© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

Zentralgestirn
Politische Zeichenlehre CIV: Sonne
Karlheinz Weissmann

An der „Macht der Sonne“ dürfte in den letzten Wochen kein Zweifel bestanden haben. Im Hochsommer wird dem Mitteleuropäer aber nur eine Potenz ins Bewußtsein gerückt, die der Mensch seit alters verehrt und fürchtet. Sonnenreligionen, die die lebenspendende oder lebenszeugende Kraft des großen Gestirns feiern, gibt es praktisch in allen Kulturkreisen. Früh wurden entsprechende Glaubensvorstellungen mit dem Königtum in Verbindung gebracht, und Sonnensymbole finden sich auf babylonischen Rollsiegeln ebenso wie im Ornat altägyptischer, altindischer, chinesischer, japanischer, hellenistischer und römischer Gottherrscher; solare Aspekte spielten außerdem eine wichtige Rolle in den politischen Theologien der vorkolumbischen Staaten Mittel- und Südamerikas.

Einen späten Abglanz dieser Tradition bildete das „Sonnenkönigtum“ Ludwigs XIV., der das Sonnenzeichen nicht nur auf seine persönliche Standarte, sondern auch auf zahlreiche Medaillen setzen ließ und ein ganzes System allegorischer Bezüge entwickelte, um dieses sprechende Symbol absoluter Herrschaft adäquat und immer wieder zum Ausdruck zu bringen. Er fand damit Nachahmer unter vielen europäischen Monarchen.

Wo sich entsprechende Überlieferungen der Herrschaftsauffassung bis in die Gegenwart erhielten, gab und gibt es eine auf die Sonne bezogene Symbolik. So führte der Schah von Persien bis zum Untergang der Monarchie einen mit Krummschwert bewaffneten, gekrönten Löwen vor aufgehender Sonne (am Rande: auch der Löwe wurde traditionell als Sonnensymbol aufgefaßt). Das berühmteste Beispiel für die Sonne als Sinnbild ältester Vorstellungen vom Kaisertum bildet ohne Zweifel die japanische Flagge, die einen roten Kreis auf weißem Feld zeigt; die Kriegsflagge ist durch die hinzugefügten Strahlen noch eindrucksvoller.

Eher in einem allgemein positiven Sinn wurde die Sonne von verschiedenen modernen politischen Bewegungen verwendet; darunter die Arbeiterbewegung und die Kommunisten im besonderen, die – schon als Beizeichen des sowjetischen Wappens, dann noch im FDJ-Emblem – den Sonnenaufgang bevorzugten, oder die nationalchinesische Kuomintang, deren weißes Sonnenemblem mit zwölf Strahlen auf blauem Feld in die Flagge von Taiwan übernommen wurde.

Einen der heftigsten symbolpolitischen Konflikte der letzten Zeit gab es um die „Sonne von Vergina“. Nachdem 1977 ein Sonnenemblem auf einem antiken makedonischen Königsgrab gefunden worden war, das die Überreste Philipps II. barg, des Vaters Alexanders des Großen, hatten verschiedene griechische Institutionen dieses Zeichen als Logo verwendet. Dann beschloß aber am 11. August 1992 das Parlament der neu gegründeten Republik Mazedonien, daß die Nationalflagge des auf dem Boden des ehemaligen Jugoslawien geschaffenen Staates ein rotes Tuch mit sechzehnstrahliger goldener Sonne zeigen und die Sonne von Vergina zukünftig als Wappen verwendet werden sollte.

Griechenland, das sowohl auf die Sonne von Vergina als auch auf den Namen „Mazedonien“ Anspruch erhob, protestierte scharf gegen diese Entscheidung. Es kam zu einer Auseinandersetzung, bei der jede Seite die Sonne von Vergina reklamierte. Der Streit endete erst, als Griechenland Mazedonien mit Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft zwingen konnte, die Sonne von Vergina aufzugeben und in der Flagge stattdessen einen gelben Kreis auf rotem Grund mit acht auseinanderstrebenden Strahlen in Gelb anzunehmen.

Eher auf die politischen Binnenkonflikte in den Industriestaaten ausgerichtet ist das Emblem der Anti-Atomkraft-Bewegung: eine rote Sonne auf gelbem Kreis, dazu die Inschrift „Atomkraft – Nein danke!“ Es handelt sich um das wohl erfolgreichste Werbemittel des ökologischen Protestes, das am Ende der siebziger Jahre entstand. Seinen Ursprung hatte es in einem entsprechenden Button beziehungsweise Aufkleber der dänischen Anti-Atomkraft-Bewegung, die sich 1979 nach dem Reaktorunfall im amerikanischen Harrisburg bildete. Von hier aus wurde es in zahllosen Ländern übernommen und um Varianten erweitert. Abgesehen vom Optimismus, den das Lächeln der Sonne ausdrücken sollte, ging es natürlich auch noch darum, die sanfte, vor allem die Solarenergie, als Alternative zum Atomstrom zu propagieren. Seit dem Wiederaufflammen des altneuen Streits um das Endlager Gorleben hat dieses schon fast vergessene Symbol deutlich Präsenz zurückgewonnen.

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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