© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

Fernsehverweigerer: Leere Stühle in der ersten Reihe
Den Stecker gezogen
Toni Roidl

Sex and the City? DSDS? Kein Plan! Seit Jahren hab ich keinen Fernseher mehr. Nicht aus ideologischem Dogma, eher zufällig. Er ging eines Tages einfach kaputt. Und wie das so ist – man kommt nicht so schnell dazu, einen neuen zu kaufen. Nach einigen Wochen Aufschub (Morgen ... nächste Woche ... demnächst ...) stellt man fest: Das Ding fehlt gar nicht. Nach ein paar Monaten experimentellen Verzichts konstatiert man dann perplex: Ohne ist viel besser!

Ein Einzelfall? Keinesfalls. Offizielle Zahlen bestätigen das Gefühl: Die Gemeinde der „Fernsehverweigerer“ wächst rapide!

Nicht-Fernseher sind überwiegend besser informiert

Schon fast zwei Millionen Deutsche haben für immer den Stecker gezogen. Wären sie alle Nachbarn, ergäbe das eine fernsehfreie Stadt von der Größe Hamburgs. Und trotzdem – ein „Tal der Ahnungslosen“ ist nicht auzumachen: Denn Nicht-Fernseher sind überwiegend sogar besser informiert als die Programmzuschauer.

Das hat der Kommunikationswissenschaftler Peter Sicking herausgefunden, der an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit einer Studie über TV-Verweigerer promovierte. Er stellte fest, daß drei Viertel von ihnen Akademiker und Abiturienten sind. Gut die Hälfte wählen gar nicht oder kleine Parteien; rund 80 Prozent leben in Großstädten.

Sicking hat drei unterschiedliche Fernsehboykottierer identifiziert. Typ A: Der Gestreßte, der Fernsehen an sich ganz nett findet, aber einfach keine Zeit dafür hat. Typ B: Der Ex-Junkie, der früher fernsehsüchtig war und jetzt „clean“ und abstinent ist. Typ C: Der überzeugte Verweigerer, der Fernsehen bewußt ablehnt.

Nicht nur die Fernsehverweigerer, auch die Noch-Zuschauer machen der GEZ Sorgen: Die Durchschnittssehdauer sank seit 1998 in der Kernzielgruppe der 14- bis 49jährigen um drei Prozent (sechs Minuten) auf insgesamt 178 Minuten pro Tag. Als Gründe nannten Befragte „Plattheit“, Gewaltdarstellung und Werbung. Auch Angst vor Strahlung und ein anthroposophisches oder streng christliches Weltbild spielen eine Rolle bei den Motiven.

Daraus – wie Sicking – schon zu prognostizieren, daß „das Fernsehen seinen Zenit als Leitmedium überschritten“ hat, ist sicher noch voreilig. Aber selbst die 50 Millionen Fernsehzuschauer – die es im Laufe eines normalen Lebens noch auf über zehn Jahre Dauerfernsehkonsum bringen – selektieren ihre Informationswahl zunehmend kritischer. Und dabei zieht das TV gegen das Internet immer öfter den kürzeren. Kein Wunder, daß das Imperium gereizt reagiert:

ARD und ZDF wollen das Rundfunkgebührensystem von der bisherigen Gerätegebühr auf eine „Haushaltsabgabe“ umstellen. Heißt: Jeder Haushalt soll eine „Medienpauschale“ bezahlen, auch die, die gar keinen Fernseher haben.

Der Sinn und Zweck wird ganz unverblümt genannt: „ARD und ZDF sehen einen Handlungsbedarf, um der Erosion bei den Gebühreneinnahmen entgegenzuwirken.“

Das Leben ist zu kostbar, um nur ein Möbelstück anzuglotzen

Also ein neuer Anlauf, nachdem der Versuch, Internethandys und Computer als „neuartige Rundfunkgeräte“ einzuverleiben, immer noch im Grabenkrieg der Verwaltungsgerichte steckt.

Das könnte jedoch auch einer Pauschalabgabe blühen, die ja normalerweise nur für wirklich genutzte Leistungen erhoben wird, wie kommunale Abwassergebühren. Das Argument der Fernsehsender, jeder Bürger käme täglich mit der Informationsgesellschaft in Berührung und damit angeblich auch mit dem „Qualitätsjournalismus“ von ARD und ZDF, scheint da etwas wackelig konstruiert.

Derweil ist TV-Konsumverweigerung in den USA bereits eine organisierte Bewegung, die einen jährlichen „Abschalt-Tag“ (Turnoff-Day) veranstaltet und erklärt, daß Leben viel zu kostbar sei, um viele Jahre davon ein Möbelstück anzuglotzen.

Sickings Studie berichtet, daß die meisten Fernsehabstinenzler hierzulande kurzfristig heftigen Spott und Unverständnis von Freunden und Kollegen ertragen mußten, dabei aber in der Regel ein dickes Fell besaßen. Bedeutend lästiger seien ungläubige GEZ-Fahnder gewesen, bis hin zu regelrechten Papierkriegen mit der Kölner Gebühreneinzugszentrale.

Übrigens: Die „Rückfallquote“ der Nicht-Fernseher ist verschwindend gering.

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