© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

In den Kriegen fielen die letzten Hemmungen
Natur als Daueropfer: Die Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko ist in der Geschichte der Ölverpestungen eine weitere Episode
Wolfgang Kaufmann

Am 22. April 2010 sank die BP-Bohrplattform „Deepwater Horizon“ infolge einer schweren Erdgasexplosion, welche sich zwei Tage zuvor ereignet hatte. Ursache dieses Unglücks mitten im Golf von Mexiko war das Versagen des sogenannten Blowout-Preventers, einer Schutzvorrichtung am Meeresboden, die den unkontrollierten Austritt von Öl und Gas verhindern sollte. Nach der Havarie strömten bis zum vorläufigen Verschluß des Bohrloches am 15. Juli zwischen 350.000 und 600.000 Tonnen Rohöl aus (genauere Angaben sind aufgrund des hohen Gasanteils schwierig).

Das erlaubt es natürlich allemal, von einer wirklich dramatischen Umweltkatastrophe zu sprechen. Diese jedoch zu einem singulären Ereignis hochzustilisieren, wie manche Medien dies zwischenzeitlich getan haben, geht an der Realität vorbei. Immerhin gab es in der Vergangenheit schon viele ähnlich schwerwiegende Vorfälle beim Bohren nach Öl. Legendär ist dabei der gigantische „Blow-out“ auf dem kalifornischen Midway-Sunset Oil Field, in dessen Folge zwischen März 1909 und November 1911 geschätzte 1,23 Millionen Tonnen Rohöl versprudelten. Noch riskanter als die anfänglich nur an Land betriebene Förderung war freilich der Transport über See. Immerhin kam es seit der Strandung der „Thomas H. Lawson“ im Jahre 1909 zu über 150 weiteren großen Tankerhavarien, bei denen mindestens sechs Millionen Tonnen des „Schwarzen Goldes“ ins Meer gelangten: So flossen im März 1978 aus der zerbrochenen „Amoco Cadiz“ 228.000 Tonnen iranisches Rohöl aus; die Folge war eine Verschmutzung der bretonischen Küste über eine Länge von 400 Kilometern. Ähnliche Folgen zeitigten auch die Havarien der „Torrey Canyon“ (1967 vor Cornwall), „Urquiola“ (1976 vor La Coruña), „Irenes Serenade“ (1980 vor Pylos), „Castillo de Bellver“ (1983 vor Kapstadt), „Haven“ (1991 vor Genua) oder „Exxon Valdez“ (1989 vor Alaska).

Doch damit nicht genug: Unfälle in küstennahen Einrichtungen wie Öltanks bzw. -terminals zogen ebenfalls erhebliche Meeresverschmutzungen nach sich. Hier gab es seit 1945 etwa dreißig größere Störungen, die zu einem Gesamtschadstoffeintrag von 350.000 Tonnen führten (besondere Erwähnung verdient dabei das Auslaufen des BP-eigenen „Forcados Tank 6“ in Nigeria im Sommer 1979 – damals lag der Ölverlust bei 86.000 Tonnen). Schwere Pannen auf Bohrinseln wie der „Deepwater Horizon“ trugen in etwa vierzig Fällen zu einer weiteren Erhöhung der Schadensbilanz bei. Insgesamt traten bei früheren Unfällen mit Offshore-Plattformen über zwei Millionen Tonnen Rohöl aus, wobei der Golf von Mexiko schon immer überproportional betroffen war. Dies resultierte jedoch weniger aus Störungen auf den Bohrinseln westlicher Betreiber. Vielmehr war der mexikanische Staatskonzern Pemex bisher der Hauptverschmutzer.

Man denke nur an den fatalen Ventildefekt auf der „Sedco 135 F“ im Juni 1979, in dessen Folge allein schon 480.000 Tonnen Öl ausströmten. Die also knapp 8,5 Millionen Tonnen Öl, welche bereits vor dem 20. April 2010 für eine Schädigung des maritimen Ökosystems sorgten, stellen jedoch nur die eine Seite der Medaille dar. Hier handelt es sich nämlich lediglich um die Folge technischen oder menschlichen Versagens, mithin also von Fahrlässigkeit.

Allein im Zweiten Weltkrieg wurden 700 Tanker versenkt

Darüber hinaus gab es aber auch kriegerische Handlungen, in deren Verlauf ebenfalls große Mengen Öl freigesetzt wurden – und zwar vorsätzlich! Das begann schon im Ersten Weltkrieg, als die Kampfparteien keine Skrupel mehr hatten, Tanker der Gegenseite auf Grund zu schicken. Dann kam der Zweite Weltkrieg, in dem weit über 700 Tanker versenkt und wohl noch einmal so viele beschädigt wurden. Dies sorgte für die „Verklappung“ von weiteren Millionen Tonnen; über die exakte Menge ist sich die Forschung bis heute nicht im klaren. Auf jeden Fall waren praktisch alle Seegebiete rund um den Globus betroffen.

Ebenso muß es zu gravierenden Verschmutzungen der Uferzonen gekommen sein, schließlich sanken mindestens sechzig der Tanker in weniger als zehn Kilometer Abstand von der Küste. Ein Brennpunkt war wiederum der Golf von Mexiko: Die hier lauernden deutschen U-Boote hatten den expliziten Auftrag, den Ölnachschub der Alliierten zu attackieren, weshalb Seekriegshistoriker von einem regelrechten „Tankerkrieg“ sprechen. So verloren die USA und Großbritannien 1942/43 im Seeraum vor Louisiana, Texas und Florida 14 ihrer Tanker. Manche der Schiffe endeten dabei in unmittelbarer Landnähe, wie die „Virginia“, welche am 12. Mai 1942 vor der Mississippi-Mündung torpediert wurde – in Kenntnis der Katastrophenbilder von heute kann man sich unschwer vorstellen, was das für die Region bedeutet haben muß. Dieser ökologische Wahnsinn wiederholte sich im zweiten großen „Tankerkrieg“ der Geschichte, der von 1984 bis 1987 andauerte. Während der dergestalt betitulierten Episode des Golfkrieges zwischen dem Iran und dem Irak wurden nochmals 234 Tanker attackiert und im Einzelfall auch versenkt. Öleintrag ins Meer: eine weitere Million Tonnen. Dazu sind die Umweltschäden durch Angriffe auf Verladeterminals und Off-shore-Anlagen zu addieren.

Kriege bewirken wesentlich gefährlichere Umweltfolgen

Beispielsweise flossen allein durch den Raketentreffer auf der iranischen Plattform „Nowruz 4“ am 2. März 1983 über 100.000 Tonnen Rohöl aus. Und dann wären da noch die blindwütigen Exzesse während Saddam Husseins Rückzug aus dem besetzten Kuwait Anfang 1991, also zum Ausklang des zweiten Golfkrieges. Die „Mutter aller Schlachten“ endete nicht nur mit der Sabotage an 800 kuweitischen Ölquellen an Land, in deren Folge an die 155 Millionen Tonnen Öl verbrannten und weitere 45 Millionen Tonnen im Boden versickerten. Der „Irre von Bagdad“ (Bild) ordnete auch die Beschädigung des am Persischen Golf gelegenen Terminals Al-Ahmadi an, was zur Freisetzung von bis zu 1,1 Millionen Tonnen Rohöl führte. Die Folgen dieses Zerstörungsaktes waren extrem: Ein gigantischer Ölteppich zog nach Süden und kontaminierte 775 Kilometer arabische Küste. Daraus wird ersichtlich, daß kriegerische Auseinandersetzungen noch wesentlich gefährlichere Umweltfolgen bewirken als die Profitgier und Schlamperei von Ölkonzernen.

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