© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/10 16. Juli 2010

Pankraz,
A. Lutetia und der Komet Tschurjumow

Namen sind nicht Schall und Rauch, besonders im Himmel nicht. Das wissen wir spätestens seit dem Song von DJ Ötzi und Nik P, wo ein stürmisch Liebender seiner Geliebten einen gerade neu entdeckten Stern regelrecht „schenkt“,  also ihm ihren Namen verleiht, so daß die Liebe der beiden „alle Zeiten überlebt“. Das Liedchen ist sehr populär, es verkauft sich seit drei Jahren blendend.

Um so ernüchternder die letzte Mitteilung der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA, wonach soeben ein bisher unbekannter Riesenplanet im fernen Sternbild der Leier identifiziert – und feierlich auf den  Namen „WASP-3c“ getauft wurde. WASP-3c ist 700 Lichtjahre von der Erde entfernt und fünfzehnmal größer als sie. Er hätte sich blendend als Benenn-Objekt für romantische Liebespaare geeignet. Aber die Raumfahrtbehörde hat leider nicht den geringsten Sinn mehr für Romantik, nur noch für Mathematik und Himmelsgeometrie.

Früher war das bekanntlich anders. Die die Sonne umkreisenden Planeten heißen alle nach klassischen Göttern, Mars, Jupiter, Merkur, Pluto, und noch im Jahre 2004 bekam eine Raumsonde, die den Asteroiden Lutetia (zwischen Mars und Jupiter gelegen) ansteuern sollte, den schönen Namen „Rosetta“. Rosetta trifft Lutetia, was für ein schönes, klangvolles Stelldichein! Letzten Samstag ist dieses Stelldichein, wie Pankraz ebenfalls den Mitteilungen der ESA entnimmt, tatsächlich passiert – und war sehr erfolgreich.

Rosetta näherte sich Lutetia immerhin auf fast 3.000 Kilometer, und die Astronomen sind bereits eifrig mit der Auswertung der Aufnahmen beschäftigt, welche Rosetta von dem Ereignis gemacht hat. Die Zeitschrift Emma soll sich sehr für die Fotos interessieren. Freilich gibt es einen Wermutstropfen: Rosetta steuert jetzt, nach ihrer Affäre mit Lutetia, einen Riesenkometen an, und der trägt den bärbeißigen Namen „Tschurjumow-Gerassimenko“ (nach den zwei Forschern, die ihn einst entdeckt haben). Allerdings soll die Begegnung erst 2014 stattfinden, Rosetta könnte es sich noch einmal überlegen.

Es gibt unendlich viele Sterne am Himmel, und täglich werden neue erkannt und mit Namen versehen. Die Anzahl der Götter, die anfangs als Namenspaten herhielten, ist jedoch sehr begrenzt, und auch das Korps der Entdecker, die später den eigenen Namen für „ihren“ Stern begehrten, ist überschaubar. Außerdem geniert man sich inzwischen in Astronomenkreisen. Denn „entdeckt“ im Stile von Humboldt oder Herschel wird am Himmel schon lange nichts mehr. Alles ist nur noch Arbeit von Maschinen, und die Forscher in den Weltraumstationen  protokollieren nur noch, was die Maschinen ausdrucken.

Schier wundern muß man sich also, daß ESA, Nasa & Co., nachdem der Ötzi-Song „Ein Stern (der Deinen Namen trägt)“ in die Charts gekommen ist, noch nicht auf die famose Idee verfallen sind, Liebhabern und anderen Interessenten für ewiges Leben Sternennamen in aller Form zu verkaufen. Damit  wäre doch ein riesiges Geschäft zu machen! Und die finanzielle Situation der astronomischen Forschung überall, die so lautstark über die immer knapperen Etatzuwendungen für ihr angebliches „Orchideenfach“ klagt, wäre mit einem Schlag behoben.

Wie gesagt, Sterne und andere Himmelskörper, Quasare, Milchstraßen und Schwarze Löcher, gibt es genug und übergenug. Jeder Erdenbürger könnte für sich und seine Nachkommen respektive Vorfahren, vorausgesetzt er hat das Geld, ohne weiteres einen exklusiven Eintrag in den Registern der himmlischen Nomenklatura erwerben und  damit, nach menschlichen Begriffen, einen Platz für die Ewigkeit. ESA, Nasa und andere einschlägige Agenturen würden sich angesichts der zu erwartenden Gewinne im Nu über die gegenseitige Anerkennung der Einträge einigen.

Gelegentlichen Streit würde es wahrscheinlich trotzdem geben, etwa um die Preise oder um das „Recht“ von Menschenrechtsverletzern vom Schlage eines Hitler oder Slobodan Milosewic (bzw. ihrer Verwandtschaft), überhaupt einen Stern kaufen zu dürfen. Wie teuer ist eine Milchstraße im Vergleich zu einem Schwarzen Loch oder gar einem simplen Planeten? Was würde der Ötzi-Liebe mehr Leuchtkraft und Wärme verschaffen, ein vergleichsweise winziger Asteroid in Erdnähe oder ein wie wahnwitzig Radiowellen aussendender Quasar in 10.000 Lichtjahren Entfernung?

Aber es ist wohl klar: Wenn man Sternennamen kaufen könnte, hätten DJ Ötzi und Nik P gar nicht erst zu dichten und zu singen angefangen. Sie wollen für ihre Geliebte ja nicht nur Ewigkeit, sondern auch und vor allem Exklusivität, Einmaligkeit, Unverwechselbarkeit, mit einem Wort gesagt: einen Namen. Jeder hat letztlich für die Geliebte einen ganz eigenen Namen, auch wenn sie Schmidt oder Müller heißt, gerade dann. Das ist wie mit der Sprache insgesamt. Sie gehört allen, sie ermöglicht uns, schnelle Gemeinschaft herzustellen, sie liefert uns Begriffe, doch wir gehen nie gänzlich in ihr auf, als Liebende schon gar nicht.

Jeder hat seine ganz und gar eigene Sprache Wir suchen im alltäglichen Prozeß des Sprechens ständig nach dem Begriff, nach dem Allgemeinverständlichen, auf dem wir unsere Wörter unterbringen und verfügbar machen können. Doch diese unsere je eigenen Wörter leiden darunter, verlieren beträchtlich an Welthaltigkeit und Sinnhaftigkeit, am meisten natürlich, wenn es sich um Wörter der Liebe und der äußersten Vertrautheit und Vertraulichkeit handelt, also wenn man sich „Sterne schenkt“.

„Namen sind Schall und Rauch“, sagt man; angeblich hat das zum ersten Mal Goethe geschrieben, und zwar im „Faust“ (I/16). Der ganze Satz lautet dort indessen: „Name ist Schall und Rauch, / umnebelnd Himmelsglut“. Das wäre also eine höchst unerwartete, hochvornehme Deutung des harmlosen Ötzi-Liedes. Der Name der Geliebten als Stern  steht nicht einfach da, sondern er glüht. Anders als glühend kommt man offenbar nicht an den Himmel.

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