© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

„Nerven aus Stahl“
Italien: An Ministerpräsident Silvio Berlusconi scheiden sich die Geister / Offener Bruch mit seinem langjährigen Bündnispartner Fini
Paola Bernardi

Bevor sich die italienischen Politiker in den langen Sommerurlaub verabschiedeten, sorgte Ministerpräsident Silvio Berlusconi noch für einen politischen Paukenschlag: Er zog einen Schlußstrich unter den monatelangen Zwist mit dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Gianfranco Fini. Der Ministerpräsident warf Fini aus seiner Regierungspartei Popolo della Libertà (PDL) und legte ihm zudem nahe, auch von seinem Posten als Kammerpräsident zurückzutreten.

Der Rauswurf Finis, der als parteiinterner Streit begann, ist nun zum Konflikt der gesamten Institution geworden. Italiens bürgerliche Gesellschaft  teilt sich nicht etwa in Berlusconi- und Fini-Anhänger, sondern vielmehr in Berlusconi-Befürworter und Berlusconi-Gegner. Wieder orakeln alle: Ist dies der Anfang vom Ende der Ära Berlusconi? Denn der Schlußstrich, den Berlusconi mit Fini gezogen hat, könnte diesmal der Todesstoß für seine vierte Regierung innerhalb von 16 Jahren sein.

Es war generell ein schlechtes Jahr für Berlusconi, sowohl politisch als auch persönlich. Da gab es den Prostituiertenskandal, dann die physischen Angriffe auf seine Person, zuletzt in Mailand durch einen angeblich psychisch gestörten Täter, und dann vor allem die Scheidung von seiner zweiten Frau Veronica. Dazu kamen die ständigen verbalen Attacken seines bisherigen Hauptverbündeten, dem Ex-Postfaschisten Fini. Berlusconi war es gewesen, der den Postfaschisten vor Jahren aus der politischen Isolation herausholte, ihm zu internationalem Ansehen verhalf und ihn trotz aller Warnungen in seinem Kabinett zum Außenminister machte. Nun entpuppte sich Fini in den Augen Berlusconis als Verräter; Brutus in den eigenen Reihen, das ist ein tragisches Finale.

Hinzu kommen die zahlreichen Korruptionsaffären in Berlusconis derzeitigem Kabinett mit den verbundenen Rücktritten von Ministern. Schließlich behauptete sein früherer Innenminister Giuseppe Pisanu, daß italienische Politiker unter dem Verdacht stünden, seit Jahren mit der Mafia zu kooperieren und zudem noch einer Geheimloge (P3) anzugehören. Kurzum: Italien summt wieder einmal von Skandalen und Verdächtigungen.

Silvio Berlusconi rühmt sich selbst gern als Mann, der „Nerven aus Stahl“ habe. Bis jetzt schien er unverwundbar gegenüber allen Kritiken, Anschuldigungen und zig zermürbenden Gerichtsverfahren samt vorausgegangenen Hausdurchsuchungen. Steuerbetrug, Mafia-Nähe, Richter- und Zeugenbestechung usw. wurden ihm immer wieder vorgeworfen. Berlusconi sieht sich als Opfer linker Verschwörung durch Richter und Medien. Bisher wurde er entweder freigesprochen – oder Verjährungen traten ein.

Doch auch seine Aura des Teflon-Manns scheint nun angekratzt. Dem Gesicht des einstigen glatten Strahlemann sieht man an, daß die jüngsten Geschehnisse ihre Spuren beim heute 74jährigen Regierungschef hinterlassen haben. In unbeobachteten Augenblicken wirkt er müde, verbiestert und verkrampft.

Als Unternehmer und Politiker erfolgreich

Berlusconis Vita liest sich wie die von Citizen Kane oder Rockefeller. Sein Vater Luigi war Prokurist in einer kleinen Mailänder Privatbank. Er schickte seine beiden Söhne Silvio und Paolo auf das strenge humanistische Gymnaisum der Salesianer in Mailand. Während seines Jurastudiums jobbte Berlusconi als Staubsaugervertreter, tingelte als Sänger mit einer Band auf Kreuzfahrten und arbeitete als gut verdienender Student bei einer Baufirma. Gleich nach dem Abschluß, als sich in den frühen sechziger Jahren auch in Italien ein Wirtschaftswunder vollzog, besonders im Bausektor, ergriff Berlusconi seine Chance. Schon 1961 realisierte er sein erstes Bauprojekt mit Bankkrediten. Im Alter von 31 Jahren errichtete er eine ganze Satellitenstadt, „Milano 2“: eine grüne Stadt mit Parkanlagen, einem künstlichen See, Tennisplätzen, Kindergärten und Läden, mit großzügig geschnittenen Eigentumswohnungen für aufstrebende Yuppies aus dem nahen Mailand. Damit die Hausfrauen sich im Grünen nicht langweilen, schuf er ein eigenes internes Fernsehsystem für seine Satellitenstadt. Er kaufte Filme aus den USA, vor allem Seifenopern. Der Grundstein seines Medienimperiums war gelegt.

In den achtziger Jahren steigt Berlusconi zum „König des Äthers“ auf, gründet immer neue Fernsehsender, die der staatlichen Fernsehanstalt RAI Konkurrenz machen. Berlusconis Vorteil ist dabei seine enge Freundschaft mit dem damaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Bettino Craxi, der ihm die nötigen Lizenzen bewilligt. Längst ist Berlusconi, der Baulöwe, Multimillionär. Er besitzt zudem noch Warenhäuser, Zeitungen, Buchverlage, Versicherungen und natürlich auch den Fußballclub AC Milan. Denn nur zu gut kennt er die größten italienischen Leidenschaften: Fußball und Fernsehen. Und er versteht es, diese Wunschträume bestens zu bedienen. Sein Aufstieg vollzieht sich in der  Zeit der „Ersten Republik“ in Italien, als die Christdemokraten und Sozialisten ausschlaggebend waren; 50 Regierungen in 47 Jahren. Keine Parlamentswahl schien daran je etwas zu ändern. Doch dann setzte die Justiz den Hebel an, gilt doch die italienische Justiz von jeher als politisiert.

Tatsächlich fegte in den Jahren 1992 und 1993 eine Welle von Antikorruptionsermittlern, Staatsanwälten und Richtern die Christdemokraten (DC) und Sozialisten (PSI) von der politischen Bühne. „Mani pulite“ (Saubere Hände) nannte sich diese Aktion. Der Sozialistenchef und Ministerpräsident Craxi konnte vor seiner Verhaftung noch nach Tunesien fliehen. Die Zeit für den Aufstieg der postkommunistischen Linken schien gekommen. Daß durch diese Richter-Offensive die politische Bühne für Silvio Berlusconi freigemacht wurde, hatte niemand erwartet. Doch Berlusconi begriff blitzschnell die ganze Tragweite dieser Aktion und handelte – vor allem, um sein eigenes Wirtschaftsimperium zu retten. Innerhalb von einem halben Jahr stampfte er seine Bewegung Forza Italia (der auch zahlreiche Ex-DC-Leute beitraten) aus dem Boden. „Jetzt werde ich das Spielfeld der Politik betreten“, so sein Ausspruch bei seinem ersten Auftreten.

Meinungsforscher, Wissenschaftler und Marketing-Strategen halfen ihm bei seinem Vorhaben. Mit Erfolg: Gemeinsam mit dem Bündnis von Finis Alleanza Nazionale (AN) und Umberto Bossis rechter Autonomiebewegung Lega Nord gewann Silvio Berlusconi 1994 seine ersten Wahlen. Mit seiner überraschenden Wahl brachte er die versteinerten politischen Verhältnisse Italiens zum Tanzen. Mit zwei Unterbrechungen regiert er seitdem das Land. Acht Jahre saß er auf der Oppositionsbank, um dann wieder siegreich in den Regierungssitz  Palazzo Chigi einzuziehen. Zweimal hatte die Linke die Chance, es besser zu machen, doch dann entschied sich die Mehrheit des italienischen Wahlvolks wieder für Berlusconi. Sieben Oppositionsführer hat er bisher an sich vorbeiziehen sehen. Nach dem vor einem Jahr erfolgten Rücktritt von Walter Veltroni, der als chancenreich galt, gibt es kaum noch Gegenkräfte.

Von den Eliten des Landes wurde er nie akzeptiert

Berlusconi ist kein Vollblutpolitiker; er bleibt der Unternehmer und Medienmann. Dieses Unpolitischsein ist doppelschneidig. Dadurch vermag er soviel Konsens zu sammeln bei der schweigenden Mehrheit der Wähler, die das für einen Bonus hält. Zudem ist er ein glänzender Verkäufer von Bildern und Schlagworten.

 Auch in der Außenpolitik agiert er als Unternehmer: Er pflegt direkte Kontakte und Freundschaften zu Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan, früher zu George W. Bush und sogar zu Libyens Staatschef Gaddafi. Daß Italien davon Nutzen hat, zeigte sich mehrmals: Als die Energiekrise in Europa herrschte, hatte Italien keinen Mangel. Und nach seinem Besuch in Libyen ist vorläufig der Flüchtlingsstrom übers Meer nach Italien eingedämmt. Auch das honorieren seine italienischen Wähler.

 Doch weder als Unternehmer noch als reichster Mann Italiens, noch als politischer Führer wurde Berlusconi je von den Eliten des Landes akzeptiert. Das mag auch Komplexe in ihm gezüchtet haben, die er mit banausenhaften Sprüchen, sei es über Fußball oder Frauen, kompensiert. Wie die meisten Italiener möchte er ebenso der Patriarch einer Großfamilie sein wie der Frauenheld mit Macho-Image. Er polarisiert das Land. Für die einen ist er Magier und für die anderen pures Haßobjekt. Man wird sehen, wie er die aktuelle Krise meistert: mit dem Bruch zu einem historisch Verbündeten wie Fini um den Preis der Mehrheit im Parlament oder mit einem riskanten Kraftakt wie Neuwahlen.

Foto: Premier Silvio Berlusconi: Sieben linke Oppositionsführer hat er bisher an sich vorbeiziehen sehen

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