© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/10 16. Juli 2010

Die Globalisierung der Dummheit
Masse statt Klasse: Dem gigantischen Informationsangebot in Fernsehen und Internet folgt qualitativer Verfall und Manipulierbarkeit
Bernhard Knapstein

Das Internet ersetzt zunehmend die Holzmedien. Der Publizist Markus Reiter hat sich in vielen Gesprächen mit Bloggern und Journalisten angesichts wegbrechender Printmedien mit den Gefahren des Internet auseinandergesetzt. Reiter stellt drei Medienrevolutionen fest: Nach der Entwicklung der Schrift im Altertum und der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg stelle sich die Erfindung des Internet als die dritte Medienrevolution dar. Tatsache ist, das Internet ist rasant schnell, bietet ein schier endloses Meer an Informationen, und jeder kann hier mehr oder weniger anonym sein Wissen oder Nichtwissen plazieren und durch eine möglichst attraktive Verpackung auch Glaubwürdigkeit suggerieren. Dienste wie Twitter haben den Informationsfluß noch weiter beschleunigt – vordergründig vorteilhaft, tatsächlich aber wachsen die Gefahren für Bildung, Kultur und Demokratie immens.

Die Erbsünde des Internet macht Reiter in seiner Unentgeltlichkeit aus, die irreversibel scheint. Selbst Mediengiganten wie Rupert Murdoch oder der deutsche Springer-Konzern scheinen mit ihrem Bemühen, für Mediennutzung im Internet Gebühren zu erheben, kaum Erfolg zu haben. Es herrsche inzwischen ein regelrechter Krieg zwischen Bloggern auf der einen Seite und den traditionellen Medien auf der anderen. Stein des Anstosses ist zunächst das Urheberrecht, durch das sich das Erarbeiten von Wissen und Information, das Komponieren von Musik und das professionelllen Fotoarbeiten erst bezahlt macht.

Sollte das Urheberrecht fallen, sollte die geistige Arbeit nicht mehr bezahlt werden, dann verfällt nach Auffassung Reiters die hohe Kultur zur unverbindlichen Feierabend-Kultur und veritable Information gibt es allenfalls noch für eine Wissenselite, während das Bildungsprekariat mit kostenlosen PR-Texten manipuliert wird. Was Reiter nicht anspricht: Es gefährdet sogar unser komplexes Wirtschaftsleben, da hinter dem Urheberrecht das Patentrecht als nächster Dominostein steht. Gerade Deutschland lebt aber von seinen Köpfen, Ideen und Erfindungen. Das geistige Eigentum ist die Basis unseres Erfolgs.

In den zahllosen Blogs wird in der Tat weniger Information vermittelt, sondern fast nur Meinung produziert. Auch Grammatik, Rechtschreibung und Interpunktion befinden sich hier oft im freien Fall. Das gilt auch für freie Online-Enzyklopädien, allen voran Wikipedia. Diese haben bei Schülern und Studenten längst den Brockhaus und andere von Wissenschaftlern erarbeiteten Nachschlagewerke ersetzt. Bisher wurden Experten für die sinnvolle Sammlung, Selektion und Vermittlung von Wissen bezahlt. Jetzt gibt es vermeintliches Wissen umsonst von Lieschen Müller. Die schreibt nämlich das Online-Lexikon, und was sie heute einträgt, das kann sie schon morgen wieder austragen oder ändern.

Unzulänglichkeit und Beliebigkeit flüchtigen Wissens ersetzen somit die klassische Bildung. Das Problem daran: Da selbst Lehrkräfte zunehmend auf Wikipedia und auf andere, sich in ansprechender Aufmachung gebende Internetseiten zugreifen, gibt es kaum noch ein Korrektiv. Internet-Apologeten, so Reiter, widersprechen dem zwar mit dem Argument der Schwarmintelligenz, wonach die Masse der Internet-Nutzer etwaige Fehler schon ausbügle. Da aber die erforderliche Allgemeinbildung sowie insbesondere das notwendige Interpretationswissen fehlen und der Ungebildete vom Ungebildeten abschreibt, ist „Dumm 3.0“ für Reiter die logische Folge.

Reiter erliegt nicht dem Versuch, das Internet eo ipso zu verdammen und das eigene Lager des traditionellen Journalismus uneingeschränkt zu rechtfertigen. Auch hier sieht er deutliche Mißstände. Es ist Reiters Verdienst, diese Gefahren tiefschürfend analysiert und belegt zu haben sowie auch Schritte zur Lösung aus dem Medien-Dilemma aufzuzeigen.

Daß auch das Fernsehprogramm seit Einführung der Privatsender nicht nur vorteilhafter geworden ist, sollte hinlänglich bekannt sein. Der Kulturjournalist Alexander Kissler hat mit seinem Buch „Dummgeglotzt“ nun die gängigsten Formate des täglichen Fernsehprogramms sprachgewaltig und detailversessen seziert. Zynisch beschreibt er, was wir vorgesetzt bekommen: Mitmenschen aus den Reihen des Prekariats, allen voran Nudisten und Pornodarsteller, die ernst genommen werden sollen, Schönheits-Operationen, die den Betrachter zur Prüfung des eigenen Fleisches und zur Nachahmung animieren, „verhartzte“ Jugendliche, die sich in den Haaren liegen, öffentlich-rechtlicher Kitsch, Volksmusik und Schlagerette, Kochshows sowie die Gesprächsrunden bei Kerner, Will & Co.– das sind Kisslers Primär­opfer aus den Untiefen der deutschen Fernsehkultur.

Kissler läßt aber auch an den Sendungen des vermeintlichen Qualitätsfernsehens der Dritten kein gutes Haar. Zudem erhalte das ZDF jährlich satte 1,7 Milliarden Euro aus dem Gebührentopf, stelle aber zu den anderen öffentlich-rechtlichen Anstalten keine Alternative dar. Überall nur Quote, Sensation und Superstars. Es bleibt nicht viel übrig. Lediglich Nachrichten- und Sportsendungen bleiben von Kissler verschont, jedenfalls erwähnt er sie nicht. Seine simple Lösung gegen die Verdummungsindustrie: ZDF auflösen und Fernseher abschalten! Da beide Schritte kaum realisiert werden dürften, wird die Verblödung weiter zunehmen – Dummheit wird globalisiert. Es ist fraglich, ob künftig jenseits einer Wissenselite die Bildung noch zu retten ist.

Markus Reiter: Dumm 3.0. Wie Twitter, Blogs und Networks unsere Kultur bedrohen. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2010, gebunden 192 Seiten, 17,95 Euro

Alexander Kissler: Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2009, gebunden, 192 Seiten, 16,95 Euro

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