© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

Aufgeschnappt
Majuskeln und Denkpausen
Matthias Bäkermann

Im Dezember 1983 führte die Wochenzeitung, eine linke Genossenschaftszeitung der deutschsprachigen Schweiz, erstmals das sogenannte Binnen-I als Tribut an eine feministische Linguistik verbindlich ein, 1989 zog in Deutschland die taz mit dieser Schreibweise nach. Konsequent mutete man aber dieses schwer lesbare Majuskel-I den LeserInnen nie zu und wich in letzter Zeit sogar vermehrt wieder davon ab.

Diese memmenhafte Nachgiebigkeit ist allerdings nichts für die Antifas vom linken Narrensaum. Dort will man klare Kante zeigen und dokumentiert journalistischen Pioniergeist. Im Berliner Szeneheftchen Antifaschistisches InfoBlatt geht man nämlich den nächsten Schritt und kündigt seinen Lesern in der Sommerausgabe an, künftig einen Unterstrich „_“ zwischen männlicher und weiblicher Form eines Wortes „als geschlechtsneutrale“ Schreibweise zu verwenden. „Damit wollen wir deutlich machen, daß neben männlichem und weiblichem Geschlecht noch andere Geschlechtsidentitäten existieren und diese ebenfalls in unseren Texten sprachlich darstellen.“ Diese als „Gender-Gap“ bezeichnete und aus der Queer-Theorie stammende Weiterentwicklung des Binnen-I wird allerdings nicht für alle Menschen angewandt: „Ausgenommen sind hiervon Gruppen und Personen, die aufgrund ihrer Ideologie explizit für eine zweigeschlechtliche Gesellschaft (...) eintreten“, erklärt die Redaktion ihre_seine linguistische Rigorosität. So wird man wohl bei den „Genoss_innen“ bei ihrem Antifa-Neusprech auf den Begriff „Faschist_innen“ weiterhin verzichten müssen – womöglich bleiben aber auch wir „heteronormative“ Spießer davon ausgenommen.

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