© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/10 16. Juli 2010

Der Gefangene von General Petraeus
USA: Afghanistan-Strategie bringt Präsident Obama in handfeste Schwierigkeiten / Abzugsbeginn 2011 fraglich / Minister Gates widerspricht Vizepräsident Biden
Patrick J. Buchanan

Als Barack Obama General Stanley McChrystal als Chef der Isaf-Streitkräfte in Afghanistan durch David Petraeus ablöste, wurde seine Entscheidung als Zeichen von Härte und Unnachgiebigkeit begrüßt. Schließlich hatte Petraeus sein Land im Irak vor einer schmählichen Niederlage bewahrt. Dagegen ist einzuwenden, daß Obama mit der Entlassung des bei der Truppe beliebten Generals die volle Verantwortung für den Erfolg oder Mißerfolg der McChrystal-Strategie auf seine eigenen Schultern lädt – bislang kann von Erfolg freilich keine Rede sein.

Sollten wir uns zum Jahresende immer noch in derselben blutigen Sackgasse befinden, wird die amerikanische Öffentlichkeit Obama die Schuld daran geben, weil er wegen ein paar dummer Bemerkungen von Stabsoffizieren gegenüber der Musikzeitschrift Rolling Stone den Befehlshaber gefeuert hat, der den Schlachtplan entworfen und ausgeführt hat. Noch schwerer wiegt, daß Obama sich zur Geisel eines gewieften Strategen gemacht hat, der davon träumen soll, eines Tages selber ins Weiße Haus einzuziehen. Damit hat er sich selber in ein Dilemma hineinmanövriert. 2009 entließ er General David McKiernan und setzte mit McChrystal seinen eigenen Mann an dessen Stelle. Nun hat er schon den nächsten Personalwechsel zu Petraeus vorgenommen. Sollte der frühere Graswurzel-Organisator und Anhänger von Saul Alinsky zukünftig auf die Idee kommen, den beliebtesten und erfolgreichsten General der US-Armee zu feuern, der eine Degradierung in Kauf nahm, um den Oberbefehl über die US- und Nato-Streitkräfte in Afghanistan zu übernehmen, würde wohl ein Feuersturm losbrechen, der verheerende Auswirkungen für seine Präsidentschaft hätte.

Sollte Obama nicht aufgefallen sein, daß die Neocons, die einen „langen Krieg“ mit der islamischen Welt und einen neuen Krieg gegen den Iran wollen, die Versetzung von Petraeus viel lautstärker bejubeln als sein eigener Mitarbeiterstab? Warum feiert die Kriegspartei? Weil Petraeus einer der Ihren ist. Und der unberührbare General stellt bereits erste Forderungen. Ganz offensichtlich ist Obama bedeutet worden, er müsse von seinem erklärten Ziel Abstand nehmen, spätestens am 31. Juli 2011 mit dem Abzug der US-Truppen aus Afghanistan zu beginnen. Der Präsident macht schon entsprechende Anstalten. So hat sein Verteidigungsminister Robert Gates jüngst der Beteuerung von Vizepräsident Joe Biden widersprochen, „im Juli 2011 werden eine ganze Menge das Land verlassen, darauf können Sie wetten“. Bislang sei keine derartige Entscheidung getroffen worden, sagte Gates. Man darf also erwarten, daß Obama demnächst einen Rückzieher machen und erklären wird, ein Abzug der US-Truppen sei „bedingungsgebunden“ – mit anderen Worten, wenn der Krieg bis Juli 2011 nicht gewonnen ist, wird kein einziger Soldat nach Hause kommen.

Obama droht das Schicksal Lyndon B. Johnsons

Wahrscheinlich wird es sich so abspielen: Bei der im Dezember anstehenden Revision der Afghanistan-Strategie wird Petraeus argumentieren, man mache zwar Fortschritte, könne aber unmöglich alle Ziele bis Juli 2011 erfüllen. Er wird Obama um mehr Zeit, vielleicht auch um mehr Soldaten ersuchen – weitere 20.000 oder 30.000, die benötigt würden, um seinen Auftrag auszuführen und zu gewährleisten, daß Afghanistan nicht erneut zu einem sicheren Asyl für al-Qaida wird. Im Dezember 2010 wird Obama sich also in derselben Lage befinden wie US-Präsident Lyndon B. Johnson im Dezember 1967, als General William Westmoreland 200.000 ihn aufforderte, weitere Soldaten zusätzlich zu den 500.000, die dort bereits im Einsatz standen, nach Vietnam zu schicken. Johnson weigerte sich. Während der rechte Republikaner-Flügel ihn angriff, weil er weder Hanoi bombardieren noch Haiphong durch eine Blockade isolieren wollte, machten sich die Senatoren Eugene McCarthy und Robert Kennedy im Wahlkampf um die demokratische Präsidentschaftskandidatur den Protest der Bevölkerung gegen den Krieg zunutze. Mit der Parole, nach fünf Jahren eines erfolglos geführten Krieges sei es höchste Zeit für einen Machtwechsel, erstritt sich Richard Nixon die republikanische Kandidatur. Angesichts dessen erklärte Johnson im März 1968, nicht wieder antreten zu wollen.

Wenn Obama sein Versprechen bricht, im Juli 2011 die ersten Soldaten nach Hause zu holen, wenn er Petraeus‘ Drängen nachgibt und statt dessen noch weitere Truppen entsendet, hätte das eine Spaltung seiner Partei und eine starke Opposition von links bei den 2012 anstehenden Vorwahlen zur Folge.

Wenn er aber seinem Vizepräsidenten den Rücken stärkt und an dem ursprünglich anberaumten Stichtag festhält, würde Petraeus vermutlich erklären, ihm seien die Hände gebunden und er weigere sich, einen nicht zu gewinnenden Krieg zu führen. Wenn er unter derartigen Bedingungen seinen Rücktritt erklären würde, wäre er für die Republikaner ein Held wie einst Douglas MacArthur und könnte durchaus zum Kandidaten für die Vizepräsidentschaft gekürt werden. Und dann müßte Oba­ma womöglich seine Koffer packen und zurück nach Chicago ziehen.

Wieviel klüger wäre es gewesen, McChrystal mit seinem Afghanistan-Plan siegen oder scheitern zu lassen. Ein Erfolg wäre auch ein Erfolg für Obama gewesen. Im Falle eines Scheiterns hätte Obama freie Hand gehabt, ihn abzuberufen und den Amerikanern zu erklären: „Wir haben unser Bestes gegeben, mit unserem besten General, mit allen Ressourcen, die er gefordert hat. Leider hatten wir keinen Erfolg damit. Jetzt kommen wir nach Hause.“

Diesen Ausweg verbaute er sich, indem er McChrystal entließ und das Schicksal seiner Präsidentschaft in die Hände von David Petraeus legte – ein brillanter Schachzug.

 

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift „The American Conservative“.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen