© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Energie als Schicksal
Was kommt nach Kohle und Öl? Die schwierige Suche nach einem tragfähigen nationalen Energiekonzept
Michael Paulwitz

Wir leben in einer Achsenzeit. Die Globalisierung von Produktion, Handel und Information läßt mehr Menschen als je zuvor an einer hochtechnisierten und industrialisierten Zivilisation teilnehmen. Während ihr Energiehunger wächst, geht das Zeitalter der fossilen Energie in absehbarer Zeit zu Ende. Die Suche nach Alternativen zur verbrauchenden Ausbeutung von Kohle, Erdöl und Erdgas ist eine Schicksalsfrage unseres Jahrhunderts. Um das zu wissen, bedarf es keiner fragwürdigen Horrorszenarien, die Temperaturschwankungen im Weltklima für menschengemacht erklären und dem CO2-Ausstoß aus der Nutzung fossiler Brennstoffe zuordnen.

Auch wenn die Prognosen über die noch verfügbaren Reserven an diesen Energieträgern regelmäßig zu pessimistisch ausfallen: Die Endlichkeit dieser in Jahrmillionen gebildeten Ressourcen, die schneller verbraucht werden, als sie entstehen konnten, ist logisch unabweisbar. Der rasante Aufstieg Chinas, Indiens, Brasiliens und weiterer Schwellenländer und ihr sich potenzierender Energiebedarf, den auch das ehrgeizigste und höchsttechnologische westliche Sparprogramm nicht kompensieren kann, verschärft schon heute den Verteilungskampf um die zur Neige gehenden fossilen Ressourcen.

Der globale Wettlauf um die letzten Lagerstätten, von den USA und China angeführt, vervielfacht die Bruchlinien und potentiellen Konflikt-herde in der Welt. Rohstoffragen werden in internationalen Krisen und kriegerischen Konflikten noch mehr als bisher in den Mittelpunkt rücken. Strategien, die momentan „sichere“ Versorgungswege besser erschließen sollen, wie die „NordStream“-Gasleitung durch die Ostsee oder die „Nabucco“-Fernröhrenleitung zu den Lagerstätten Zentralasiens dienen vor allem dem Zeitgewinn. Je härter der Wettbewerb, desto krisenanfälliger und unberechenbarer dürften auch heute noch vermeintlich „sichere“ Lieferanten werden.

Der Preis für fossile Energie wird in jedem Fall drastisch steigen; sowohl der am Markt in Euro und Dollar zu entrichtende, wenn eine explodierende Nachfrage auf ein schwindendes Angebot trifft, aber auch der Preis für die Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Zwischenfälle wie das Bohrinselunglück im Golf von Mexiko lassen erahnen, daß dieser Preis ins Unermeßliche steigen kann.

Die einfachsten Antworten setzen an erster Stelle auf Einschränkung und Mangelverwaltung. Die Klimaschutz-Ideologie bietet eine quasi-religiöse Überhöhung für Verbote, Zwangsabgaben und weitere tiefe Eingriffe in die Freiheit der Bürger. Vielen Regierungen ist sie gerade deshalb nicht unwillkommen. Eine realistische Perspektive für eine neue und ausreichende Grundlage für breiten Wohlstand schafft das aber gerade nicht.

In Deutschland, wo man dazu neigt, supranationale Vereinbarungen als Selbstzweck und nicht als Vehikel zur Beförderung nationaler Interessen zu betrachten, tut man sich schwerer als in anderen Ländern bei der Entwicklung einer nationalen Energiestrategie. Eine kuriose Folge ist, daß man sich freiwillig auf „Klimapolitik“ zum direkten Schaden der heimischen Industrie verpflichtet.

Innenpolitische Befindlichkeiten und Lobbyismus gehen vor Lageanalyse und Geostrategie. Von daher die einseitige Fixierung auf den totalen Kohle- und Atomausstieg und die überzogenen Subventionen für Wind- und Solarenergie. Das gilt nicht nur für rot-grüne Landespolitiker-Utopien, sondern auch die bisher bekanntgewordenen schwarz-gelben Energiekonzepte.

Richtig erkannt scheint man immerhin zu haben, daß die Bedeutung elektrischer Energie für die Mobilität massiv steigen wird. Elektroautos können künftig den lokalen und innerstädtischen Individualverkehr dominieren, Schnellbahnen das Flugzeug auf Kurz- und Mittelstrecken ablösen und Verbrennungsantriebe stark zurückdrängen, zugleich aber den Strombedarf vervielfachen.

Energiesparen ist zwar eine schnell zu mobilisierende Ressource, aber nur ein Teil der Lösung. Auch heute favorisierte Alternativkonzepte wie Windkraft, Solarenergie, Geothermie oder Kraft-Wärme-Kopplung können zwar eine flexible und dezentrale Versorgung abstützen, aber aufgrund begrenzter und schwankender Verfügbarkeit in unseren Breiten weder jetzt noch künftig eine Vollversorgung ohne massive Einschränkungen übernehmen. Mit der Dimension wachsen auch bei diesen Energiequellen die Folgeschäden für Mensch und Natur; der umweltneutrale Eingriff des Menschen ist eine Illusion.

Spekulative Großvorhaben wie das Solar-Wüstenstromprojekt Desertec (siehe Seite 10), die in politisch instabilen Regionen angesiedelt werden sollen, werfen wiederum die Frage nach der Versorgungssicherheit und der Notwendigkeit von militärischen Interventionen zu ihrem Schutz auf. Klimaideologisch motivierte Technologien wie die Abscheidung und Einlagerung von Kohlendioxyd als Auflage für den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken sind dagegen sinnlose und kostspielige Fehlsteuerungen von Forschungsressourcen.

Kernkraft hat die langfristigsten Folgeschäden und hängt ebenfalls von Brennstoffimporten ab; allerdings sind die Lieferländer politisch stabil, und die Bevorratung ist auch für lange Zeiträume im voraus möglich. Die Karten auf dem Markt werden jetzt gemischt. Deutschland ist das einzige große Industrieland, das sich dem internationalen Konsens verweigert, die Kernkraft als „Brückentechnologie“ bis zur Einsatzreife einer versorgungssicheren, ortsungebunden verfügbaren und potentiell unbegrenzten Energiequelle zu nutzen.

Die Kernfusion könnte von der Jahrhundertmitte an diese Rolle übernehmen. Deutschland muß sich der Frage stellen, wie es bis zur Ablösung der fossilen durch die Fusionsära seine Energieversorgung und damit seinen Wohlstand sichert, ohne in ideologischen Blockaden und Irrwegen den Anschluß zu verlieren. Die „Klimaschutz“-Religion steht mit ihrem Absolutheitsanspruch realistischen Problemlösungen eher im Wege.

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