© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Frisch gepresst

Kant europäisch. Man greife in ein beliebiges Regal mit der Hinterlassenschaft des „Leselandes“ DDR. Völlig wurscht, ob man da eine „Kleine Operationslehre“ oder eine Fibel über Hydraulikpumpen hervorzieht: Auf ein Lenin-Zitat oder einen Lobgesang auf die „Große Sozialistische Oktoberrevolution“ als Alpha und Omega der Menschheitsgeschichte verzichten die Autoren selten. Dazu gibt es in der deutschen wissenschaftlichen Literatur inzwischen eine peinliche Entsprechung: „Europa“. Daher jetzt endlich auch „Kant der Europäer“. Unter diesem Logo vermarktet das Museum der Stadt Königsberg in Duisburg den urpreußischen Denker seit einigen Monaten in einer Ausstellung, zu der Steffen Dietzsch und Lorenz Grimoni einen Begleitband herausgegeben haben (Kant der Europäer. Europäer über Kant, Husum Druck und Verlagshaus, Husum 2010, gebunden, 309 Seiten, Abbildungen, 18 Euro). Die Aufsatzsammlung enthält grundsolide Studien zur Kant-Rezeption etwa in Polen, Rußland, den Niederlanden oder Skandinavien. Er enthält aber auch so abschreckende Beispiele für die nachträgliche „Europäisierung“ der deutschen Geschichte und Geistesgeschichte wie Lorenz Grimonis anachronistischen Versuch über Kant und die „europäische Metropole Königsberg“. Ihm gerät in ideologischer Plansollübererfüllung dabei sogar die deutsche Ostkolonisation zur „europäischen Besiedlung Preußens“, wie überhaupt „Mission und Besiedlung Preußens“ seit dem 13. Jahrhundert einen „europäischen Charakter“ zeigen. Dümmer geht’s nimmer, so daß nicht einmal der angesichts der jüngsten Euro-Turbulenzen sichtlich kleinlaut gewordene Bundestagspräsident  Norbert Lammert (CDU), der  hier nun die „kulturelle Dimension“ zwecks europäischer Identitätsbildung einklagt, Grimonis Niveau noch unterbieten kann.

 

Die letzten Deutschen. Zwei verlorene Weltkriege änderten die Sprachen- und Volkstumskarte zwischen Finnischem Meerbusen, Schwarzem Meer und Adria vollkommen, natürlich am meisten zu Lasten der vielen Deutschen, die dort teilweise seit vielen Jahrhunderten lebten. Den versprengten Restgruppen, die sich bis 1990 behaupten konnten, raubte der Exodus danach oft ihre letzte Vitalkraft. Der Grazer Historiker Peter Wassertheurer reflektiert dieses schicksalhafte letzte Jahrhundert der „Deutschen Volksgruppen in Ost-, Ostmittel und Südosteuropa“ (Eckartschrift 198, Österreichische Landsmannschaft, Wien 2010, broschiert, 112 Seiten, 8,20 Euro) trotz vieler Daten und Fakten in prägnanter Form und weist auch auf die noch bestehenden Strukturen in der Slowakei, Polen, Rumänien oder Ungarn hin, wo sich durch Unterstützung der Jugendarbeit aus Österreich und Deutschland Relikte dieser Kultur erhalten haben.

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