© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/10 20. August 2010

Bürgerlichkeit stand an der Wiege der Schwedendynastie
Ein Schwager Napoleons wurde vor 200 Jahren als schwedischer König installiert / Das Geschlecht Bernadotte hat sich bis heute an der Macht gehalten
Jan van Flocken

Die Glocken der Stockholmer Riddarholmskirche begannen am 21. August 1810 das landesweite Freudengeläut. Soeben hatte Schwedens Ständeversammlung, der Reichstag, in der Stadt Örebro die wohl ungewöhnlichste Königswahl des 19. Jahrhunderts abgesegnet. Die Krone der Wasa-Dynastie wurde einstimmig Jean Baptiste Bernadotte angetragen. Dieser 47jährige Juristensohn aus der Gascogne war im Gefolge der Französischen Revolution bis zum Rang eines Marschalls aufgestiegen.

Schweden wurde 1810 von König Karl XIII. regiert. Der alte, halbgelähmte, kinderlose Monarch, letzter Sproß des Hauses Wasa, machte sich berechtigte Sorgen um seinen Thron. Der zu jener Zeit Europa dominierende französische Kaiser Napoleon I. hatte bereits mehrere altehrwürdige Königsdynastien wie jene von Spanien und Portugal ins Exil verbannt. Da schien es dem Leiter der schwedischen Außenpolitik, Reichsmarschall Hans Axel von Fersen, eine vortreffliche Idee, einen Intimus des mächtigen Kaisers als Thronerben einzusetzen. Bernadotte besaß den unschätzbaren Vorteil, durch seine Gemahlin Desirée mit Napoleon verschwägert zu sein, und gehörte somit zu dessen bevorzugtem Familienclan. Überdies war die Erbfolge durch seinen 1799 geborenen Sohn Oscar gesichert. Mit dem Franzosen als Regenten bot sich eine reelle Chance, Schwedens politische Integrität gegen Übergriffe aus Paris zu wahren.

Einst glühend überzeugter Republikaner, hatte Bernadotte von seinem Schwager den Marschallstab, einen Fürstentitel und umfangreiche Geldgeschenke angenommen. Das hinderte ihn freilich nicht daran, die politischen und militärischen Entscheidungen Napoleons mit bemerkenswerter Boshaftigkeit zu kritisieren. Auf dem Schlachtfeld benahm er sich häufig renitent bis hin zur Befehlsverweigerung. Kaum traf die frohe Kunde aus Stockholm in Paris ein, da trat Bernadotte – wohlgemerkt noch als französischer Offizier und Staatsbürger – in schwedischer Uniform vor Napoleon, um dessen Zustimmung zu erlangen.

Rechtzeitig auf die Seite gegen Napoleon gewechselt

Der Kaiser bekam einen seiner gefürchteten Wutanfälle, stimmte aber schließlich zu, wohl in der Hoffnung, daß sein aufdringlicher Schwager wenigstens einen passablen militärischen Bundesgenossen abgeben würde. Auch darin sollte der Korse sich täuschen. Als dessen Stern 1813 zu sinken begann, stellte sich Schwedens Armee mit 12.000 Mann an die Seite seiner alliierten Gegner.

Jean Baptiste Bernadotte – Ahnherr der heutigen Königsdynastie Schwedens, gerade durch die zum medialen Großereignis stilisierte Hochzeit der Kronprinzessin Victoria hervortretend – trat noch im Oktober 1810 vom Katholizismus zum evangelisch-lutherischen Glauben über und wurde von König Karl XIII. adoptiert. Künftig nannte er sich Karl Johann, agierte seit 1811 als Regent und nach Karls Tod von 1818 bis 1844 als König. Obwohl er nie die Landessprache erlernte, gelangte er im Lauf der Jahre zu erstaunlicher Popularität. Daß Bernadotte sich als Monarch einer Tätowierung aus Revolutionszeiten schämte (Die Devise „Tod allen Königen!“ soll seinen Unterarm geziert haben), ist nur eine hübsche Anekdote.

Das skandinavische Land wurde nun von einem Bürgerlichen repräsentiert. Über einen bebrillten Fitneßtrainer als künftigen Schwedenkönig und Bereicherung der Bernadotte-Dynastie wundert sich genau 200 Jahre später ohnehin niemand mehr.

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