© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/10 16. Juli 2010

Die Kunst als Lebensaufgabe
Kritisch, kreativ und konservativ: Benjamin Jahn Zschocke macht Zeichnungen von Graf Stauffenberg
Hinrich Rohbohm

Ein Altbau in Chemnitz. Benjamin Jahn Zschocke bittet in sein Atelier. „Es ist etwas unaufgeräumt“, entschuldigt sich der 23jährige. Pinsel, Farbeimer und Farbflaschen bedecken bekleckste Tische. An der Staffelei hängt ein nicht ganz fertiggestelltes Gemälde. Die weißen Wände sind von bunten Bildern verdeckt. Pappkartons stapeln sich in der Ecke. „Eigentlich bin ich ein sehr ordentlicher Mensch“, beginnt Zschocke zu erzählen. Er achtet auf Etikette, verbeugt sich leicht bei der Begrüßung. „Man muß solide Grundpfeiler haben“, betont er stets. Bescheiden bleiben, nicht abheben: Das ist ihm wichtig – auch in der Malerei, bei seinen Werken. „Alles nur zu Geld machen wollen mag ich nicht. Es muß ausgereift und solide sein.“ Wieder dieses Wort, das seine konservative politische Grundhaltung unterstreicht.

„Alle meinen, Künstler sind linksalternativ“

Konsumkritischer konservativer Künstler – kann es so etwas geben? „Viele können sich das nicht vorstellen. Alle meinen immer, Künstler sind linksalternativ.“ Zschocke führt Ernst Jünger an: den Mann in Stahlgewittern, den sich die meisten mit ernsten, verkniffenen Zügen vorstellen, dessen boheme Seite aber oftmals ausgeblendet werde. „Malen ist harte Arbeit“, räumt der Blondschopf mit einem Vorurteil auf. Die zeitliche und physische Belastung sei hoch. „Ich mal da schnell mal was, ist nicht so“, beginnt er das verklärte Bild vom Künstlerleben einzureißen. Als Freischaffender muß er vielseitig sein, kaufmännische Aufgaben verrichten, Rechnungen schreiben, Buchführung betreiben. Er malt nachts; manchmal bis vier Uhr morgens. Vier bis fünf Stunden Schlaf am Tag sind für ihn keine Seltenheit.

Das Malen hat er „autodidaktisch“ gelernt. In seiner Schulzeit belegte er am Dr.-Wilhelm-André-Gymnasium Kunst als Leistungsfach. „Unterfordert“ sei er dort gewesen. Die Bestnote von 15 Punkten erreichte er mühelos. Tagsüber sitzt der Karatesportler mit zweifachem schwarzen Gürtel im Büro der Stadtratsfraktion von Pro Chemnitz, organisiert die Fraktionsarbeit, koordiniert den Schriftverkehr. Aber: Ein Vollblutpolitiker ist er nicht. Will er auch nicht sein. Die Kunst steht bei ihm an erster Stelle. „Das ist meine Lebensaufgabe.“ Der junge Mann mag „das Parteiengezänk“ nicht. Ein politischer Künstler möchte er nicht sein, wenngleich ihm manche genau das unterstellen wollen.

So geschehen im Oktober 2008. Das berufliche Schulzentrum an der Lutherstraße hatte in seiner Kantine ein Wandbild einweihen wollen. Benjamin Jahn Zschocke hatte es entworfen. Zehn Meter breit, drei Meter hoch. Titel: „Chemnitz – Stadt der Moderne“. Das Opernhaus ist darauf zu sehen; die Markthalle – bunt dargestellt. Im Krieg zerstörte Bauten wie die St. Nikolaikirche sind grau gezeichnet. Zschocke, der 2005 mit dem Wolfgang-Weidlich-Preis der Stadt Chemnitz ausgezeichnet worden war, hatte einen Vertrag mit dem Förderverein des Schulzentrums. Eltern, Schüler und Lehrer bekamen einen Entwurf des Gemäldes zu sehen. Einwände: keine. Dennoch wird die für den 9. Oktober 2008 geplante Einweihungsfeier abgesagt – auf Drängen der Stadtverwaltung.

Bild zu „aufgedrängter Kunst“ erklärt

Offizielle Begründung aus dem Rathaus: Die Schulleitung hätte die Stadt im Vorfeld informieren müssen. Der Hintergrund ist ein anderer: Benjamin Jahn Zschockes als „rechts“ bezeichnete politische Gesinnung. Das bis dato allgemein akzeptierte Bild wird von der Stadtverwaltung zu „aufgedrängter Kunst“ erklärt.

Ein auf die Kuppel der Markthalle gezeichnetes Keltenkreuz wird für anstößig befunden: weil jenes Element sakraler mittelalterlicher Kunst auch das White-Power-Symbol amerikanischer Neonazis darstellt, meint Petra Zais, Vorstandsmitglied der Chemnitzer Grünen und Mitarbeiterin des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus. Die 53jährige war 1977 in die SED eingetreten. In den achtziger Jahren unterrichtete sie als Lehrerin an der Bezirksparteischule von Mittweida.

Die kommunistische Vergangenheit der anklagenden „Rechtsextremismus-Expertin“ blieb in der Medienberichterstattung über das umstrittene Gemälde unerwähnt, während die Chemnitzer Morgenpost einen Kommentar hierüber mit „Braune Farbtupfer“ tituliert. Doch Benjamin Jahn Zschocke ist weder Neonazi noch NPD-Mitglied. Und auch mit seinem Wandgemälde habe er keine politische Botschaft vermitteln wollen. „Ich bin kein politischer Künstler“, wiederholt er. „Suchen Sie hier irgendwo nach politischen Symbolen, da ist nichts“, versichert er, auf seine Werke im Atelier zeigend. Ein jüdischer Auschwitz-Überlebender wurde schließlich zu Rate gezogen, der das Bild im Februar vorigen Jahres begutachtete – und nichts Anstößiges daran zu finden vermochte. Auch bei Bürgern geriet die zensorartige Haltung der Verwaltung in die Kritik. Die Stadt solle sich für die Probleme in Schulen einsetzen, anstatt die Zeit mit solchen Kindereien zu vertrödeln, heißt es in einem Leserbrief an die Chemnitzer Freie Presse.

Die Stadt ließ das Bild dennoch entfernen. Eine Maßnahme, die Widerstand hervorrief. Junge konservative Aktivisten verbarrikadierten sich aus Protest in der Schulkantine, verstellten das Bild mit Tischen und Stühlen und forderten eine Entscheidung der Stadt gegen die Gemälde-Entfernung. Die Polizei stürmte den Raum, führte die Aktivisten in Handschellen ab. Zschocke durfte sein Wandbild noch einmal fotografieren. Er läßt es später auf Papier drucken, bietet es im Internet zum Verkauf an. Mit Erfolg. „Die waren innerhalb von zehn Minuten alle weg“, erinnert er sich.

Die Gemälde-Diskussion und das darauf folgende Medienecho haben  Zschocke Ärger, aber auch überregionale Bekanntheit verschafft. Ein späterer Kunde wird auf ihn aufmerksam, stöbert auf den Internetseiten des Künstlers. Und entdeckt dabei Zeichnungen von Graf Stauffenberg, Friedrich dem Großen sowie Friedrich Nietzsche. Der Mann ist begeistert. „Können Sie mir das auf Leinwand malen?“ fragt er. Jahn Zschocke kann, verbucht innerhalb kürzester Zeit einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Mittlerweile hat er sogar Ausstellungen im Ausland, wie jüngst in der Altstadt von Lissabon. Und auch bei den Chemnitzer Bürgern ist er nicht in Ungnade gefallen. Im Gegenteil: Zschocke wurde bei der letzten Kommunalwahl auf der Liste von Pro Chemnitz in den Stadtrat gewählt.

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