© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/10 13. August 2010

Literatur: Anna von Bayern erklärt das Phänomen Karl-Theodor zu Guttenberg
Der Aufsteiger von oben
Georg Ginster

Er wurde zum „Best-Dressed Man“ und zum „Sexiest Man in Politics“ gekürt. Jede zweite Frau, so hat eine Fachzeitschrift für diese Bevölkerungsgruppe herausgefunden, träumt von einem romantischen Date mit ihm, jede dritte würde ihn gar als Mitwirkenden in einem Seitensprung bevorzugen.

Wo die übrige etablierte Berliner Polit-Prominenz schon froh ist, zur Kenntnis genommen zu werden, genießt Karl-Theodor zu Guttenberg mit seinen gerade einmal 38 Jahren Kultstatus. Dabei sind erst knapp 18 Monate verstrichen, seit er aus den hinteren Bänken des Parlaments in den Ministerrang aufstieg. Er ist der Senkrechtstarter der Ära Merkel.

KTG stellt den Populismus vom Kopf auf die Füße

Wer ihm gerecht werden will, kann ihn nicht an Mitmenschen messen, die nach der Verfassungsordnung ihm ebenbürtig sind: an Ministerkollegen wie Rainer Brüderle, Norbert Röttgen oder Dirk Niebel. Sie mögen solide oder bemühte Verwalter ihres Amtes sein. Aber sie bewegen die Herzen der Menschen nicht, vereinen keine Hoffnungen auf sich, sind keine Objekte der Begierde. Wer einen Maßstab sucht, der auf Karl-Theodor zu Guttenberg paßt, muß schon über den niedrigen deutschen Tellerrand hinaus in die USA blicken. Barack Obama, sein Aufstieg und sein Charisma sind die Blaupause für den Weg, den „KTG“ eingeschlagen hat und von dem daher erst eine Etappe zurückgelegt sein dürfte.

Dies in etwa ist das atmosphärische Koordinatensystem, aus dem heraus das erste Standardwerk zu unserem aktuellen Verteidigungsminister sein Wesen und Wirken erschließt. Der Verfasserin, Anna von Bayern, kommt dabei zugute, daß sie in der Lebenswelt, die KTG geprägt hat, selbst zu Hause ist. Als eine geborene Prinzessin zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg ist sie heute die Gemahlin von Manuel Prinz von Bayern, dem ältesten Sohn von Leopold („Poldi“) Prinz von Bayern, der der Adalbertinischen Linie des Hauses Wittelsbach vorsteht. Ihr berufliches Engagement für die Bild am Sonntag mag als wenig standesgemäß dünken, fügt sich jedoch in eine weit zurückreichende geistesgeschichtliche Tradition ein. Der Schulterschluß zwischen König und Adel auf der einen und dem gemeinen Volk auf der anderen Seite erschien schon im frühen 19. Jahrhundert als eine bedenkenswerte Option, um bürgerlichen Parvenüs Paroli zu bieten, die hemdsärmelig auf die politische Bühne drängten und mit ihrer nur behelfsmäßig camouflierten Philosophie des Eigennutzes das Ganze in Gefahr brachten.

Natürlich wird unterdessen niemand mehr die bürgerliche Gesellschaft und ihren Staat in Frage stellen wollen. In seiner Haltung ist der dritte Stand aber auch heute dem wahren Adel immer noch nicht ebenbürtig, und dies mag als ein wesentlicher Grund dafür gelten, daß die Politik dem Volke sowenig Respekt abnötigt. Um das Phänomen KTG in diesem Sinne zu erhellen, bemüht Anna von Bayern sogar den marxistisch inspirierten Soziologen Pierre Bourdieu: „Ein Aufsteiger, dem man den Aufstieg ansieht, weil er davon immer noch atemlos ist, kann niemals souverän wirken.“ Guttenberg hingegen ist „ein Aufsteiger von oben“. Er „bedarf nicht der politischen Bühne, um wahrgenommen zu werden und zu wirken. Er war schon vorher wer und wird es auch nachher wieder sein.“ Dabei unterschlägt sie keineswegs, daß KTG nicht nur in klassisch-aristokratischer Manier in einer 800jährigen Geschichte seines Hauses wurzelt, in dessen Stammsitz er aufgewachsen ist, sondern auch neuzeitlich-bürgerlich ein Familienvermögen von geschätzten 500 Millionen Euro im Hintergrund weiß, das ihm eine gewisse Unabhängigkeit und Freiheit von Existenznöten verschafft.

Doch dies allein erklärt Erfolg und Nimbus von KTG nur zum Teil. Er ist kein Snob, kein Exzentriker und auch kein knorriger Einzelgänger wie sein früh verstorbener Großvater „Karl Theodor ohne Bindestrich“, der von 1957 bis 1972 dem Bundestag angehörte. Er liest zwar Platon im Original, legt aber genauso gerne als DJ AC/DC auf. Seine attraktive Frau, eine Ururenkelin Otto von Bismarcks, hat auf einer Loveparade seinen Weg gekreuzt. Er reitet nicht die Masche, durch politische Inhalte auffallen zu wollen. Er weiß aber, daß das, was alle sagen, beim Bürger besser ankommt, wenn er es in den Mund nimmt. KTG stellt den Populismus vom Kopf auf die Füße. Die Massen wollen es gar nicht, daß Politiker sich bei ihnen anbiedern und sich zu ihrem Sprachrohr erklären. Er erfüllt ihnen diesen Wunsch.

Anna von Bayern: Karl-Theodor zu Guttenberg. Aristokrat, Politstar, Minister; Fackelträger Verlag, Köln 2010, 224 Seiten, 30 Abbildungen, gebunden, 19,95 Euro

Foto: Guttenberg als DJ: Das „KrisenbewälTiger“-Hemd bekam er von der Jungen Union geschenkt

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