© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

Entscheidungsschlacht um längere Laufzeiten
Energiepolitik: Im Streit um den Ausstieg aus der Atomenergie und die Zukunft der deutschen Kernkraftwerke verläuft die Front quer durch die Union
Hans Christians

Ist es nur ein Thema, um das Sommerloch zu füllen? Oder droht der Koalition in Berlin neues Ungemach? Im Blickpunkt der Debatten um eine Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke steht Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU). Dem werden Ambitionen auf höchste Ämter nachgesagt. Doch den Landesvorsitz des mitgliederstärksten Verbands in Nord­rhein-Westfalen kann er sich nach einer Absprache seiner Rivalen Armin Laschet und Andreas Krautscheid wohl abschminken, und auch bundespolitisch gerät Röttgen mehr und mehr in die Defensive.

Am Wochenende formierten sich mehrere Bundestagsabgeordnete, die Ministerpräsidenten der süddeutschen Bundesländer und das FDP-geführte Bundeswirtschaftsministerium zu einer Allianz, die sich für deutlich längere Laufzeiten einsetzt. Im Gespräch ist eine Verlängerung um 14 Jahre. Auch  der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU im Bundestag, Joachim Pfeiffer, macht Stimmung gegen Röttgen: „Er muß anerkennen, daß die Mehrheit in Partei und Fraktion Kernkraft für eine längere Zeit als er für absolut nötig hält, um eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten.“

Der Streit um ein neues Energiekonzept schwelt schon länger. Und es geht nicht nur um sachliche, sondern auch um strategische Fragen. Unionspolitiker, die ihre Partei gerne mittelfristig als Bündnispartner der Grünen positionieren möchten, haben Angst, der potentielle Koalitionspartner können durch eine Verlängerung der Laufzeit nachhaltig verstimmt werden. Aber auch Landespolitiker, die fürchten, die ohnehin starken Grünen könnten durch die Debatte weiteren Auftrieb erhalten, meldeten sich zu Wort. „Es gibt auch eine nennenswerte Anzahl von Unionspolitikern, die Röttgen den Rücken stärken“, sagte der CSU-Bundestagsabgeordnete Josef Göppel. Ihre Zahl sei „mindestens ebenso groß“ wie die der Befürworter möglichst langer Laufzeiten, die die Debatte angezettelt hätten. Göppel spricht von den „üblichen Aufgeregtheiten im Sommerloch“ und „hält eine Verlängerung angesichts der politischen Rahmenbedingungen derzeit ohnehin nicht für durchführbar“.

Röttgen selbst hat in den vergangenen Wochen stets einen Spagat zwischen den Linien versucht. Offiziell gibt er sich als Befürworter „einer moderaten Laufzeitverlängerung“, wobei er stets offenließ, welche Dauer ihm genau vorschwebt. Sein Ministerium ließ juristisch prüfen, ob für eine Laufzeitverlängerung eine Zustimmung des Bundesrats nötig sei. Die Experten kamen zu dem Schluß, daß die Länderkammer bei einer solchen Entscheidung nicht übergangen werden dürfe. Und seitdem in Nordrhein-Westfalen eine rot-grüne Minderheitsregierung am Werk ist, sei ein solches Vorhaben ohnehin illusorisch, meint der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU).  Horst Seehofer (CSU) hält dagegen: ,,Der Maßstab, ob und wie lange ein Kernkraftwerk läuft, muß doch zuallererst die Sicherheit sein“, sagte der bayerische Ministerpräsident. Es könne „keine Jahreszahl ohne Rückkoppelung an Sicherheit“ vereinbart werden.  „Deshalb wollen wir auch nicht mit konkreten Jahreszahlen in die Verhandlungen der Koalition gehen. Es bringt doch nichts, wenn wir ein sicheres Werk in Bayern abschalten und dafür Strom von einer Risiko-Anlage aus Tschechien beziehen.“

Seitdem die rot-grüne Vorgängerregierung den Atomausstieg beschlossen hat, streiten sich die Umweltexperten um ein neues Energiekonzept. „Steinzeitdenken“ werfen Befürworter der Atomkraft jenen vor, die auf eine weitere Förderung der Steinkohle setzen. Öko-Lobbyisten halten dagegen und werfen ihren Gegnern vor, „Gefangene der Atom-Multis“ zu sein. Der Ton dürfte sich in den kommenden Wochen noch verschärfen. Einen Vorgeschmack auf die kommenden Auseinandersetzungen lieferte der CSU-Landesgruppen-Chef Hans-Peter Friedrich: „Wer angesichts von Extremwetterlagen wie Überschwemmungen immer noch nicht verstanden hat, daß wir so schnell wie möglich aus den CO2-intensiven, fossilen Energieträgern aussteigen müssen, dem ist nicht zu helfen. Öl und Kohle müssen möglichst bald durch regenerative Energien ersetzt werden, und auch die Kernenergie bleibt derzeit unverzichtbar. Der überstürzte rot-grüne Ausstiegsbeschluß aus der Kernenergie ist ideologisch motiviert und hat mit verantwortlicher Energiepolitik nichts zu tun.“

Der ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin hielt erwartungsgemäß prompt dagegen: „Wer Laufzeiten verlängern will, ob um 14 Jahre oder um ein Jahr, hat nur die Profite der Energie-Unternehmen im Kopf. Wenn Schwarz-Gelb die Kündigung des Atomkonsenses ermöglicht, dürfen die Energieversorger nicht damit rechnen, daß dieser Liebesdienst nach der nächsten Bundestagswahl Bestand haben wird“, warnte der Grünen-Chef.

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