© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  30/10 23. Juli 2010

Bewußtsein durch Kontrast
Romantiker in dürftiger Zeit: Wolf von Niebelschütz
Harald Harzheim

Wer Kultbücher an die Öffentlichkeit zerrt, ist ein Spielverderber. Deshalb hätte man auch ihn weiter beschweigen sollen. Aber jetzt ist es zu spät. Selbst die taz hat auf seinen 50. Todestag (22. Juli) verwiesen: Die Rede ist von dem Dichter und Schriftsteller Wolf von Niebelschütz.

In Berlin als Sproß einer schlesisch-böhmischen Adelsfamilie 1913 geboren, publizierte er 1939 erste Lyrik. Nach dem Krieg folgten Prosa, Dramen und Romanwerk. Während die Gruppe 47 literarische Breitenwirkung erlangte, asketische Alltags- und Elendsbeschreibung sowie einen Naturalismus der Zerknirschung im bescheidenen Stil etablierten, setzte Niebelschütz auf Mythos und Sprachgewalt, rekurrierte er auf Weltverständnis aus dem Überzeitlichen. Seine Bewunderer mochten von geringer Zahl gewesen sein, ihre Namen sind dafür um so gewichtiger: Hermann Hesse, Hans Wollschläger, Eckhard Henscheid und Arno Schmidt beispielsweise. Daß Schmidt auch den vergessenen Friedrich de la Motte Fouqué ausgrub, ist kaum zufällig: Schließlich waren beide – Niebelschütz und de la Motte Fouqué – Romantiker in dürftiger Zeit, die ihre Gegenwart in üppigster Vergangenheit, in farbigen Ritter- und Sagenwelten spiegelten. Das war in beiden Fällen kein Realitätsverlust, sondern ein Verfremdungseffekt, der durch extremen Kontrast Bewußtsein schafft.

So provozierte Niebelschütz im Jahre 1949, die Stunde Null war noch nicht überstanden, mit seinem tausendseitigen Roman „Der blaue Kammerherr“, einer literarischen Farbpalette, angesiedelt im verschwenderischsten Barock, in dem Don Giovanni zum Helden einer aktualisierten Danae-Version avanciert. Bei einer Schiffsfahrt durch die Ägäis umfächelt ihn ein Bediensteter „mit einem Wedel von weißen Straußenfedern, schäumende Delphine sprangen aus der aquarellblauen See, ein zärtlicher Wind erhob sich“, und so weiter.

Was für ein Kontrast zum damaligen Trümmeralltag! Wirklich? Immer wieder streut der Autor Ermüdung und Lebenszweifel ein, dringt er ohne Pathos zur fundamentalen Krise des Abendlandes vor: „Die alten Götter waren tot, jene heiteren deutlicher liebenswerten Götter, die man so gerne verehrt hatte, weil man wußte, auch in ihren Seelen wohnten der Regungen einige, die den Menschen zu einem Gott und den Gott zu einem Menschen machen.“ 

Bis heute erscheint Niebelschütz’ Werk in limitierten Neuauflagen, weiterhin findet eine kleine Leserschaft zu ihm. Möge das so bleiben und ihm eine Breitenwirkung post mortem erspart bleiben. Wer ihn wirklich braucht, wird zu ihm finden, früher oder später.

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