© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/10 16. Juli 2010

Länger im Land als die Sowjets
Afghanistan: Konferenz in Kabul verspricht kein baldiges Ende des westlichen Abenteuers am Hindukusch / Vorsichtige Ausstiegsszenarien
Bernd Bredenkötter

Es ist nicht alles gut in Afghanistan“, formulierte Guido Westerwelle scheinbar bescheiden am 9. Juli in seiner Regierungserklärung zur anstehenden Afghanistan-Konferenz. Dort soll die Karsai-Regierung am 20. Juli gegenüber ihren ausländischen Unterstützern Rechenschaft ablegen. Vor dem Bundestag warb der Außenminister um lagerübergreifende Rückendeckung. Indem er den Margot-Käßmann-Satz ironisierte, versuchte er, Kritik abzufangen. Der FDP-Chef tastete sich vorsichtig in Richtung eines Ausstiegs, als er sagte, daß die Situation in Afghanistan nicht gut sein müsse, damit man abziehen könne, sondern nur „gut genug“.

Westerwelle brachte aber erneut auch Aussagen wie diese: „Ohne Menschenrechte, ohne das Recht von Frauen und Mädchen auf Bildung, auf Bewegungsfreiheit, auf Teilhabe am Leben kann es eine nachhaltige Stabilisierung des Landes nicht geben.“ Unter dieser Prämisse könnte der Einsatz am Hindukusch jedoch noch Generationen dauern. Immerhin arbeitet Deutschland inzwischen tatkräftiger daran, die Voraussetzungen für einen Abzug ohne Gesichtsverlust zu schaffen. So wurde die Zivilhilfe von jährlich gut 100 auf rund 400 Millionen Euro erhöht. Wichtiger als Mädchenschulen und „demokratische Teilhabe“ ist für die jungen afghanischen Männer, aus deren Reihen sich die Aufständischen rekrutieren, ihr täglich Brot verdienen und den landesüblichen Brautpreis aufbringen zu können. Eine Arbeitslosigkeit von rund 40 Prozent macht dies vielen unmöglich.

Während Deutschland noch nach einer Abzugsperspektive sucht, hat Polen angekündigt, seine 2.500 Soldaten bis 2012 nach Hause zu holen. Selbst Großbritannien, das 9.000 seiner Berufsoldaten im umkämpften Süden Afghanistans stehen hat, zeigt Zeichen von Schwäche. In der Ortschaft Sangin im Tal des Helmand-Flusses sollen die britischen Soldaten nun durch US-Einheiten ersetzt werden. In Sangin verzeichneten sie rund ein Drittel ihrer 300 Gefallenen in Afghanistan.

„Wir können da nicht noch weitere fünf Jahre bleiben“

Im Rahmen der von Barack Obama befohlenen US-Truppenverstärkung wurden die Briten bereits im benachbarten Now-Zad ersetzt. Ende 2009 eroberten US-Marines den Ort zurück – wobei Dänen mit Leopard-Kampfpanzern halfen. Den relativ leicht bewaffneten Briten war es nicht gelungen, die Städte aus eigener Kraft zu kontrollieren. Der Briten wollen bis 2015 aus Afghanistan abziehen. „Wir können da nicht noch weitere fünf Jahre bleiben, wir sind bereits seit neun Jahren da“, erklärte Premierminister David Cameron Ende Juni.

Warum kann sich der Westen dennoch länger in Afghanistan halten als die Sowjetunion? Zum einen ist die Motivation eine andere. Die USA verlangten nach Genugtuung für die historisch einmalige Demütigung des 11. September 2001. Dafür wird international Verständnis gezeigt. Rußland und China betrachten die USA in Afghanistan bislang nicht als Bedrohung an ihrer Süd- bzw. Westflanke. Die islamischen Staaten schließlich verhalten sich diesmal gezwungenermaßen neutral. 1980 hatten noch mehr als 60 Länder wegen des Afghanistan-Einmarsches die Olympischen Spiele in Moskau boykottiert. Ein weiterer Grund liegt darin, daß die technische Überlegenheit der Isaf-Truppen über die Stammeskrieger in Afghanistan weit über die der Sowjetarmee hinausgeht. Die Verlustzahlen liegen nach gleicher Besatzungsdauer bei nur einem Zehntel. Westliche Soldaten in ihren Jacken und Helmen aus Spezialkunststoffen und Titan sind „kugelsicher“.

Noch größer sind die Unterschiede im Bereich der Informationstechnik. Die Sowjets nannten die Stammeskrieger „Duchy“ (Geister) weil sie aus dem Nichts aufzutauchen schienen. Heute sind es die westlichen Soldaten, die mit ihren Nachtsichtbrillen den Eindruck von Gespenstern vermitteln. Auch die Luftaufklärung hat neue Dimensionen erreicht: Über den großen afghanischen Städten hängen Luftschiffe, die mit ihren Sensoren in jeden Hinterhof blicken.

Auch die Versorgung der Soldaten ist in keiner Weise vergleichbar. Von den 700.000 Sowjetsoldaten erkrankten 150.000 an Typhus und Hepatitis. Heute sind Impfungen und Hygiene selbstverständlich, die Lebensmittel kommen auf dem Luftweg frisch aus der Heimat. Für das anhaltende Ertragen des neuen Afghanistan-Krieges dürfte aber am wichtigsten sein, daß er ohne Wehrpflichtige auskommt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen