© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/10 23. Juli 2010

Frei von Überraschungen
Nordrhein-Westfalen: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat sich bei der Bildung des rot-grünen Kabinetts einige Absagen eingehandelt
Ansgar Lange

Als „Koalition der Einladungen“ verkaufen die neue nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und ihre Koalitionspartnerin Sylvia Löhrmann (Die Grünen) ihr Kabinett. Doch den „Einladungen“ sind selbst manche Parteifreunde nicht gefolgt. Offenbar hat sich Frau Kraft bei der Besetzung der Ministerposten bei dem Gelsenkirchener Finanzexperten Joachim Poß, dem Berliner Finanzstaatssekretär Werner Gatzer sowie der Münsteraner Universitätsrektorin Ursula Nelles (alle SPD) Absagen eingehandelt. Sie wollten augenscheinlich keiner von der Linken tolerierten Minderheitsregierung angehören, der vielleicht nur ein paar Monate Regierungsverantwortung beschieden ist.

Der Spiegel schieb daraufhin mit Blick auf die Minister von einem „Kabinett der Nobodys“. Zwar ist es Hannelore Kraft gelungen, die Namen ihrer zukünftigen Minister möglichst lange geheimzuhalten, doch die Überraschung bei der Präsentation ihrer Mitstreiter hielt sich in Grenzen. Die Mutlosigkeit bei der Kabinettsbildung schlägt sich auch darin nieder, daß peinlich genau darauf geachtet wurde, den Geschlechter- und Reginalproporz zu wahren. Gleichzeitig wurden soweit wie möglich die Ansprüche von Fraktion und Partei zufrieden gestellt.

Sieben der zwölf Minister haben bei ihrer Vereidigung die Worte „Ich schwöre“ mit dem Zusatz „So wahr mir Gott helfe“ versehen. Göttlichen Beistand dürfte insbesondere Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) benötigen. Zum einen muß der ehemalige Regierungssprecher von Johannes Rau und Kölner Wirtschaftsdezernent für die Einlösung teuerer Wahlversprechen eine exorbitante Neuverschuldung verantworten. Zudem dürfte es auf lange Sicht nicht nur guter Argumente bedürfen, um die ausgabenfreudige Linkspartei bei Laune zu halten, und Rot-Grün damit die Mehrheit zu sichern.

Als politisches Schwergewicht besetzt die frühere Lehrerin Sylvia Löhrmann das Schulressort. Ihr Wunsch, einen „Schulkrieg“ zu vermeiden, dürfte sich kaum erfüllen. Denn mit der Idee der Gemeinschaftsschule wollen die Grünen gemeinsam mit den Sozialdemokraten die Bildungslandschaft umkrempeln. Ob sich die Eltern dies klaglos gefallen lassen werden, scheint nicht erst seit dem Volksentscheid in Hamburg fraglich. Ansonsten sind die Grünen, die darauf Wert gelegt haben, mit der SPD „auf Augenhöhe“ zu verhandeln, als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Sie besetzen mit Barbara Steffens (Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter) sowie Johannes Remmel (Klimaschutz, Umwelt, Natur und Landwirtschaft) zwar vertraute, aber nicht unbedingt die entscheidenden Ministerien. Für ein klassisches Ressort wie Finanzen, Innen, Wirtschaft oder Justiz fehlte dann wohl doch der Mut – und vielleicht auch das nötige qualifizierte Personal.

Und wie sieht es bei der SPD aus? Mit den meisten Namen können nur Eingeweihte etwas anfangen. Schon im Wahlkampf war DGB-Landeschef Guntram Schneider als künftiger Minister für Arbeit, Integration und Soziales gehandelt worden. Er könnte die Nachfolge des selbsternannten „Arbeiterführers“ Jürgen Rüttgers antreten. Der körperlich massige Schneider dürfte einen kurzen Draht zum ebenfalls stark sozial verorteten neuen CDU-Fraktionsvorsitzenden Karl-Josef Laumann haben. Beide sind das, was man umgangssprachlich wohl als „echte Kerle“ bezeichnen würde.

Mit Ute Schäfer sitzt eine alte Bekannte als neue Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport am Kabinettstisch. Sie war zwischen 2002 und 2005 bereits Bildungsministerin. Fraktionsvize Ralf Jäger – zu Oppositionszeiten ein Mann fürs Grobe – wird neuer Innenminister. Er war seit Ende 2004 Sprecher der SPD-Landtagsfraktion für die Innen-, Rechts- und Kommunalpolitik. Svenja Schulze wiederum übernimmt das Wissenschaftsressort, Angelica Schwall-Düren die Europa-, Medien- und Bundesangelegenheiten, Thomas Kutschaty das Justizressort. Harry Kurt Voigtsberger, bisher als Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland tätig, führt künftig das neue Superministerium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr.

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