© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Die Sahara als Super-Kraftwerk
Solarthermie-Projekt Desertec: Wie ein Konsortium deutscher Firmen bis 2050 eine gigantische Solarenergie-Anlage in der Wüste Nordafrikas realisieren will
Michael Wiesberg

Zukunftsweisende energiepolitische Vision oder kostspielige Fata Morgana? Zwischen diesen Polen bewegt sich derzeit die Diskussion um das Solarstrom-Projekt Desertec, das bisher vor allem von deutscher Seite vorangetrieben und dominiert wurde.

Das hinter Desertec stehende Konzept sieht vor, im Nahen Osten und in Nordafrika solarthermische Kraftwerke zu errichten. Diese Kraftwerke sollen mit großflächigen Spiegeln (Parabolrinnen) arbeiten, um Sonnenlicht zu bündeln, damit Wasserdampf entsteht, womit wiederum Dampfturbinen angetrieben werden können.

Der Physiker Gerhard Knies, der Desertec mit entwickelte bzw. als dessen „geistiger Vater“ gehandelt wird, kam gegenüber Spiegel-Online regelrecht ins Schwärmen, als er auf die Sahara angesprochen wurde: „In sechs Stunden geht auf die Wüsten der Erde soviel Energie nieder, wie die gesamte Menschheit innerhalb eines Jahres verbraucht.“ Soll mit Spiegeln Strom erzeugt werden, liegt es in der Tat nahe, dorthin zu gehen, wo die Sonne ständig scheint, nämlich in die Sahara Nordafrikas.

Für Knies ist das Desertec-Konzept die „Lösung unseres Energieproblems“. Mit seiner Vision ist er nicht allein: In den USA zum Beispiel liegt unter der Bezeichnung „Solar Grand Plan“ eine Studie vor, die die Nutzung der Sonnenenergie in der Wüste von Nevada anregt. Die Studie geht von der Prognose aus, daß im Jahre 2050 nicht mehr hinreichend fossile Energie zur Stromerzeugung zur Verfügung steht. Um den Strombedarf der Vereinigten Staaten zu decken, wäre demnach in den Jahren 2020 bis 2050 die Nutzung von 80.000 Quadratkilometern (circa die Fläche Österreichs) für Solarkraftwerke notwendig.

Die Initiative für das Desertec-Vorhaben reicht bis in das Jahr 2003 zurück. Damals wurde ein Netzwerk, das sich heute Desertec Foundation nennt, vom Club of Rome, dem Hamburger Klimaschutz-Fonds und dem Nationalen Energieforschungszentrum (NERC) als Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation (TREC) gegründet. TREC entwickelte das Desertec-Konzept, das unter Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrtzentrum evaluiert wurde.

Ende Oktober 2009 erfolgte dann, nachdem Mitte Juli die Desertec Foundation gegründet worden war, die Gründung der Desertec Industrial Initiative (DII) als GmbH nach deutschem Recht, die bis 2012 einen Geschäftsplan vorlegen soll. Zu den Gründungsmitgliedern gehören unter anderem die Münchener Rückversicherung, die Deutsche Bank, Siemens, E.on, RWE, Schott Solar und die MAN Solar Millennium, deren Tochterunternehmen Flagsol in Ägypten ein erstes Solarfeld errichtet. 

Die Franzosen betonen, ihr Projekt sei keine Konkurrenz

Sinn dieser Gründung ist, ein eigenständiges Unternehmen zu haben, das in die konkrete Umsetzung der Planung des Desertec-Konzepts in der Region EU-MENA eingebunden ist. EU-MENA ist eine Solar-Partnerschaft rund um das Mittelmeer zwischen Afrika, dem Nahen Osten und Europa. Im Juli 2008 haben sich 40 Staats- und Regierungschefs aus den Mittelmeer-Anrainerländern mit 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auf einen Solarplan geeinigt, der die Abhängigkeit von klimaschädlichen Energieträgern in Europa zu reduzieren hilft bei gleichzeitiger Konfliktvermeidung.

Weil nicht nur Ressourcen wie Erdöl oder Erdgas endlich sind, sondern weil gerade im Nahen Osten Wasserknappheit in den nächsten Jahrzehnten ein existentielles Thema werden wird, entwickelt Desertec auch Strategien für die Energie- und Wasserversorgung. Beispielhaft hierfür könnten das Gaza Solar Power & Water Project sowie das Sanaa Solar Water Project sein, die die Erzeugung von Trinkwasser und Strom in derzeit konfliktreichen Regionen verfolgen. Die Vision ist der Auf- und Ausbau ökologisch verträglicher Energiegewinnung in den Ländern nördlich der Sahara: Der Strom aus Energieparks (einem Mix von solarthermischen Anlagen, Photovoltaik, Windenergie) soll zur Meerwasserentsalzung eingesetzt werden, die Industrialisierung beschleunigen und die stark wachsende Bevölkerung vor Ort versorgen. Damit könnten die bisherige Nord-Süd-Energieversorgung aus Kohle- und Kernenergie und andere ökologisch bedenkliche Energiegewinnungsformen reduziert werden. Die Zusammenarbeit zwischen Universitäten, der Austausch von Studierenden und zusätzliche Arbeitsplätze wären dabei eine weitere Perspektive für die Vision einer prosperierenden Region rund um das Mittelmeer.

Der in der Sahara gewonnene Strom soll über HDVC-Leitungen (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung) bei einem erwarteten Übertragungsverlust von gut 10 bis 15 Prozent auf die europäischen Märkte geleitet werden. Bis 2050 können die Erzeugerländer — vorwiegend die nordafrikanischen Mittelmeeranrainer — rund 15 Prozent nach Europa exportieren. Das Investitionsvolumen, auf 40 Jahre verteilt, wird auf rund 400 Milliarden Euro geschätzt.

Desertec versteht sich in diesem Projekt keineswegs als Investor. Paul van Son, Leiter des Wüstenstrom-Projekts, definiert die Rolle von Desertec nicht als Bau-, Solar- oder Windkraftunternehmen: „Wir sind lediglich eine Initiative von mehr als einem Dutzend Unternehmen, die das Wüstenstromprojekt möglich machen“, betont van Son in einem Interview mit dem Handelsblatt. „Wir sind Koordinator, Wegbereiter, Katalysator und Beschleuniger.“ Stimmen die Rahmenbestimmungen, werden sich aus der Sicht van Sons von selbst die Investoren finden, die Projekte in Angriff nehmen. Das funktioniere indes nur, wenn bei den Regierungen der Länder für Akzeptanz geworben werde. Deshalb sei er viel in Afrika unterwegs und erkläre die Initiative.

Als kostspieligster Bestandteil des Projekts wird die Transformation des Solarstroms angesehen; die Voraussetzung für eine Einspeisung in das europäische Netz. Hier haben sich nun die französische Politik und Industrie ins Spiel gebracht, die an das Desertec-Projekt anzudocken versuchen. Sie haben dafür das Industrie-Konsortium Transgreen gegründet, das das Ziel verfolgt, die bereits vorhandene Stromleitung unter dem Mittelmeer auszubauen.

Ein nationales Gegenstück der Grande Nation zum deutschen Vorhaben? Die Franzosen betonen, daß ihr Projekt keine Konkurrenz zu Desertec darstelle. Wird von französischer Seite in Kooperation mit den Italienern und Spaniern das realisiert, was verkündet wird, nämlich bis 2020 eine oder mehrere Hochspannungsleitungen unter dem Mittelmeer zu verlegen – aufbauend auf der bereits vorhandenen Doppel-Leitung, die die Meerenge von Gibraltar überbrückt –, dann wäre Transgreen in der Tat die Lösung für die Transportfrage. Desertec würde sich vor diesem Hintergrund vor allem auf die Energieerzeugung und Transgreen auf die Stromübertragung fokussieren.

Kritiker bemängeln die hohen finanziellen Aufwendungen

Die französische Industrie wird allerdings nicht an deutscher Technik vorbeikommen, wie Udo Niehage, Chef der Division Power Transmission im Siemens-Sektor Energy, in einem Interview mit den Nürnberger Nachrichten-Online durchblicken ließ: Auf die Frage, ob es technisch nicht sehr aufwendig sei, Stromnetze unter Wasser zu bauen, antwortete Niehage, dies sei heute „schon vielfach realisiert“. Für die bald in Betrieb gehende Unterseeleitung zwischen Großbritannien und den Niederlanden habe Siemens „jüngst die Technik geliefert“. Gleiches gelte für die „Anbindung von Mallorca an das spanische Festland“.

Die Stromübertragung erfolgt in der HGÜ-Supergridtechnik, der elektrosmogarmen Transformation in Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung, wie sie auch für das Projekt Desertec geplant ist. Die HGÜ-Leistungselektronik kommt aus Nürnberg, wo nach den Worten von Niehage bereits die „riesigen Transformatoren“ gebaut wurden, die in China genutzt werden. Dieser Hintergrund macht verständlich, warum Siemens bei Transgreen einsteigen will.

Kritiker wie der Aachener FH-Professor Helmut Alt machen geltend, daß der solarthermisch erzeugte Strom letztlich deutlich teurer käme als der aus heimischen Kern- oder Braunkohlekraftwerken. Eike Weber, Leiter des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE), hält dem die finanziellen Aufwendungen entgegen, die bis 2030 für fossile Quellen aufgebracht werden müßten. Hermann Scheer, Präsident von Eurosolar (Europäische  Vereinigung für Erneuerbare Energien), moniert, daß die Argumente der Desertec-Befürworter „einer genauen Betrachtung“ nicht standhielten. Vor allem befürchtet Scheer, daß die an Desertec beteiligten Großkonzerne die Strompreise bestimmen könnten. Er plädiert deshalb für eine dezentrale Stromerzeugung, mit der die Systemkosten, die bei zentraler Stromerzeugung anfielen, vermieden werden könnten.

In eine ganz andere Richtung gehen die Argumente, die die Expertin für internationale Energiefragen Kirsten Westphal von der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik vorträgt: Sie verweist darauf, daß die nordafrikanischen Anrainerstaaten zum Teil über reiche Erdöl- und Erdgasvorkommen verfügten, die von den jeweiligen staatlichen Eliten kontrolliert würden. Deren Ziel besteht darin, zu exportieren, um mit den erlösten Gewinnen eigenen Machterhalt zu sichern. Dieses Gefüge könnte durch Desertec unterminiert werden, was entsprechende Widerstände mit sich brächte. Westphal unterstreicht: „Die Schwierigkeit liegt darin, ... ob sich ein Orchester finden wird, um in einem gemeinsamen Konzert von Europa und Nordafrika, von Privatwirtschaft und öffentlicher Hand, das Projekt zu realisieren.“ Bisher, so wird man resümierend feststellen dürfen, ist das Orchester alles andere als vollständig und Desertec noch ein bedeutendes Stück von einem „gemeinsamen Konzert“ entfernt.

Foto: Solarfeld Kuraymat (Ägypten): Die Parabolrinnen-Anlage (Spiegelfläche rund 130.000 Quadratmeter) wird von der deutschen Flagsol GmbH, einer Tochter der Solar Millennium AG, gebaut und geht im Herbst in Betrieb

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