© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Beutegier und Vernichtungswille
Bogdan Musial über Stalins rigorose Politik gegen das feindliche und besiegte Deutschland
Hans-Joachim von Leesen

Es ist bemerkenswert, daß es ein nationalpolnischer Historiker ist, der unbefangen und ohne die von der politischen Korrektheit verlangten Verbiegungen schreiben kann, die Politik der Sowjetunion unter Stalin sei niemals eine Friedenspolitik gewesen. Im Gegenteil habe Stalin es spätestens seit 1930 darauf angelegt, unter ungeheuren Anstrengungen sein Land aufzurüsten mit dem Ziel, im Frühjahr 1942 Euro-pa anzugreifen, um die Weltrevolution weiter zu treiben. Dann wäre seine Übermacht so gewaltig gewesen, daß ihr kein europäischer Staat gewachsen gewesen wäre. Das schreibt Bogdan Musial in seinem neuesten umfangreichen Werk „Stalins Beutezug – Die Plünderung Deutschlands und der Aufstieg der Sowjetunion zur Weltmacht“.

Musial wurde 1960 in Polen geboren. 25 Jahre später suchte er in Deutschland politisches Asyl und wurde einige Jahre später eingebürgert. Heute ist er, der inzwischen habilitiert wurde, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts des Nationalen Gedenkens in Warschau. Er machte sich einen Namen als einer jener Historiker, die die Reemtsmasche Propagandaschau über angebliche Verbrechen der Wehrmacht zu Fall brachten, indem er massive Fälschungen nachwies.

Zwar konnte er für sein neuestes Werk noch nicht unbeschränkt die sowjetischen Archive nutzen, doch sind inzwischen Schlüsseldokumente wie die Protokolle das Politbüros und die des Staatskomitees für Verteidigung aus den Jahren 1941 bis 1945 zugänglich, die er ausgewertet hat.

Weil nach Stalins Angriffsplan seine Panzer erst im Frühjahr 1942 nach Westen rollen sollten, wertet Musial Deutschlands Angriff im Juni 1941 nicht als Präventivkrieg, da, wie er meint, die deutsche Führung von dem Umfang der gewaltigen Rüstungsanstrengungen ebensowenig wußte wie von dem genauen Angriffstermin. Es gibt Grund genug, diese Annahme anzuzweifeln, denn ein Truppenaufmarsch von diesem Umfang konnte der deutschen Luftaufklärung nicht verborgen bleiben. Trotzdem unterschätzte Hitler die Stärke der Roten Armee, erst recht aber den Umfang der Rüstung, zum Beispiel die der sowjetischen Panzerwaffe, die Stalin als die Waffe der Zukunft ansah. Während das Deutsche Reich bei Kriegsausbruch über 2.600 Panzer verfügte, Frankreich über 3.200, konnte die UdSSR im Januar 1941 sage und schreibe 23.300 Panzer ins Feld schicken.

Zu der gewaltigen Aufrüstung auf allen Gebieten hatten auch Lieferungen beigetragen, zu denen sich Deutschland 1939 im Rahmen des deutsch-sowjetischen Pakts verpflichtet hatte, jenes Pakts, den Deutschland mit seinem weltanschaulichen Hauptfeind schließen mußte, um zu verhindern, daß Großbritannien und Frankreich einen ebensolchen Vertrag mit der Sowjet-union eingingen.

Die deutschen Anfangsfolge erklärt Musial – wie es von Anfang an auch die deutsche Seite getan hat – damit, daß die Umstrukturierung der Roten Armee zu einer Angriffsarmee im Sommer 1941 noch nicht abgeschlossen war. Auch waren große Teile der Sowjetbevölkerung, die noch vor nicht langer Zeit von bolschewistischen Säuberungsaktionen, Kollektivierungen und anderen Formen des Terrors malträtiert worden waren, nicht bereit, für dieses Regime zu kämpfen. In den ersten Monaten liefen fünf Millionen Sowjetsoldaten zur deutschen Seite über.

Vielfach wurde die Wehrmacht als Befreier begrüßt. Musial weist darauf hin, daß im Verlauf des Krieges insgesamt 1,5 Millionen Sowjetbürger mit der Waffe in der Hand gegen das Sowjetregime kämpften. Stalin blieb nichts anderes übrig, als gegen das eigene Volk Massenterror anzuwenden. Der Sowjetgeheimdienst NKWD, aber auch Spezialeinheiten der Roten Armee gingen mit Vernichtungsbataillonen, Sondergruppen, Sperrabteilungen gegen „Feiglinge und Verräter“ vor. Die Einheiten wurden angewiesen, mit allen Mitteln die Disziplin aufrechtzuerhalten und den Rückzug von Truppenteilen zu verhindern. Jeder Soldat, der Anstalten machte, zu fliehen oder gar zu den deutschen Truppen überzulaufen, sollte erschossen werden. 1,3 Millionen Fahnenflüchtlinge wurden festgenommen, die entweder liquidiert oder in Strafeinheiten gesteckt wurden, um zu Himmelfahrtskommandos eingesetzt zu werden. Vaterlandsverrat, Panikmache, Zweifel am Sieg der Sowjetunion, Verbreiten von Gerüchten – alles waren Gründe für brutalste Strafen. Tatsächlich gelang es Stalin, daß allmählich die Zahl der Kampfunwilligen zurückging. Wer in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet, gegen dessen Familie wurde Sippenhaftung verhängt.

Stalins Deutschlandbild hatte sich seit den zwanziger Jahren gewandelt. War er zunächst der Überzeugung, Deutschland sei reif für den Kommunismus, mußte er bald einsehen, daß er sich verkalkuliert hatte. Nun war es sein Hauptziel, Deutschland zu vernichten. Dem diente auch der Krieg. Er sollte die Möglichkeit schaffen, Deutschland zu entindustrialisieren und das deutsche Siedlungsgebiet zurückzudrängen. So entsprechen die kommunistischen Ziele durchaus dem späteren US-amerikanischen Morgenthau-Plan. Auch der massenweise Raub oder die Zerstörung deutscher Kulturgüter gehörten in Stalins antideutsches Programm.

Detailliert schildert Musial anhand der jetzt offenliegenden sowjetischen Akten die Demontagen, die nackter Raub waren und nichts mit Reparationen zu tun hatten und – mit Zustimmung der Alliierten USA und Großbritannien –  der Sowjetunion zum Aufstieg zur Supermacht verhalfen. Insgesamt wurden in Deutschland und Österreich als Kriegsbeute 3.100 Betriebe in 550.000 Waggons in die Sowjetunion gebracht, von denen allerdings aufgrund unsachgemäßen Abbaus und fehlgeleiteter Transporte nur ein Bruchteil in den Bestimmungsorten eintraf. Von den drei demontierten deutschen Hydrierwerken konnte keines wieder aufgebaut werden, da an den Bestimmungsorten nur Trümmer und Schrott eintrafen. Grund war oft genug Desorganisation und Schlendrian, vielfach fehlte es zudem an fachkundigem Personal für eine Wiedermontage. Von den Hunderttausenden Kühen, Pferden, Schafen, die von Deutschland aus als Zuchtvieh nach Osten getrieben worden waren, war nach einem halben Jahr die Hälfte tot. Der Arbeitskräftemangel für den industriellen Aufbau wurde durch 1,25 Millionen Kriegsgefangene und 220.000 deportierte Männer und Frauen ausgeglichen, die 6.200 große Industrieanlagen neu errichteten.

Bogdan Musial: Stalins Beutezug – Die Plünderung Deutschlands und der Aufstieg der Sowjetunion zur Weltmacht. Propyläen Verlag, Berlin 2010, gebunden, 400 Seiten, Abbildungen, 26,95 Euro

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