© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

Kleine Pille, große Wirkung
Segen oder Fluch? Wie ein Medikament zur Empfängnisverhütung die Gesellschaft verändert hat
Ellen Kositza

Die „Pille“ wird 50! Die Zahl der Würdigungen zum Geburtstag des Verhütungsmittels, das unter dem so harten wie ehrlichen Namen „Antibabypille“ Furore machte, dürften sich noch über Jahresfrist hinaus anhäufen: Im Juni 1960 wurde das revolutionäre Verhütungsmittel in den USA zugelassen, im August kam es auf den Markt, und 1961 durfte es auch in Deutschland seinen Siegeszug antreten.

Da ist es ein unwillkommenes Geschenk, daß just in diesen Wochen der weltweite Marktführer unter „Pille“-Präparaten, Yasmin, für böse Schlagzeilen und negative Bilanzen beim herstellenden Bayer-Konzern sorgt. Wenigstens fünf Todesfälle junger Frauen aus Deutschland stehen in Verdacht, mit der Einnahme von Yasmin in Verbindung zu stehen. In den USA sind in den vergangenen Monaten knapp 3.000 Klagen von Yasmin-Nutzerinnen eingereicht worden. Soviel Wirbel, soviel Skepsis um die „Pille“ gab es lange nicht mehr. Für eine große Zahl der Frauen in der westlichen Welt ist die Dauermedikation durch Hormone längst Teil des täglichen Brotes. Mädchen werden Hormone zur Zyklusregulierung und gegen „unreine Haut“ verabreicht, dann zur Empfängnisverhütung, später – in zunehmendem Maße! – wiederum zur Fruchtbarkeitsbehandlung, schließlich gegen sogenannte Wechseljahresbeschwerden. Vor fünfzig Jahren und lange darüber hinaus (zumindest in Westdeutschland; in der DDR gab es die „Pille“ bald gratis) war das Thema der hormonellen Schwangerschaftsprophylaxe hingegen ein heißes Eisen.

Es lohnt sich, einmal in den Archiven linksliberaler Medien wie Spiegel und Stern nachzulesen, mit welchem Dauerfeuer Schützenhilfe für das damals hochumstrittene Präparat geleistet wurde: Den 1.300 Puertoricanerinnen, die seit 1956 als Versuchskaninchen für die erste Generation der „Pille“ dienten, gehe es blendend. Krebsfälle gingen unter Hormoneinnahme zurück. Thrombosefälle (bis heute häufigste schwere Nebenwirkung) träten seltener auf als bei Schwangerschaften. Weitere Begleiterscheinungen träten ebenso bei Placebo-Präparaten auf, und vor allem: Die Abtreiber, deren Job damals noch weithin als entsetzliches Geschäft angesehen wurde, klagten „zunehmend über Arbeitslosigkeit“. Außerdem wurde die „Pille“ als Segen gegen die „Menschen-Inflation“, sprich: die Überbevölkerung begrüßt. So wischte man alle Bedenken vom Tisch und kehrte sie in ihr Gegenteil um. Die „Pille“ wirkte demnach nicht nur gesundheitsfördernd, sondern lebensschützend. Jene Scheinargumente haben sich – seriösen gegenteiligen Studien zum Trotz, beispielsweise wird in „pille-skeptischen“ Ländern keineswegs häufiger abgetrieben! – bis heute erhalten.

Unschicklich geworden hingegen ist das seinerzeit beliebte Beispiel der Mehrfachmutter, die hin- und hergerissen sei zwischen der Furcht vor weiteren Schwangerschaften und der „Sorge, daß der Mann sich von ihr abwenden könnte, wenn sie sich ihm verweigere“ (Spiegel 9/1964).

Hier nämlich haben wir den Pferdefuß, wenn von einem vorgeblichen Freiheitsgewinn für die Frau die Rede ist. Der feministische Mainstream hatte die „Pille“ zunächst euphorisch begrüßt – man wähnte die Frau vom „Joch der Fruchtbarkeit“ befreit. Bald jedoch dräute Vorzeige-Emanzen wie Alice Schwarzer und Germaine Greer, daß diese Rechnung nicht aufging: Zum einen führt der hormonelle Dauerbeschuß häufig zu einem Libidorückgang bei der Konsumentin, zum anderen wurde bald klar, daß der flotte Slogan von der „Lust ohne Last“ zuvörderst den Mann zum Nutznießer machte. „Wir haben sexuell verfügbarer zu sein als je zuvor“, klagte Schwarzer 1977 und befand sich damit unversehens auf einer Linie mit den damals gerade folgenlos verklungenen Einwänden der katholischen Kirche.

Die 1968 von Papst Paul VI. verfaßte Enzyklika „Humanae Vitae“, in der eindringlich vor dem Gebrauch der Pille (wegen Verletzung der Würde und Gesundheit der Frau) gewarnt wurde, wurde durch die Kardinäle des II. Vatikanischen Konzils unterlaufen: Sie verwiesen die Wahl der Mittel zur Geburtenregulierung ins je eigene Gewissen der Gläubigen. Dort liegt die Verantwortung bis heute – die wenigsten Frauenärzte klären ihre oft 13- und 14jährigen Patientinnen gründlich über seelische und körperliche Folgen auf. Für Jugendliche stellen sich Sexualität und Fortpflanzung lange schon als nur lose miteinander verbunden dar. Der Generation ihrer Großeltern ist die Sexuelle Revolution der Jahre 68ff. überhaupt erst durch die Antibabypille möglich gewesen.

Ethische und moralische Zweifel gegenüber der hormonellen Empfängnisverhütung vorzubringen, ist seit Jahrzehnten nur mehr randständigen Gruppierungen – frommen Christen, „Ökos“ und Feministinnen – vorbehalten. Die Einwände von Lebensschützern, die stets darauf hinwiesen, daß keine „Pille“ zuverlässig und regelmäßig den Eisprung unterdrückt, sondern zugleich die Einnistung des bereits befruchteten Eis verhindert, wurden verschwiegen.

Wer heute noch von Schamverlust, Beförderung einer Frühsexualisierung und von Verletzung der Würde einer Ehe als Konsequenzen der hormonellen Manipulation redet, gilt leicht als Verfechter vorgestriger Vorstellungen. Auch von wissenschaftlich erwiesenen Zusammenhängen wie der Kontamination des Trinkwassers durch Hormonanreicherung – Östrogene können nicht herausgefiltert werden! – wird selten mit Nachdruck berichtet. Dabei sind durch diese Belastung bereits viele Fischarten „feminisiert“ und steht diese Verunreinigung im Verdacht, auch zur zunehmenden Sterilität von (Menschen-)Männern beizutragen.

Nun wird – „dank“ Yasmin – die Sache also erneut aus medizinischer Sicht aufgerollt. Sollte das Wundermittelchen, das „den alten Teufel, die weibliche Fruchtbarkeit, unter Kontrolle bringen“ sollte (Katherine Mc Cormick, schwerreiche Frauenrechtlerin) in Wahrheit kein „Geschenk Gottes“ (Margot Käßmann), sondern ein Danaergeschenk sein?

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