© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

Yeah, Yeah, Yeah
Große Freiheit: Vor fünfzig Jahren eroberten die Beatles Hamburg und die Welt
Christian Dorn

Wann fing es an? Wäre es an einem Datum festzumachen, ist es wohl – nicht nur aus deutscher Sicht – der 17. August 1960 in Hamburg, als die Beatles den ersten ihrer insgesamt 48 Auftritte im Indra-Club auf der Großen Freiheit absolvierten, einem Ort, der hauptsächlich von Prostituierten und deren Kunden besucht wurde.

Während dieses ersten Hamburger Gastspiels traten sie auch als Begleitband des damals populären Sängers und Gitarristen Tony Sheridan auf. Der einstige Hamburger Boxmeister Horst Fascher, der die Beatles später in den von ihm gegründeten Star-Club holte, erinnert sich gegenüber der JF an diesen Tag noch so deutlich, als sei es erst gestern gewesen: „Es war der 16. August, als ich mit Tony unten im Probenraum stand. Da hieß es von draußen, Mr. Sheridan, your new band has arrived.“ Deren Köpfe, so Faschers Erinnerung, steckten „hinter den verschmutzten Scheiben eines Kleinbusses“.

Die Gruppe, damals noch mit Pete Best am Schlagzeug und Stuart Sutcliff am Baß, wurde von Fascher zur Unterkunft gebracht: eine Räumlichkeit, die sich direkt hinter der Leinwand des Bambi-Kinos befand. Fascher betreute von dieser Stunde an „die Jungs“, für die er in dieser Zeit fast eine Art Vater- und Mutterersatz war. Dennoch mußten die Beatles ihre Zelte vorzeitig am 3. Oktober abbrechen, nachdem die Ausländerpolizei, von John Lennon „Gestapo“ genannt, George Harrison und Paul McCartney ausgewiesen hatte: ersteren, weil er noch zu jung war, um in Nachtclubs zu spielen, letzteren, weil er der Brandstiftung im Bambi-Kino beschuldigt wurde.

Doch bald kehrten die Beatles nach Hamburg zurück, insgesamt gaben sie bis Ende 1962 vier längere Gastspiele – vom Indra über den Kaiserkeller und den Top Ten bis hin zum Star-Club. Es war die Zeit, in der die Band ihren Stil fand und von einer Amateur- zu einer Profiband reifte. Während ihre Heimatstadt Liverpool die Beatles hervorgebracht hatte, wurden sie in Hamburg – wie es der Journalist Alan Posener formulierte – „im eigentlichen Sinne ‘gemacht’“.

Verantwortlich hierfür war nicht nur das mörderische Konzertprogramm von täglich fünf bis sieben Stunden. Zugleich fand dort mit John Lennon und Paul McCartney das erfolgreichste Autorenduo zusammen, das die Popmusik je gesehen hat – ja, das diese überhaupt erst in die Welt brachte. Nicht zu vergessen ist freilich die Rolle der Hamburger Designerin Astrid Kirchherr. Sie war von ihrem damaligen Freund Klaus Voormann, der später – als Grafiker, Musiker und Freund der „Fab Four“ – ein „fünfter Beatle“ wurde, in den Kaiserkeller mitgenommen worden. Den Beatles verpaßte sie einen neuen Aufzug (Anzüge) und jene legendäre Frisur, dank der diese als „Pilzköpfe“ wiedergeboren wurden. Auch stammen von ihr die ersten professionellen Bandfotos. Nicht zuletzt angelte sie sich Stuart Sutcliff, der bei ihr in Hamburg blieb – und wenig später an einem Gehirntumor verstarb.

Eine Ahnung des bevorstehenden Erfolgs stellte sich bereits nach dem ersten Hamburg-Engagement ein. Denn zurück in Liverpool verursachten die „neuen“ Beatles mit ihrer „deutschen“ Frisur und ihrer wilden Musik, die eine begeisternde Frische und Originalität transportierte, am 27. Dezember 1960 eine Sensation. In der Litherland Town Hall stürmten die Mädchen die Bühne und verfolgten die Beatles nach ihrem Auftritt bis zu ihrem Kleinbus. Drei Jahre später sollte dieses Phänomen als „Beatlemania“ den ganzen Globus ergreifen.

Horst Fascher, der bis heute mit den beiden verbliebenen Beatles McCartney und Starr freundschaftlich verbunden ist, erinnert sich noch an den Abschied Lennons an Neujahr 1963, nachdem gemeinsam in Hamburg Heiligabend gefeiert worden war: „Tschüß Horst, ich glaube, dieser Abschied ist für länger. Wir werden nicht mehr in den Star-Club zurückkehren. Ich habe da so ein Gefühl ...“

Bevor Lennon aber sein „I got a feeling“ auf Platte brachte, ein knappes Jahrzehnt später, 1970, auf dem letzten Beatles-Album „Let It Be“, waren die „Pilzköpfe“ bereits zu einem überlebensgroßen Mythos geworden, durch den die Welt sich für immer verändert hatte, nicht zuletzt, da die Beatles mit ihren frühen Songs zu den Protagonisten jugendlicher Selbstbestimmung wurden.

Begonnen hatte es mit dem Manager Brian Epstein, der – auf Geheiß der übrigen Jungs – Pete Best rauswarf, welcher damit zur wohl tragischsten Figur der Popmusik wurde, die sich denken läßt. Für ihn kam Ringo Starr in die Band, und die war jetzt perfekt. Die erste Single „Love Me Do“, veröffentlicht im Oktober 1962, errang Platz 32 in den Charts. Die zweite, „Please, Please Me“ schaffte den ersten Platz und die dritte „From Me To You“ ebenso. Die vierte, „She Loves You“, wurde der größte Hit der britischen Popgeschichte überhaupt und mit dem Chorus des „Yeah, Yeah, Yeah“ zum Ausruf einer neuen Ära – und nebenbei zum Schreckgespenst Walter Ulbrichts in der Zone. Geschrieben wurden die Songs allesamt vom Autorenduo Lennon/McCartney. Erst in den späteren Jahren reüssierten auch George Harrison und Ringo Starr.

Anfang 1964 dann fielen die Beatles in Amerika ein und besetzten die ersten fünf Plätze in der Single-Hitparade – eine bis heute unerreichte Dominanz. Beispielhaft für den Olymp dieser vier Musiker, die sich auf fabelhafte Weise zu einem Ganzen fügten, ist ihre legendäre Pressekonferenz vor ihrer ersten USA-Tournee. Hunderte von Journalisten umlagern die Beatles, bedrängen sie mit Fragen und reden auf sie ein: In der Schlagfertigkeit und der Ironie, mit der sie die Journalisten auflaufen lassen, zeigen sie sich als Stars, die scheinbar von einem anderen Stern kommen. Der Musik- und Reiseautor Nik Cohn beschreibt es in seinem Standardwerk „AwopBopaLooBopALobBamBoom“ wie folgt: „Die Beatles sind nicht erreichbar. Sie antworten höflich, sie machen Witze, sie sind überaus charmant, aber (...) sie bleiben privat. Sie haben ihren eigenen Club (...) Sie sind schließlich die Beatles.“

Was kann über eine Band, die alle Musikstile der Popgeschichte nachhaltig beeinflußt hat – Leonard Bernstein sah in ihnen „die größten Komponisten seit Mozart“ – noch Neues gesagt werden? Vermutlich nichts, was über die Anekdote vom Musikproduzenten Bert Berns hinausgeht. Der soll 1965 in einer Kneipe resigniert auf ein Bild der Beatles geschaut und in weiser Trauer seinen Kopf geschüttelt haben: „Diese Jungens haben Genie. Sie könnten für uns alle der Ruin sein.“

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