© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Gleichschritt Marsch ins Söldnerheer
Bundeswehr: Mit dem absehbaren Ende der Wehrpfl icht verabschiedet sich die Armee vom Erbe der preußischen Reformen
Paul Rosen

Deutschland muß sparen. Politiker ziehen daraus ihre besonderen Konsequenzen: Gespart werden soll vor allem dort, wo der geringste Wiederstand zu erwarten ist, etwa bei der Verteidigung. Die Auflösung ganzer Bataillone und Kompanien fällt erst dann auf, wenn sie gebraucht werden würden. Da dies so schnell nicht zu erwarten ist, kann der Schrumpfungsprozeß der Bundeswehr vorangetrieben werden. Der junge Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) will darüber hinaus die Wehrpflicht abschaffen und sägt damit an der guten Tradition der preußischen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die nicht nur allein militärischer Natur waren. Wenn der erste westdeutsche Präsident Theodor Heuss bereits 1949 sagte, „die Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie“, dann klingt in diesem Satz das Erbe der preußischen Reformen mit. Dieses Erbe klingt jetzt aus.

Guttenberg will die Bundeswehr von 195.000 Zeit- und Berufssoldaten auf 156.000 verringern. Das einst in Divisionen gegliederte deutsche Heer würde noch aus 55.000 Soldaten bestehen, eine Versorgungs- und Logistikabteilung namens „Streitkräftebasis“ käme auf 35.000 Soldaten. Die Luftwaffe hätte noch 20.500, der Sanitätsdienst 12.500 und die Marine 11.500 Soldaten. Hinzu kommen noch andere, kleinere Truppenteile. Von den rund 60.000 Wehrpflichtigen sollen allenfalls 7.500 bleiben, die aber als Freiwillige angesehen werden sollen. Die Wehrpflicht soll zwar auf dem Papier bestehen bleiben und nicht aus der Verfassung gestrichen, aber „ausgesetzt“ werden, was in Deutschland nicht zum ersten Mal passieren würde. Auch nach dem Ersten Weltkrieg war die Wehrpflicht unter dem Druck der Siegermächte ausgesetzt worden.

Diesmal geschieht die Aussetzung der Wehrpflicht allein unter dem Diktat der angeblich leeren Kassen, in denen aber immer noch sehr viel Geld für allerlei soziale Wohltaten enthalten zu sein scheint. Selbst die SPD, bisher nicht als Lordsiegelbewahrer militärischer Interessen in Erscheinung getreten, findet Guttenbergs Kurs falsch. Im Falle der Umsetzung des „Spardiktats“ von 8,3 Milliarden Euro bis 2014 könne die Truppe nicht einsatzfähig und einsatzbereit gehalten werden. Bei einer Aussetzung der Wehrpflicht werde die Bundeswehr eine reine Interventionsarmee und nicht mehr in der Lage sein, Bündnisverpflichtungen zu erfüllen, heißt es in einem von der Financial Times Deutschland zitierten Papier der SPD-Bundestagsfraktion.

Die Verteidigungsexperten der Sozialdemokraten haben völlig recht, und dies zeigt, wie sehr die Bürgerlichen in Deutschland ihre Positionen selbst schleifen. Mit der FDP war in Bundeswehr-Fragen schon seit Jahren kein Staat mehr zu machen. Die Liberalen hatten sich gegen besseres Wissen ihrer eigenen Fachleute von der Wehrpflicht verabschiedet, ignorieren seitdem aber die sich aus einer Berufsarmee ergebenden Konsequenzen, von denen noch die Rede sein wird. Neu ist, daß die CSU diesem Kurs folgt, obwohl Guttenbergs eigener Parteichef Horst Seehofer noch kürzlich sagte: „Ich kann meiner Partei nur raten, die Wehrpflicht nicht abzuschaffen.“ Sie gehöre zum Markenkern der Union. Sollte Guttenberg sich durchsetzen, ist damit auch die Frage beantwortet, wer in der CSU künftig Koch und wer Kellner ist. Seehofer blickt angeblich auf Umfragen, die seine Partei unter 40 Prozent in Bayern sehen. Verfestigt sich der Trend, ist sein Sturz nur noch eine Frage der Zeit, und Guttenberg käme vielleicht in andere Ämter und damit aus dem wehrpolitischen Spiel mit dem Feuer heraus, dessen Gefahren ihm – einem immerhin sehr gebildeten Mann – nicht unbekannt sein dürften.

Die Wehrpflicht würde mit dem Verschieben von Schachbrett-Figuren im politischen Spiel nicht gerettet. Bastionen, die einmal aufgegeben worden sind, bekommt man im Regelfall nicht mehr wieder. Andere Länder zahlen einen hohen Preis für ihre Berufsarmeen. Der Sold muß vervielfacht, die Ansprüche bei Bildung und charakterlicher Eignung an die Rekruten müssen drastisch gesenkt werden. Spanien nimmt Ausländer in die Armee auf und gibt ihnen als Dank die Staatsbürgerschaft. Diese Entwicklung droht in Deutschland. Begriffe wie „Innere Führung“ und „Staatsbürger in Uniform“ verkommen zu hohlen Schlagworten, wenn die Soldaten der deutschen Sprache nicht mehr mächtig sind und das deutsche Vaterland, das sie verteidigen sollen, nicht mehr kennen. Daß solche Söldnerheere die Bürger nicht schützen, sind alte Erfahrungen, die in einem Sprichwort mündeten: Ein Volk, das sein eigenes Heer nicht ernähren will, muß bald ein fremdes Heer ernähren.

Foto: Rekruten Ende Juli bei einem Gelöbnis in Stuttgart: Längst nur noch Schachbrett-Figuren

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