© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Frisch gepresst

Im roten Reich. Unmittelbar nach dem Frieden von Brest-Litowsk am 3. März 1918 wurde Major Karl Freiherr von Bothmer als Spezialist für das Transportwesen von der Obersten Heeresleitung an die deutsche Botschaft in Moskau entsandt, um auch den Gefangenenaustausch zwischen Rußland und Deutschland zu koordinieren. Seine Erfahrungen, Eindrücke und Erlebnisse bis zur Rückreise über Reval, Riga und „das Land Ober­ost“ ins Reich im August 1918 hielt der Generalstabsoffizier in einem Tagebuch fest, das nun – über neunzig Jahre später – veröffentlicht wurde. Eine Erstausgabe erschien bereits 1922. Diese ist jedoch mit den handschriftlichen Aufzeichnungen aus den Tagebüchern nicht völlig identisch. Eindrucksvoll schildert von Both­mer seine Reise von Berlin aus Mitte April 1918 nach Moskau, das kurz zuvor nach über 200 Jahren gerade wieder zur Hauptstadt des Landes erklärt wurde, und das Milieu der im Kreml ihre Macht einnehmenden Bolschewiki. Dabei wird seine große Distanz zu den oft „ostjüdischen“ Funktionären wie Radek, Tschitscherin, Trotzky, Gellerson deutlich. Da von Bothmer Zeuge der Ermordung des deutschen Botschafters in Moskau, Wilhelm Graf von Mirbach-Harff, am 6. Juli 1918 durch Mitglieder der „Partei der Sozialrevolutionäre“ war, enthält das Tagebuch auch einen ausführlichen Bericht dieses Vorfalls, der als Signal für einen Aufstand gegen die Regierung Lenins gedacht war (Gernot Böhme, Hrsg.: Karl Freiherr von Bothmer: Moskauer Tagebuch 1918. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2010, gebunden, 137 Seiten, 38 Euro).

 

SED-Erben. Um die passende Programmatik streitet sich die PDS/Linkspartei seit ihrer Gründung. 1989 als DDR-Staatspartei aus dem Sattel gehoben, versuchte sich die SED-Nachfolgeorganisation unter neuem Namen als sozialistische Sammlungspartei zu profilieren. Der Berliner Politikwissenschaftler Sebastian Prinz hat den ebenso endlosen wie brisanten Programmstreit der PDS von der „Wende“ bis zur Fusion mit der WASG minutiös nachgezeichnet. Die quellensatte Studie aus der Doktorschmiede des Chemnitzer Extremismusforschers Eckhard Jesse beleuchtet den grundsätzlichen Konflikt zwischen den Lagern der Reformer und der Orthodoxie, der sich bei den Regierungsbeteiligungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern auch im Programm widerspiegelte. Durch Oskar Lafontaines Einfluß radikalisierte sich die Partei wieder. Das neue Programm der Nach-Lafontaine-Ära läßt daher einen Kampf um jeden Buchstaben erwarten (Die programmatische Entwicklung der PDS. Kontinuitäten und Wandel der Politik einer sozialistischen Partei. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2010, broschiert, 488 Seiten, 49,95 Euro).

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