© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

Helfer der Staatsmacht
Freiwilliger Polizeidienst: Was in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Sachsen funktioniert, wird woanders kritisch gesehen
Alexander Lechler

Ob Freiwillige Polizeihelfer auf einem Streifengang in Frankfurt-Griesheim an vier Fahrzeugen gefälschte TÜV-Plaketten ausmachen und wenig später einen flüchtigen Ladendieb stellen. Ob im fränkischen Kronach eine Streife der bayerischen Sicherheitswacht zwei Vandalen, die mehrere Sachbeschädigungen begingen, der Vollzugspolizei übergibt. Es gibt viele solcher Meldungen. Wenig spektakulär, aber im Jahre 2010 keine Selbstverständlichkei mehrt. Die Rufe nach mangelnder Polizeipräsenz werden immer lauter.

Aufgrund guter Erfahrungen verdoppelt Bayern die Stellen

Personalabbau bei der Polizei, ausufernde Gewalt gegen Polizeibeamte, hoher Krankenstand, Zunahme der Einsätze („Am Rande der Erschöpfung“, JF 42/09): Die Liste der Probleme bei der Polizei ließe sich fortsetzen, Lösungen sind nicht in Sicht. Alleine für das Bundesland Nordrhein-Westfalen wurde für  2008 errechnet, daß 7.538 Beamte mindestens sechs Wochen dienstunfähig waren; das heißt, annähernd 20 Prozent der Polizisten waren betroffen. Legt man die Zahlen des Bundes Deutscher Kriminalbeamter zugrunde, haben im selben Jahr täglich durchschnittlich 2.700 der Ordnungshüter ihren Dienst nicht verrichten können.

Das hohe Durchschnittsalter bei der Polizei dürfte diesen Trend in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Reguläre Streifenfahrten wären unter diesen Voraussetzungen kaum noch zu bewerkstelligen, zumal es heute bereits 400 Polizisten weniger gibt als noch 2005. Betroffen ist aber nicht nur Nord­rhein-Westfalen als bevölkerungsreichstes Bundesland – diese Entwicklung zieht sich quer durch die Republik.

Im rot-rot regierten Brandenburg sollen nach Plänen des dortigen Innenministeriums von 50 Polizeiwachen mehr als dreißig geschlossen werden. Auch in Sachsen wird der Personalabbau weiter voranschreiten, der Abbau von weiteren 2.441 Stellen ist bereits beschlossene Sache.

Zeit, den Blick auf Alternativen zu richten. Eine davon ist der Bürger in Uniform. Zur Entlastung der Polizei  gibt es in Baden-Württemberg und Hessen den Freiwilligen Polizeidienst, in Bayern und Sachsen die Sicherheitswacht. Auffallend hierbei ist, daß es sich ausnahmslos um unionsgeführte Bundesländer handelt, in denen sich Bürger auf Freiwilligenbasis als Gesetzeshüter engagieren können.

In Baden-Württemberg wird dieses Modell bereits seit 1963 mit Erfolg praktiziert. Die Aufgaben der freiwilligen Polizisten umfassen in der Regel die Sicherung und Überwachung des Straßenverkehrs sowie die Überwachung von Gebäuden, aber auch den täglichen Streifendienst.

Im Gegensatz zu den anderen Bundesländern gehen die Befugnisse der Freiwilligen im Südwesten jedoch weiter. Sie haben gegenüber dem Bürger die Stellung eines Polizeibeamten im Sinne des Polizeigesetzes von Baden-Württemberg. Dies bedeutet, daß sie alle polizeilichen Maßnahmen durchführen dürfen. Darüber hinaus tragen sie die gleichen Uniformen wie hauptamtliche Polizisten und führen auch die Dienstwaffe Walther P5 mit sich.

Der Dienst wird an der Seite eines hauptamtlichen Polizeibeamten verrichtet. Bevor der Dienst überhaupt ausgeübt werden darf, erfolgt eine zweiwöchige Grundausbildung sowie permanente Fort- und Weiterbildungen auf den Revieren. Jeder Kandidat wird vorab auf seine Eignung überprüft. „In Baden-Württemberg haben wir ausschließlich positive Erfahrungen mit dem Freiwilligen Polizeidienst gemacht, über negative Erfahrungen kann ich nicht berichten“, läßt der Pressesprecher des Innenministeriums in Stuttgart, Günter Loos, verlauten. Daß man in Baden-Württemberg zufrieden ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß 1.201 Personen den freiwilligen Dienst verrichten.

In Bayern nennt sich dieser Dienst Sicherheitswacht, seine Befugnisse sind nicht so weitreichend wie in Baden-Württemberg, und auch die Ausrüstung der Einsatzkräfte ist nicht vergleichbar.  Indes kann auch der dortige Pressesprecher nichts Schlechtes vermelden, im Gegenteil. „Aufgrund der guten Erfahrungen soll die Personenanzahl bei der Sicherheitswacht von derzeit 500 in den nächsten zwei Jahren auf mehr als 1.000 Freiwillige ausgebaut werden“, bestätigt Holger Plank der JUNGEN FREIHEIT.

Freiwillige Polizeihelfer als Spielball der Politik

Entsprechend hat der bayerische Ministerrat Mitte Juni einer Erweiterung der im Jahr 1994 gestarteten Sicherheitswacht zugestimmt. Mit dem Beschluß ist es nun möglich, eine Sicherheitswacht in Gemeinden unter 20.000 Einwohnern einzurichten.

Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) sieht das als Schritt in die richtige Richtung: „Sicherheit in Bayern ist ein soziales Grundrecht, ohne das wir alle nicht in Frieden und Freiheit leben können. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist Kernaufgabe der bayerischen Polizei. Wir brauchen aber auch die Mitverantwortung, das Engagement und die Hilfe unserer Bürger, wie sie die Damen und Herren der Sicherheitswacht so vorbildlich erbringen.“

Nichtsdestotrotz bleibt das Engagement der Freiwilligen Polizeihelfer ein Spielball der Politik. So ging zum Beispiel im südhessischen Riedstadt die Zahl der Autoaufbrüche seit Einführung des Freiwilligen Polizeidienstes merklich zurück. Trotzdem verzichtet die Stadt seit Ende 2006 auf diesen Dienst. Die von der SPD dominierte Gemeindevertretung verlängerte den Koordinationsvertrag mit dem Land Hessen nicht.

In Hessen werden seit Oktober 2000  ehrenamtliche „Freiwillige Polizeihelferinnen und -helfer“ bei der Polizei eingestellt. Die Aufnahme des Dienstes in Hessen kann im Alter zwischen 18 und 65 Jahren erfolgen, der Bewerber darf keinen Eintrag im polizeilichen Führungszeugnis haben und muß von der Gesamtpersönlichkeit geeignet erscheinen. Die „Aufwandsentschädigung“ der 750 Hilfspolizisten, die in über 100 Kommunen tätig sind, beträgt sieben Euro pro Stunde.

Ähnlich wie in Bayern und Hessen stellt sich die Lage der seit 1998 existierenden Sicherheitswacht in Sachsen dar. Hauptaufgabe sind auch hier präventive Sicherheitsstreifen, die zumindest die gefühlte Sicherheit der Bevölkerung erhöhen soll. Einen Schwerpunkt der Sicherheitswacht bilden daher die grenznahen Regionen zu Polen und Tschechien. Die Entlohnung für die 800 Freiwilligen beträgt allerdings nur etwas mehr als fünf Euro, und die Anzahl der geleisteten Stunden ist auf 40 pro Monat begrenzt.

Die bloße Anwesenheit einer Uniform schreckt ab

Vor allem die Finanzierung der Hilfspolizei ist oftmals Stein des Anstoßes klammer Kommunen. In Hessen übernimmt das Land Ausbildung und Ausrüstung, und die Kommunen müssen für die Aufwandsentschädigungen aufkommen. Zur Entlastung der Kommunen übernimmt in Bayern und Baden-Württemberg das Land selbst sämtliche Aufwendungen.

Doch auch andere Kritik wird laut. „Im Extremfall muß man die Fehler eines schlecht ausgebildeten Freiwilligen ausbügeln“, ist beispielsweise aus Thüringer Polizeikreisen zu hören. Der Pressesprecher des Thüringer Innenministeriums, Bernd Edelmann, formuliert es entsprechend kurz und bündig: „Thüringen setzt auf gut ausgebildete Beamte. Die Einführung eines freiwilligen Dienstes ist hier definitiv kein Thema.“

Fakt ist auch, daß der Einsatz der Freiwilligen mitunter zu einer Mehrbelastung der Polizei führen kann, nämlich dann, wenn jeder Hundehaufen gemeldet würde, merkten bayerische Polizisten bereits vor einigen Jahren an. Doch was tun, um dem sich mehr und mehr abzeichnende sicherheitspolitische Vakuum entgegenzutreten? Bürgerstreifen wie in Selmsdorf (Mecklenburg-Vorpommern), wo dieser Tage die Einwohner in den Nachtstunden selbst für Ordnung und Sicherheit sorgen?

In Deutschland scheint aufgrund der katastrophalen finanziellen Verhältnisse keine Wende in Sicht. Dies bedeutet aber, daß man sich über Alternativen Gedanken machen muß. Der Freiwillige Polizeidienst ist eine sinnvolle Alternative. Zumindest sieht die CDU im hessischen Darmstadt dadurch eine Möglichkeit, die Vandalismusschäden, die sich in Darmstadt auf jährlich 300.000 Euro summieren, halbwegs in den Griff zu bekommen. Wie in Riedstadt scheiterte diese Initiative jedoch an den Mehrheitsverhältnissen in der Stadtverwaltung, obwohl die allermeisten Hessen den Freiwilligen Polizei­dienst als Erfolgsmodell erachten.

Auch der anfänglichen Skepsis mancher Beamter folgte mittlerweile ein Umdenken. „Die bloße Anwesenheit der Uniformträger in Einkaufspassagen schreckt manchen Ladendieb ab“, erklärte der Leiter der Polizeistation im hessischen Bad Arolsen, Richard Bracht. Doch auch dort ist der Freiwillige Polizeidienst mittlerweile aus Kostengründen – 17.000 Euro pro Jahr – Vergangenheit.

 

Stichwort: Freiwillige Polizeireserve Berlin

Für Schlagzeilen sorgte die im Mauerbaujahr 1961 in West-Berlin gegründete Freiwillige Polizei-Reserve  im Jahr 1993. Eine Überprüfung ergab, daß um die 500 der fast 2.500 Mitglieder nicht nur strafrechtlich in Erscheinung getreten waren. „Sammelbecken für Neonazis und Gewaltverbrecher“, schrieb der Focus. Die Polizei-Reserve wurde neu organisiert und in Freiwilliger Polizeidienst (FP) umbenannt. Im Zuge der Übernahme der Senatsgeschäfte durch Klaus Wowereits SPD-PDS-Koalition im Januar 2002 wurde der FP (560 Mitarbeiter) im Juli 2002 per Senatsbeschluß aufgelöst.

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