es sich leisten, die professionell aufgezogene Veranstaltung zu verpassen.

Antideutsche Ressentiments treten in den Hintergrund

Handfeste antideutsche Ressentiments, die seit dem 19. Jahrhundert immanenter Bestandteil des nationalpolnischen Grunwald-Mythos waren, wurden nicht zuletzt zu kommunistischen Zeiten bis 1990 von Eliten in Partei, Staat und Armee gekonnt als ideologische Steilvorlage für die prosowjetische Option polnischer Außenpolitik mobilisiert. In dieser Perspektive nahm der gemeinsame Sieg von Polen, Litauern, Tataren und Ruthenen gegen den nach Osten drängenden deutschen Feind den 535 Jahre späteren am Ende des Zweiten Weltkriegs bereits vorweg und legitimierte zugleich die polnische Abhängigkeit von Moskau, das nun als Garant polnischer Souveränität gegen den behaupteten deutschen Revanchismus auftreten konnte. Diese Propaganda tritt jedoch zunehmend in den Hintergrund – von gelegentlichen Ausnahmen, wie der Instrumentalisierung des Grunwald-Sieges durch polnische Boulevard-Medien anläßlich des Fußballspiels Polens gegen Deutschland bei der Fußball-Europameisterschaft 2008, einmal abgesehen. 

Beim ritterlichen Großspektakel ist die ideologische Überfrachtung ohnehin nicht mehr präsent, ihre Träger – die antikirchliche Parteioligarchie, das rigid prosowjetische Offizierskorps, die allgegenwärtige Staatsbürokratie – sind politisch bedeutungslos geworden. Die „Schlacht von Grunwald“ präsentiert sich als ein selbstverwaltetes, privates Unternehmen, das seine Bedeutung nicht durch, sondern trotz der offiziellen Geschichtspolitik gewonnen hat. Letztere konnte freilich in den neunziger Jahren bei permanent klammen Kulturkassen und einer durchschnittlichen Regierungszeit von jeweils 15 Monaten zu keinerlei Kontinuität finden. Der postkommunistische Staat, der gerade dabei war, das sowjetische Trauma abzuschütteln, blieb auf deutsche Hilfe beim EU-Einstieg substantiell angewiesen, gab sich vergangenheitspolitisch betont nüchtern und europafreundlich und mied fügsam allzu geschichtsverminte Terrains, auf denen man ihm etwa deutschlandunfreundliche Exerzitien hätte nachsagen können.

Die Entstehung des heutigen „Grunwald“-Spektakels geht auf einen länderübergreifenden Trend begeisterter Mittelalterfans zurück, die vor knapp zwanzig Jahren aus dem staatlich sanktionierten Kanon aneignungswerter Vergangenheit ausgebrochen sind und historische Ereignisse durch Trivialisierung, aber auch Kommerzialisierung Massentauglichkeit verschafften. Kritiker dieses Unterfangens sprechen hingegen nicht nur in Polen von Geschichtsbanalisierung in historientouristischer Verkleidung, gar von einer schleichenden Preisgabe patriotischen Gefühlssinns. Letzterem entsprechend wurde bereits 1998 im Nachrichtenmagazin Polityka ironisch am nationalen Mythos gekratzt: „Die Kreuzritter sind es leid, immer nur zu verlieren, deswegen will man sie im nächsten Jahr siegen lassen.“

Symptomatisch für Bildungsgeist und bevorzugten Formgeschmack des Publikums bleibt freilich die auf das Spektakuläre, unmittelbar Greifbare ausgerichtete Darbietung ohne größeren Tiefsinn oder gar patriotische Aufladung. Der Erfolgsgarant ist nicht die kritische oder erhebende Teilnahme, sondern der distanzlose unterhalterische Konsum. Ohne ihren fernsehgerechten, medial leicht vermittelbaren Zuschnitt wäre sie längst am Almosenbeutel des Kulturministers hängengeblieben oder in der hochkulturellen Nische verschwunden.  

Offizielle Staatsfeier contra Mittelalter-Event fürs Volk

Daß bei einem solchen „Grunwald“ der ideologische Vorteil längst in einen geldwerten umgeschlagen ist, konnte der Leser im Frühjahr erleben. Die vor Ort bis dato so gut wie abwesende Kulturpolitik versetzte die Eigentümer des Historienspektakels in wahre Panik, als sie – eingedenk des 600. Jahrestages der Schlacht – den 15. Juli zum nationalen Großereignis erklärte, die kommunale Selbstverwaltung regelrecht überfuhr und den Standort kurzerhand für eine großzügig angelegte Staatsfeier in Beschlag nahm, an der auch die Präsidenten von Polen und Litauen teilnehmen sollen.

Ein Sturm der Entrüstung erfaßte die Mittelalter-Freaks und fand seine geräuschvolle Fortsetzung gar im ehrwürdigen Feuilleton, richtete sich aber bei weitem nicht gegen den weihevoll-staatstragenden Charakter der Feier, sondern – einzig und allein – gegen ihren Termin. Dieser kollidierte nämlich entschieden mit dem Veranstaltungskalender des Spektakels, das gewöhnlich ebenfalls am 15. Juli für zwei bis drei Tage seine Pforten öffnete, bevor es dann am darauffolgenden Wochenende zur entscheidenden Schlacht ging. Durch den Eingriff des Staates sahen sich aber diesmal die Eigentümer von „Grunwald“ um die Hälfte ihrer Einnahmen gebracht. Der gewohnte Zustrom von Zuschauern, so klagten sie, reduziere sich nun auf lediglich einen Tag.

Wie weit sich das durchkommerzialisierte „Grunwald“ und die offizielle Geschichtspolitik mittlerweile auseinandergelebt haben, mag die Tatsache verdeutlichen, daß der Staat seine offizielle Feier und das privat veranstaltete Großspektakel letztlich nicht unter einen Hut bekam. Ausgerechnet zum 600. Jahrestag der Schlacht wird es zwei voneinander streng getrennte Veranstaltungen geben: eine wohl eher blutarm-offiziöse, der die Massen fernbleiben, weil sie kein spektakuläres „Event“ zu bieten hat, und die kommerziell-massenhafte, in der der Gewinn weit vor dem Sieg rangiert.  

Fotos: „Deutsch-Ordensritter“ prallen auf die „Streitmacht des polnischen Königs“, alljährliche Ritterspiele bei Tannenberg (Stebark) in Masuren: Geschichtsbanalisierung in historientouristischer Verkleidung wird als schleichende Preisgabe patriotischen Gefühlssinns beklagt, Hochmeister-Ulrich-von-Jungingen-Darsteller kurz vor seinem „Schlachtentod“: Den 15. Juli zum nationalen Großereignis erklärt

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