© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/10 23. Juli 2010

Schwamm drüber
Internet: Die Universität des Saarlands hat einen „digitalen Radiergummi“ entwickelt
Richard Stoltz

Anfang August soll es soweit sein. Die Universität des Saarlands will den Prototyp eines definitiven und absolut sicheren „digitalen Radiergummis“ vorstellen, auf den so viele Internetnutzer so sehnsüchtig warten. Man darf wirklich gespannt sein. Ausgepichte Informatiker mißtrauen der Ankündigung, artikulieren höhnische Skepsis, und bereits existierende „digitale Radiergummis“ rechtfertigen ihre Skepsis auch vollauf.

Denn die bisherige Erfahrung war leider eindeutig, sie lautete: Einmal im Netz – immer im Netz. Es gab einfach keine Möglichkeit, einmal gemachte Einträge komplett und auf Dauer zum Verschwinden zu bringen. Irgendwo und irgendwie, so realisierten die Radierer seufzend, blieb die „Datei“ doch noch abrufbar und nachlesbar, man mußte nur ein raffinierter Sucher und Hacker sein. Wer ins Internet ging, der hatte (und hat bis heute) damit zu rechnen, daß auch noch der letzte kleine Ausrutscher oder der allerbeiläufigste Quiekser von ihm gewissermaßen für die Ewigkeit registriert wird.

Manche Zeitgenossen freuen sich darüber. „So etwas erzieht zu Disziplin und genauem Überlegen“, argumentieren sie, „wer den Mund nicht halten kann, der muß eben mit Konsequenzen rechnen.“ Aber solches Reden ist durch und durch unrealistisch und letztlich geradezu unmenschlich. Zum gesellschaftlichen Umgang gehörte seit jeher die Devise „Schwamm drüber!“, und das galt auch für schriftlich fixierte Sachen. Es muß eine Möglichkeit geben, eine Sache gründlich und ein für allemal zu entsorgen. Daß eine populäre und weltweit operierende Agentur, das Internet, daherkommt und so tut, als wäre ein „Schwamm drüber!“ ums Verrecken nicht mehr möglich, das ist ein riesiger Skandal. Wenn der neue digitale Radiergummi hier tatsächlich Abhilfe schaffen würde, wäre das einen Nobelpreis wert.

Übrigens soll es gar kein richtiger Radiergummi sein, sondern eine Art Terminator. Jeder Nutzer soll in die Lage versetzt werden, jedem seiner Einträge ein Verfallsdatum anzufügen, mit dessen Ablauf der Eintrag dann endgültig ins unabrufbare Nichts verschwindet. Nun, lassen wir uns überraschen! Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

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