© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

„Auf Kosten der Frau“
Fast alle Ärzte verschreiben die Pille, lange auch Gabriele Marx. Bis ein Zwischenfall ihre Ansichten änderte
Moritz Schwarz

Frau Dr. Marx, Margot Käßmann pries „die Pille“ kürzlich als ein „Geschenk Gottes“.

Marx: Und das im katholischen Liebfrauendom zu München, das war ja nun an Dreistigkeit nicht zu überbieten. Wenn aber schon Geschenk, dann handelt es sich doch wohl eher um das „Geschenkpapier des Teufels“, wie es der Schweizer Physiker und Philosoph Max Thürkauf formuliert hat.

Was haben Sie gegen die Pille?

Marx: Als Ärztin habe ich medizinische, als Bürgerin ethische und als Katholikin religiöse Bedenken.

Oder veranlaßt die Katholikin die Bürgerin und Ärztin dazu, solche zu haben?

Marx: Falsch, die Ärztin war die erste, die Bedenken hatte, ich bin erst sehr viel später katholisch geworden.

Bei „Menschen bei Maischberger“ waren Sie 2008 als Konterpart zu Carl Djerassi, einem der Erfinder der Antibabypille, eingeladen.

Marx: Ich habe mir natürlich gründlich überlegt, ob ich da hingehen soll, denn es war klar, daß es nicht darum gehen würde, den Argumenten gegen die Pille ernsthaft Raum zu geben. Ich war natürlich als Provokateur vom Dienst geladen, um der Sendung Pep zu geben. Wie mir der Redaktionsassistent erzählte, wird alle zehn Minuten die Zuschauerquote gemessen – fällt sie ab, muß Spannung her. Da sich die übrigen Gäste in ihrem Lob auf die Pille einig waren, brauchte man jemanden, an dem man sich abarbeiten konnte – aber immer so abgestimmt, daß er nicht etwa in der Lage gewesen wäre, die Diskussion und damit die Zuschauer zu gewinnen.

Warum sind Sie dennoch hingegangen?

Marx: Weil wir fürchteten, daß sonst ein unseriöser Pillen-Gegner eingeladen werden würde, was noch mehr geschadet hätte.

Die Maischberger-Redaktion hatte zunächst versucht, einen katholischen Bischof zu finden, aber keiner wollte kommen. Warum?

Marx: Das müssen Sie die Bischöfe fragen.

Wollte sich keiner in einen so „rückschrittlichen“ Zusammenhang gestellt sehen?

Marx: Vermutlich, dabei müßte es ihnen eine moralische Pflicht sein, die Pille anzugreifen, wenn sie die Enzyklika „Humanae vitae“ Papst Paul VI. ernstnehmen würden.

Also mußte eine Laiin tun, wozu den Bischöfen der Mut fehlte?

Marx: Ich habe vor allem ethisch, medizinisch und ökologisch argumentiert – nicht weil religiöse Argumente nicht relevant wären, aber in den Augen vieler Zuschauer erscheinen diese rasch per se als „fundamentalistisch“. Man gerät leider schnell unter Generalverdacht, daß auch die fachlichen Argumente nur im Dienste der religiösen stünden. Aber ich kann nur wiederholen: Es war zuerst die Ärztin, die es nicht mehr verantworten konnte, die Pille zu verschreiben.

Sie sind eine von nur zwei Frauenärztinnen in Deutschland, von denen das bekannt ist.

Marx: Wie Sie sagen: von denen das bekannt ist. Es mag sicher noch mehr geben, aber diese treten nicht an die Öffentlichkeit. Es gibt aber noch einige Allgemeinmediziner, die das ebenfalls nicht tun.

Wenn die Mehrheit aber die Pille verschreibt, liegt es dann nicht nahe, daß Sie irren?

Marx: Nein, und ich will Ihnen zwei Gründe dafür nennen: Erstens, wenn man heute Frauenarzt wird, muß man in der Ausbildung die Pille verschreiben, Spiralen legen und eventuell auch abtreiben. Wer damit ein moralisches Problem hat, der wird erst gar nicht Frauenarzt. Es ist also kein Wunder, wenn inzwischen deren überwiegende Mehrheit die gleiche Meinung vertritt. Zweitens, meine Argumente sind nachgewiesen – und zwar sogar von Pillen-Befürwortern.

Welche sind das?

Marx: Die Pille hat zahlreiche Nebenwirkungen, das weiß jeder, der schon einmal ihren Beipackzettel gelesen hat. Diese lesen sich an sich schon recht erschreckend: Bluthochdruck, Thrombose, Störungen der Leberfunktion usw. Zu Beginn habe ich dennoch wie alle die Pille verschrieben. Aber dann mußte ich drei schwere Zwischenfälle bei Pille-Einnehmerinnen erleben: Zunächst hat eine 35jährige Frau einen schweren Schlaganfall erlitten, einige Zeit später einen zweiten. Dann passierte es einer 17jährigen Sportlerin, und relativ rasch folgte der Herzinfarkt einer 25jährigen. Alle drei trugen bleibende Schäden davon, die Sportlerin etwa war von da an halbseitig gelähmt. Wenn man auf dem Beipackzettel „Thrombose“ liest, ist das eine Sache, wenn man so was dann erlebt und sich dafür verantwortlich fühlt, eine ganz andere. Heute weiß ich, junge Frauen mit Schlaganfällen sind fast alle Pillen-Einnehmerinnen.

Da viele Frauen die Pille nehmen, könnte es sich ebenso um Zufall handeln.

Marx: Könnte – tatsächlich aber ist der Zusammenhang erwiesen.

Nämlich?

Marx: Ich denke etwa an die Studien von Taubert, Kuhl und Lauritzen – übrigens alle drei Pillen-Befürworter –, die nachgewiesen haben, daß die Pille sogar zum Tode führen kann. Sie stellten 3,5 bis zwanzig Todesfälle auf 100.000 Einnehmerinnen fest.

Wie ist das im Vergleich zu anderen Medikamenten einzuordnen?

Marx: Bayer nahm 2001 den Cholesterinsenker Lipobay vom Markt. Grund: „nur“ 0,2 Todesfälle auf 100.000 Anwender!

Professor Djerassi entgegnet, mehr Frauen stürben bei der Entbindung als durch die Pille.

Marx: Dieses Argument wird von Pillen-Befürwortern ständig vorgebracht. Man kann natürliche Vorgänge nicht mit künstlichen, willkürlichen vergleichen. Es ist ja auch ein Unterschied, ob jemand eines natürlichen Todes stirbt oder umgebracht wird. Der Punkt ist, daß die Opfer der Pille ohne diese noch am Leben bzw. gesund wären.

Millionen Frauen nehmen die Pille ohne Nebenwirkungen.

Marx: Auch das ist mit Blick auf die Opfer  kein Gegenargument. Die meisten Fahrgäste überstehen auch den Ausfall der Klimaanlage bei der Bahn – also sollten ein paar Kreislauftote, so es dazu gekommen wäre, uns nicht weiter stören? Wenn Sie nicht nur die letalen Nebenwirkungen der Pille beachten, sind ungleich mehr Frauen betroffen: Übelkeit, Erbrechen, Gewichtszunahme, Migräne, Spannungsgefühle, Stimmungsveränderungen, Schwinden der Libido bis hin zur Frigidität – kein anderer als Max Horkheimer hat gesagt: „Die Pille müssen wir mit dem Tod der erotischen Liebe bezahlen.“ Die Pille wird meist leichtfertig verschrieben, und den meisten Frauen ist nicht klar, daß es sich um ein Medikament handelt. Dabei hat die Pille die gleiche chemische Grundstruktur wie Kortison. Wenn man Patienten mit Kortison kommt, sind die meisten sehr zurückhaltend, leider nicht bei der Pille.

Manche Menschen rauchen, andere trinken, all das ist schädlich, wird aber als Ausdruck von Freiheit empfunden – so auch die Pille.

Marx: Mal ganz abgesehen davon, daß die Pille ein gigantisches Geschäft ist, es werden Milliarden damit verdient. Moderne, natürliche Methoden der Empfängnisregelung sind nicht weniger sicher als die Pille – und schädigen nicht. Dennoch tun wir so, als seien wir auf die Pille angewiesen. Sie haben vorhin nach dem Vergleich der Pille mit anderen Medikamenten gefragt. Die Nebenwirkungen anderer Medikamente nehmen wir in Kauf, weil sie der Heilung oder wenigstens der Diagnostik dienen. Kein Arzt würde dem Alkoholiker Alkohol oder Ihnen ein Medikament zum Spaß verschreiben, obwohl Sie völlig gesund sind. Genau das aber machen wir bei der Pille: Sie ist vielleicht das einzige schwere Medikament, das wir gesunden Menschen verschreiben! Ohne Not greifen wir so massiv in den Hormonhaushalt der Frauen ein, ohne Not riskieren wir all diese Nebenwirkungen. Für mich macht all das klar, daß es hier nicht um Medizin geht, sondern um etwas anderes: Die medizinischen Argumente für die Pille sind vorgeschoben, sie sollen verschleiern, daß die Pille uns aus ganz anderen Gründen wichtig ist. Sie ist ein politisches Symbol – ein Mittel zur Überwindung der „alten“ Werte wie Ehe, Familie, Mann und Frau und der Ehrfurcht vor dem Leben. Deshalb wird sie so verbissen und gleichzeitig verantwortungslos propagiert – nicht zum Nutzen der Frauen, sondern auf deren Kosten.

Die Pille als politisch korrektes Lifestyle-Produkt?

Marx: Natürlich, Sie müssen das im Kontext sehen: Es geht um die Umwertung unserer Werte. Dazu gehört zum Beispiel auch die Maischberger-Sendung, von der wir anfangs sprachen. Übergeordnet dienen solche Sendungen dazu, uns zu manipulieren, ein Gedankengut zu streuen, das an sich heute noch abgelehnt wird. Da wird frei und unbefangen über Fremdeizellspende, Leihmutterschaft, homosexuelle Kindsadoption, Spermienbestellung im Internet etc. parliert – alles das ist bei uns nicht erlaubt. Einige der Gäste der Sendung hatten solches aber im Ausland getätigt, und Frau Maischberger sprach mit ihnen, als sei das alles selbstverständlich. Das Ziel ist die Aushebelung moralischer Sitten und Grenzen, betrieben von einer permissiven, feministischen Lobby, die die Medien dominiert und sich mit ihrer Libertinage als Avantgarde gegenüber dem „unaufgeklärten“ Zuschauer präsentiert. Das Anormale wird als normal und das Normale als reaktionär behandelt. Das ist die Strategie, in der auch die Pille ihre Rolle spielt.

Wie wird dieser Kulturkampf ausgehen?

Marx: Ich fürchte, auf die derzeitige Ära des „Sex ohne Kinder“ wird die Ära der „Kinder ohne Sex“ folgen, wie sie Professor Djerassi voraussagt: Wenn die Schranken erstmal gefallen sind, dann werden junge Frauen sich Eizellen entnehmen und dann sterilisieren lassen, um sich sexuell auszutoben. Mit Vierzig können sie dann ihre Eier mit ausgewählten Spermien befruchten lassen und ihr Designer-Kind bekommen. Ziel ist, auch fruchtbare Paare auf diesen Weg zu führen; Kinder sollen also nicht mehr in liebender Umarmung gezeugt, sondern reproduziert, also hergestellt werden.

Das wäre Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“.

Marx: Genau, eine Welt ohne jeglichen personalen Bezug, in welcher Egoismus und Selbstbestimmung letztlich zu Einsamkeit und Isolation führen. Ich frage mich auch, was wird denn geschehen mit Alten und Kranken und mit Designer-Kindern, die durch Geburt, Unfall oder Krankheit behindert sind in dieser „perfekten“ Welt? Die Menschen werden nicht mehr gewohnt sein, mit dem Zufälligen, dem Unvollkommenen und dem Ungewollten umzugehen. In der Logik einer solchen Gesellschaft liegt es, daß man die „Unvollkommenen“ eben „erlöst“ – sprich durch Euthanasie entsorgt. Kinder könnten dann eine genetische Mutter haben, die die Eizelle spendet, eine biologische Mutter, die ihren Uterus zur Verfügung stellt, eine soziale Mutter, die sie aufzieht und einen Vater, der den Samen gespendet hat und den sie nie kennenlernen. Dieses System kann niemand mehr überblicken und die Konsequenz wird sein, daß der Staat die Kontrolle über die Familien und die Kinder an sich reißt. Schon seit Jahrzehnten wird die Familie von großen Teilen der Politik vernachlässigt und gesellschaftlich immer mehr an den Rand gedrängt. Wir sollten uns vielleicht einmal fragen, wie künftige Generationen die heutige familienfeindliche Politik beurteilen werden?

Ihre religiösen Argumente sind also im Grunde allgemeine ethische Argumente?

Marx: Genau, es ist fast nur noch der Papst, der dieser Entwicklung aktiv Widerstand leistet. Übrigens ist wenig bekannt, daß auch Mahatma Gandhi ein Gegner der Pille war. Ein Beweis dafür, daß Ethik und Religion nicht getrennt werden sollten.

 

Dr. Gabriele Marx, gehört zu den prominentesten Gegnern der Antibabypille in Deutschland. Die seit 1980 praktizierende Gynäkologin verschreibt seit 1991 aufgrund ihrer Praxis-Erfahrungen keine Kontrazeptiva mehr und begann in der Öffentlichkeit auf die medizinischen und ethischen Gefahren der Pille hinzuweisen. 1951 in Dresden geboren, wurde sie atheistisch erzogen, ließ sich 1975 jedoch evangelisch taufen und fand 1990 zum Katholizismus.

In ihrer 47seitigen Broschüre „Die Pille. Vom Aufgang bis zum Untergang“ (Sarto-Verlag, 2008) stellt Gabriele Marx die Entstehung der im Sommer 1960 in den USA erstmals auf den Markt gekommenen Pille und ihre Auswirkung auf den weiblichen Körper sowie auf die Gesellschaft dar und faßt die wichtigsten Gegenargumente zusammen. Neben der Darstellung der zahlreichen physischen und psychischen Nebenwirkungen geht sie auch auf andere Faktoren ein, etwa daß die Pille nicht nur empfängnisverhütend, sondern im Einzelfall auch abtreibend wirken kann und was uns nach dem Ende der Pillenära erwartet.

Kontakt und Informationen:  Beckstraße 15, 69469 Weinheim, Telefon: 0 62 01 / 29 61 72, ,Internet: www.globulidoktor.de

Fotos: Im Schatten der Pille: „Die medizinischen Argumente für die Pille sind vorgeschoben, tatsächlich geht es um ganz anderes“, Gabriele Marx und Carl Djerassi, der Entwickler der ersten Pille, bei „Menschen bei Maischberger“ (2008)

 

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