© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/10 30. Juli / 06. August 2010

„Geschichten aus dem Kalten Krieg“: Die Stasi-Tätigkeit in West-Berlin und die Pläne der DDR zur Eroberung der Mauerstadt
Kampf gegen den Stachel im Fleisch des Sozialismus
Christian Dorn

Mit den Zeiten ändern sich die Generationen. Entsprechend selten werden die Großväter, die noch vom Krieg erzählen. Stattdessen sind – so verheißt es der Titel der RBB-Reihe – „Geschichten aus dem Kalten Krieg“ angesagt. In der Dokumentation von Ute Bönnen und Gerald Endres ist es jene von der „Stasi in West-Berlin“ (5. August, 22.15 Uhr). Obgleich die „Völker der Welt“ auf die Frontstadt schauten, sahen sie nicht, wer sich tatsächlich hier tummelte. Unter den Agenten aus aller Welt war besonders das MfS der DDR aktiv. So operierte ein Viertel der IMs, die in Westdeutschland spionierten, allein in West-Berlin. Zu den bevorzugten Bereichen zählten die politischen Parteien. So berichtet der ehemalige IM Bernd-Jürgen Runge von seinem Arbeitsalltag als „Kundschafter“. Der Politologe war 1978 als persönlicher Sekretär ins Büro von William Borm (FDP) entsandt worden, welcher – seinerseits ebenfalls Agent des MfS – seine Ansprache als Alterspräsident des Deutschen Bundestages von Spionage-Chef Markus Wolf hatte redigieren lassen. Neben Runge erinnern sich Renate Künast und Antje Vollmer an die Unterwanderung der Alternativen Liste, während der Publizist Hannes Schwenger von den Zersetzungsmethoden des MfS berichtet.

Welchen Einfluß die in West-Berlin gewonnenen Informationen zeitigte, beweist eine Woche darauf die Dokumentation „Der Fall X – Wie die DDR West-Berlin erobern wollte“ (12. August, RBB, 22.45 Uhr). Der Film von Hans Sparschuh und Rainer Burmeister zeigt eine Stadtrundfahrt durch das West-Berlin am Anfang der 1980er Jahre, in der statt der Sehenswürdigkeiten die strategischen Punkte der Stadt genannt werden, die im Fall einer Okkupation zu besetzen wären. Binnen drei Tagen hätten NVA und MfS den „Stachel im Fleisch des Sozialismus“ unschädlich machen müssen. Aller Organismus-Metaphorik zum Trotz blieb es aber beim Planspiel.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen