© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

Ein gut sichtbarer Platz auf der Tribüne
Aus dem intellektuellen Haushalt der Gegenwart verdrängt: Eine Erinnerung an den Publizisten Friedrich Sieburg
Ansgar Lange

Joachim Fest hat seinen biographischen Versuch über Friedrich Sieburg, einen der brillantesten Journalisten seiner Zeit, ein „Porträt ohne Anlaß“ genannt. Jüngst sind Sieburgs Essays aus den 1950er Jahren unter dem Titel „Die Lust am Untergang“ in der Anderen Bibliothek (Eichborn) erschienen. Es ist also an der Zeit, ein „Porträt mit Anlaß“ zu verfassen. Der Eichborn-Band macht nämlich Lust, sich wieder intensiver mit Friedrich Sieburg und mit dem bisher erschienenen Schrifttum über diesen klugen Kopf zu beschäftigen.

Wer war Friedrich Sieburg? Der lebenslange Frankreich-Freund war ein gebürtiger Sauerländer und kam 1893 in Altena in eher bescheidenen Verhältnissen zur Welt. Auffallend ist, daß der Westfale Sieburg sich nie zur Emigration entschließen konnte und sein eigentlich häusliches Temperament sich zu längeren Auslandsaufenthalten immer wieder erst aufraffen mußte. Der konservative Publizist Hans Georg von Studnitz bezeichnete ihn als „Sinfoniker der Sprache“. In seinem Erinnerungsband „Menschen aus meiner Welt“ weckt Studnitz gleich im ersten Satz Interesse daran, sich mit Sieburg zu befassen: „Friedrich Sieburg zerbrach an zweierlei: an Frankreich, das er wie eine Frau liebte, und an einer Frau, die ihn wie Frankreich verstieß.“

Den Launen seiner zweiten Frau hilflos ausgeliefert

Dieser Satz muß näher erläutert werden. Und vielleicht ist es kein schlechter Ansatz, sich anhand verschiedener Deutungen dieser schillernden Persönlichkeit zu nähern. Einigkeit besteht darüber, daß Sieburg nach dem Ersten Weltkrieg Frankreich für die Deutschen wiederentdeckte. Zeugnis davon lieferte sein Buch „Gott in Frankreich“. Immer wieder kam der Autor auf das Nachbarland zu sprechen. Er lebte als Korrespondent der Frankfurter Zeitung in Paris, war zeitweilig im Diplomatischen Dienst beschäftigt, rezensierte als Literaturchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) mit Vorliebe französische Autoren und schrieb Biographien über Robespierre, Chauteaubriand oder Napoleon. Fast alle seine Bücher sind heute nur noch antiquarisch zu bekommen.

Bei der Lektüre des knapp zehn­seitigen Porträts, welches Studnitz von Sieburg entwarf, fällt auf, daß sich Cecilia von Buddenbrock in ihrem 2007 in Deutschland erschienenen Buch (Friedrich Sieburg (1893–1964). Ein deutscher Journalist vor der Herausforderung eines Jahrhunderts. Societäts-Verlag, Frankfurt) sehr stark an dessen Urteile anlehnt. Zu nennen ist hier die Schilderung seiner zweiten Ehe mit Dorothee von Pückler. Fast hätte die schöne und gesellschaftlich ambitionierte Dame den Frauenfreund Sieburg ruiniert: „Sie blies ihm fast das Lebenslicht aus.“ In der Liebe sei sie flatterhaft gewesen, auch nach der Eheschließung mit dem auch nicht gerade uneitlen und sozial hochmütigen Sieburg.

Augenscheinlich war er den Launen dieser Frau hilflos ausgeliefert: „Es kam zu Auftritten, die, von Versöhnungen unterbrochen, die Ehe zerrütteten. Eines Tages setzte Dorothee ihn mit seinen kostbaren Möbeln, seinen napoleonischen Souvenirs, mit Bildern und Büchern in Rübgarten in den Regen.“ Es kommt hinzu, daß dem Pariser Gesellschaftslöwen auch noch die Nähe zum nationalsozialistischen Regime unterstellt wurde: „Mit dem Zusammenbruch seiner zweiten Ehe, der zeitlich mit der deutschen Katastrophe zusammenfiel, wurde Friedrich Sieburg zum gezeichneten Dulder.“

Der Disziplinierungswille eines labilen Menschen

Mit wesentlich weniger Sympathie geht Joachim Fest in seinem „Porträt ohne Anlaß“ mit seinem vormaligen FAZ-Kollegen um. Vielleicht liegt dies auch daran, daß die beiden großen konservativen Journalisten sich in puncto Eitelkeit und Snobismus nicht besonders unterscheiden. Fest attestiert dem Protagonisten seines Essays, daß er das Frankreich-Bild einer ganzen Generation geprägt habe. Zudem habe er ein feines Gespür für Bewegungen und Tendenzströme der Zeit bewiesen, als er Anfang 1933 eine umfangreiche Betrachtung mit dem Titel „Es werde Deutschland“ veröffentlicht habe. Fest zufolge sei dies mit Sicherheit „kein Produkt jenes scharenweisen intellektuellen Überläufertums“ gewesen, sondern durch seinen „vagen, pathetisch vergrübelten Ton“ gehöre es eher in die Nähe der sogenannten „Konservativen Revolution“.

Sieburg, dem später nicht nur in dem von ihm so geliebten Frankreich nachgesagt wurde, er sei vielleicht kein Nationalsozialist, aber ein „hochfeiner Collaborateur“ gewesen, hatte große Angst vor politischer Verstrickung. Daß er während der Hitler-Jahre von der „bürgerlich-bescheidenen“ Frankfurter Zeitung ins Auswärtige Amt gewechselt ist, erklärt Fest mit dessen „Bedürfnis nach einem großen Lebensrahmen, nach Auftritten, Kulissen und schönen Umständen“: „Er war und blieb ein Beobachter, und von allen Versprechungen der Macht reizte ihn am Ende weniger, was man damit anzufangen, als was sie dem Repräsentationsbedürfnis zu bieten vermochte: Privilegien, Würden und einen gut sichtbaren Platz auf der Tribüne.“

Gerade in der Person Sieburgs wird das Dilemma der ästhetischen Existenz in einer „Epoche der moralischen Entscheidungszwänge“ deutlich. Als Schriftsteller hätte er sich noch am ehesten aus allem heraushalten können, als Journalist und Diplomat mit dem Hang zu Höherem mußte dies scheitern. Es verwundert daher nicht, daß das Bild Sieburgs auch über vierzig Jahre nach seinem Tod unscharf bleibt. Einfühlsam bringt dies Fest auf die Formel: „Die Vermutung ist nicht abwegig, daß hinter seinem zeremoniellen Gebaren, dem unnachsichtigen Beharren auf Konvention und hoher Etikette, nicht zuletzt der Disziplinierungswille eines äußerst labilen Menschen stand, der sich weder seiner schwer zu zügelnden eruptiven Gefühle noch seiner sentimentalen Stimmungsschübe je ganz sicher war.“

Marcel Reich-Ranicki hat in seinen Lebenserinnerungen ebenfalls über Sieburg geschrieben. Als er in die Bundesrepublik kam und als Literaturkritiker Fuß fassen wollte, war er ein Außenseiter als Pole und als Jude. Sieburg hatte 1956 das Zepter des Literaturchefs bei der FAZ übernommen. Zur damaligen Zeit war er Deutschlands originellster und mächtigster Literaturkritiker. Als betont konservativer Schriftsteller und Journalist „war er ein entschiedener Gegner, wenn nicht ein Verächter der neuen deutschen Literatur“, insbesondere der „Gruppe 47“.

Reich-Ranicki nun schildert seinen Vorgänger bei der FAZ als abwehrenden, eitlen, unhöflichen und arroganten „Herrenmenschen“, der nur einen beschränkten Blick für das damalige literarische Geschehen gehabt habe und ihn mehr „geduldet als gefördert“ habe. Letztlich habe Sieburg sich der hervorragenden Qualität seiner Arbeiten aber nicht widersetzen können, so der spätere „Literaturpapst“ nicht uneitel. Es mag sein, daß einige Intellektuelle an Sieburg genau die Charakterzüge kritisieren, von denen sie selber nicht ganz frei sind. Eignet sich denn überhaupt jemand zum Feuilletonisten oder Literaten, der von Eitelkeit, Narzißmus und Ichbezogenheit völlig frei wäre? Dies zu glauben ist mehr als naiv. Zumindest äußert sich Reich-Ranicki positiv über die einschmeichelnde Diktion Sieburgs und seinen saloppen Stil.

Ausführlich und objektiver als Reich-Ranicki hat sich Hans-Christof Kraus mit dem konservativen Intellektuellen in der frühen Bundesrepublik befaßt. „Es gereicht heutiger deutscher Geisteskultur nicht eben zur Ehre, daß eine solch sprachmächtige und stilbildende Persönlichkeit aus dem intellektuellen Haushalt der Gegenwart verdrängt worden ist“, so Kraus in dem Sammelband „Die kupierte Alternative. Konservatismus in Deutschland nach 1945“. Selbst seine linken Bewunderer Fritz J. Raddatz und Klaus Harpprecht hätten nach seinem Tod vergeblich versucht, wieder mehr Aufmerksamkeit für den blendenden Stilisten zu schaffen. Kraus plädiert für eine Wiederentdeckung des Autors, da ohne sein Werk ein Bild des deutschen Geisteslebens vor und nach 1945 nicht möglich sei. Die Protagonisten der „Gruppe 47“, die Sieburg nicht nur literarisch, sondern auch (nicht ganz zu Unrecht) ästhetisch zuwider waren, haben es erfolgreich verstanden, die Kulturgeschichte der frühen Bundesrepublik ganz für sich zu vereinnahmen.

Er sah die Bundesrepublik im Materiellen ertrinken

Kraus räumt auch ein wenig damit auf, Sieburg sei völlig unpolitisch gewesen. Sicher, seine Bemühungen, als Vermittler zwischen Deutschland und Frankreich zu gelten, mußten spätestens seit seiner Verstrickung in die politischen Undurchschaubarkeiten der deutschen Besatzung in Paris als gescheitert betrachtet werden. Es gehöre aber zu Sieburgs größten politischen Verdiensten, so Kraus, daß er auch in den fünfziger und sechziger Jahren unbeirrbar auf der Aktualität der deutschen Frage beharrt habe: „Sieburg nahm sich das Recht heraus, sich zum Sprecher derjenigen Millionen von Deutschen zu machen, die von Berlin und vom Erbe Preußens nicht lassen wollten.“

Sieburg war beileibe kein Nationalneutralist gewesen und hat auch keine vollständige Rückkehr seiner Landsleute zu jüngst vergangenen Verhaltensweisen gewünscht; trotzdem war er ein Kritiker der jungen Bundesrepublik, die er in einem Kult des Materiellen ertrinken sah. Beim Adenauer-Staat handele es sich ausschließlich um ein Wirtschaftssystem, über das ein wohlfunktionierender Staatsapparat gestülpt sei, mokierte er sich beispielsweise. Es blieb nicht aus, daß ihm die Amerikanisierung der deutschen Kultur ebenfalls ein Dorn im Auge war.

Sicherlich ist noch nicht das letzte Wort über Sieburg gesprochen. Tilman Krause, der über Sieburg promoviert worden ist, schrieb zum vierzigsten Todestag des Publizisten, seine Zeit werde noch kommen: „Eleganz und Charme setzen sich durch.“ Zweifel sind angebracht, ob dem wirklich so ist. Vielleicht kommt auch noch die Zeit für eine „richtige“ Biographie Sieburgs, denn von Buddenbrocks Buch läßt wichtige Fragen unbeantwortet.

Cecilia von Buddenbrock schreibt über Sieburgs Zeit im „Dritten Reich“: „Das war Sieburgs Drama: Die äußeren Umstände hatten sich seinen persönlichen Wünschen entgegengestellt.“ Hier finden wir den Schlüssel zu seiner Persönlichkeit, der vor allem in seiner Egomanie und Eitelkeit zu suchen ist. Der Stil macht den Herrn. Sieburg bekannte seinen Lesern, ihm sei „der Stil, also auch meine eigene Schreibweise, seit je für mich wichtiger gewesen (...) als alle Programme“. Dieser Geisteshaltung verdanken wir einige der schönsten Sätze, die im 20. Jahrhundert in deutscher Sprache geschrieben wurden.

Friedrich Sieburg: Die Lust am Untergang. Selbstgespräche auf Bundesebene. Eichborn, Frankfurt/Main 2010, gebunden, 420 Seiten, 32 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen