© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

Bio hat Folgen
Agrarpolitik: Sortenvielfalt und natürliche Resistenzen sind nicht im Interesse der Nahrungsmittelindustrie
Michael Howanietz

Der Wettbewerb von biologisch und konventionell erzeugten Lebensmitteln ist auch einer zwischen Vielfalt und Einfalt. Billige Massenproduktion funktioniert um so besser, je gleichförmiger die Ausgangsstoffe sind. Das gilt ebenso für die Zahl der Sorten wie die Eigenschaften der einzelnen Feldfrucht. Es geht um leichte Verarbeitbarkeit. Eine brikettförmige Kartoffel ließe sich ideal in Pommes Frites verwandeln. Die Bio-Landwirtschaft mit ihrem verbreiteten Anspruch alte Sorten, lokale Spezifika und agrarische Diversität zu erhalten, ist die Antithese dazu. Ebenso die Berücksichtigung saisonaler Verfügbarkeit – doch die Nahrungsmittelindustrie propagiert ein ganzjähriges Angebot.

So sind Äpfel konventionellen Ursprungs ganzjährig im Handel, sie stammen aber sämtlich von nur drei Muttersorten ab. Deren Nachkommen wiederum gedeihen in riesigen Monokulturen, die als äußerst spritzmittelintensiv, weil schädlings- und krankheitsanfällig gelten. Blaue Kartoffel, gelbe Beete, Erdbeerminze und andere stabile Kulturgewächse hingegen weisen in ihrem Erbgut spezifische Resistenzen auf, die auf jahrhundertelange Zucht und Selektion zurückzuführen sind. Sie garantieren dem Bauern Unabhängigkeit von den Saatgut- und Chemiekonzernen und dem Verbraucher Rückstandsfreiheit von Pestiziden, Herbiziden und anderen agroindustriellen Gesundheitsgefährdungen.

Der Irrlauf von kostbaren genetischen Eigenschaften angepaßter Kulturpflanzen hin zu degenerativ kränkelnden Hochleistungshybridsorten wird durch eine fragwürdige Förderpolitik beschleunigt. Österreich, bislang EU-Spitzenreiter, was den Anteil ökologisch wirtschaftender Landwirte betrifft, hat die Förderung des Umstiegs auf Bioanbau zurückgefahren. In Deutschland wird im Zuge des EU-Biosprit-Ziels (mindestens zehn Prozent Beimengung bis 2020) massiv auf Monokulturen (Raps, Mais) gesetzt. In der EU erhält die gentechnisch unterstützte Landwirtschaft gegenüber der Biolandwirtschaft ein Vielfaches an Subventionen. Die großen Saatgutfirmen erhalten großzügige Zuwendungen für die Entwicklung genmanipulierter Pflanzen, während der krisensichere Wiederanbau resistenter Sorten engagierten privaten Initiativen überlassen bleibt.

Kleinteilige Agrargebiete wie etwa in Hessen haben mit ihren Hügeln und Mittelgebirgen einen natürlichen Schutzwall gegen Monokulturen aufzuweisen. Großflächenländer wie Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern hingegen fallen hingegen den Landschaftsausräumern der Agroindustrie anheim. Das ist dennoch nicht bedenklich, glaubt man Untersuchungen der Stiftung Warentest, denen zufolge Bio-Lebensmittel nicht wertvoller als konventionelle Produkte zu bewerten seien. 85 Lebensmitteltests wurden begutachtet, um zu dem Resümee zu gelangen, daß es bei der Öko-Schiene kein Qualitätsplus gebe.

Pilotprojekt „Bio für Kinder“ in München gestartet

Doch was ist mit dem Verbot gentechnisch manipulierter Inhaltsstoffe, dem überwiegenden Antibiotikaverzicht und dem vollständigen Verzicht auf synthetische Pestizide? Und den weitaus geringeren Gewässer- und Luftverschmutzungen, der erheblich größeren Artenvielfalt auf den Anbauflächen sowie der höheren Sortenvielfalt, die im laufenden Uno-Jahr der Biodiversität (JF 2/10) propagiert wird? All das wurde von den Warentestern stiefmütterlich behandelt. Auch die Tatsache, daß Bio-Produkte aufgrund fehlender Kostenwahrheit teurer sind, weil die Landwirte zwar höhere Aufwendungen bewältigen, aber mit denselben öffentlichen Zuwendungen auszukommen haben. Unberücksichtigt blieben die nicht von den Verursachern, sondern von der öffentlichen Hand zu tragenden Umweltreparaturkosten, die konventionelles Landwirtschaften mit sich bringt. Der Verzicht auf Kunstdünger ging gleichfalls nicht in die Testergebnisse ein. Schließlich sieht man das den Produkten nicht an.

Ob es tatsächlich einen direkten Zusammenhang zwischen Ernährungsweise und Gewaltbereitschaft gibt, ist bislang nicht wissenschaftlich erwiesen. Untersuchungen in Jugendgefängnissen haben aber ergeben, daß Dauerkonsumenten von ungesundem Fast Food eine erhöhte Neigung zur Gewaltanwendung haben. Eine Ernährung mit reichlich Obst und Gemüse führe hingegen zu einer deutlichen Reduktion schwerer Vergehen (minus 35 Prozent).

Nicht nur angesichts solcher Erkenntnisse sind Initiativen wie das an 31 Münchner Schulen und Kindertagesstätten lancierte Pilotprojekt „Bio für Kinder“ zu loben. Hier soll der Nachwuchs gezielt von Geschmacksverstärkern und Kunstaromen entwöhnt und auf eine natürliche Ernährung umgestellt werden. Denn eine im Kindesalter anerzogene Fehlernährung läßt sich in späteren Jahren nur mit viel Disziplin und einem starken Willen korrigieren.

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