© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

Sinnkrise einer Partei
Die CDU driftet ungebremst nach links und wundert sich über fallende Umfragewerte
Michael Paulwitz

Es ist aus. Zwischen der CDU und ihrer Stammwählerschaft stimmt es hinten und vorne nicht mehr. Zu oft hat die Union sie betrogen und mit süßen Versprechungen dann doch wieder zum Bleiben überredet. Aber auf die Dauer läßt sich notorisches Fremdgehen nicht mal mehr ertragen, wenn man beide Augen fest zudrückt und sich die Ohren zuhält. Wenn sie nur wüßten, wohin, die letzten Konservativen in der Union wären wohl schon längst auf und davon.

Dabei läßt die CDU jene Getreuen, die immer noch dem Irrtum aufsitzen, die Union stünde ihnen näher als andere, eher ungern ziehen. Ohne konservative Basis bleibt sie nämlich wie die von Linken und Grünen kannibalisierten Sozis an der Dreißig-Prozent-Marke stecken. Die CDU-Spitze braucht die Konservativen, will aber von ihnen nichts mehr wissen.

Das zeitigt groteske Auswüchse wie den innerparteilichen Wahlkampf um den CDU-Landesvorsitz in Nordrhein-Westfalen: Zwei ausgewiesene Parteilinke, beide seit Karrierebeginn in der „Pizza-Connection“ schwarz-grün verbunden, bewerben sich als Rüttgers-Nachfolger. Armin Laschet und Norbert Röttgen stehen beide für Atomausstieg und linksprogressive Integrationspolitik. Nur um der bis zum Masochismus genügsamen konservativen Basis ein paar Brosamen hinzuwerfen, ringen beide ihrem linkskatholischen Hintergrund verquälte Bekenntnisse zum „christlichen Wertehorizont“ ab.

Das ist so aufrichtig wie Versöhnungsblumen von der Tankstelle. In Wahrheit geht es für die großspurig ums Votum gebetene „Basis“ nur noch darum, ob ein Bundes- oder ein Landespolitiker bei sonst austauschbaren Inhalten Parteichef wird. Konservative CDU-Leute haben keine Wahl mehr, nicht mal die Simulation einer Richtungsentscheidung findet noch statt. Selbst politischen Gegnern und den nibelungentreuen Blättern der Merkel-Freundin Friede Springer ist das unangenehm aufgefallen.

Wirklich neu ist diese Situation allerdings nicht. Seit Jahrzehnten hält die Union ihre konservativen Stammwähler mit schönen Worten bei Laune, während sie auf der Rechten jeden Nebenbuhler diffamiert und auf der Linken um neue Partner wirbt. So wie man seiner alten Ehefrau schwört, sie bleibe ja die wahre Liebe, damit sie einem weiter den Haushalt schmeißt und am Wahlabend die Pantoffeln bringt; nur in der Öffentlichkeit zeigt man sich eben lieber mit der jungen grünen Geliebten.

Und der liest die CDU im zweiten Frühling derzeit jeden Wunsch von den Augen ab. Für Saarlands Jamaika-Ministerpräsidenten Peter Müller ist selbst Ehegatten-Splitting für homosexuelle Partnerschaften kein Problem. Merkels Generalsekretär Hermann Gröhe macht ein angeblicher „Rechtsruck in Europa“ mehr Sorgen als die Islamisierung des Kontinents. Und Christoph Ahlhaus, der als Hamburger Innensenator den Konservativen vom Dienst gab, der am liebsten mehr Ausländer abgeschoben hätte, schmeichelt als Beust-Nachfolger den Grünen, die er zum Machterhalt braucht, was das Zeug hält: Klar kommt er gern mal zur Homo-Parade am Christopher Street Day, auch das illegale linksextreme „Schanzenfest“ findet er eigentlich ganz prima, und die Konkneipanten-Mütze einer Heidelberger Studentenverbindung hat er ja schon auf den ersten grünen Wink hin stante pede zurückgegeben.

In Vor-Merkel-Zeiten hielt die Union sich noch Alibi-Rechte, die dafür zuständig waren, die Stammklientel mit konservativ-rechten Alibisprüchen zu pflegen. Die hatten zwar auch nichts zu sagen, durften aber zumindest ungestört ihr Feld beackern und hatten dadurch einen Anschein von Authentizität. In der neuen Union gibt es allenfalls abschnittsweise Konservativen-Darsteller, die die Rolle nur so lange spielen, wie das der Karriere förderlich erscheint.

Auch Roland Koch war so ein taktischer Teilzeit-Konservativer. Die Preisfrage, wer ihn als Exponent des „konservativen Flügels“ bei den Vorstandswahlen auf dem Parteitag im Herbst beerben könnte, ist daher keine. Nicht nur, weil es keine geeigneten Bewerber gibt – die bisweilen gehandelten Bouffier, Mappus oder Tillich sind gewogen und zu leicht befunden; der Posten selbst existiert nicht mehr.

Es will ihn auch keiner mehr haben: Seit der innerparteilichen Hinrichtung Martin Hohmanns dürften echte konservative Überzeugungen in der CDU als suizidverdächtig gelten; und die „Berliner Erklärung“ vom Januar hat unmißverständlich klargestellt, daß Konservative in der Union nur noch als Stimmvieh geduldet werden. Merkels neue Garde von Peter Altmaier bis Annette Schavan hat in den vergangenen Wochen auch keine Interview-Gelegenheit ausgelassen, um das unverblümt mitzuteilen.

Die von Umfragepanik diktierte neueste Richtungsdebatte wird daher die von CSU-Chef Horst Seehofer befürchtete „innere Kündigung“ der letzten Stammwähler ebensowenig abwenden wie alle früheren. Seehofers Profilierungsversuche sind Scheingefechte; seine CSU, deren Medienstar zu Guttenberg gerade ein linkes Lieblingsprojekt vollendet und die Wehrpflicht schlachtet, geht längst denselben Weg wie die Merkel-CDU.

Das Ausmaß des Linksrucks der Union in zehn Merkel-Jahren hat die bisher von ihr gebundenen Wählerpotentiale unumkehrbar gespalten. Grünen-Chef Jürgen Trittin könnte mit seiner Prognose recht behalten, daß die Zeit der Volksparteien vorbei sei und es künftig nur noch Mittelparteien auf Augenhöhe geben werde. Dann aber muß die Abwanderung der von der Union aufgegebenen Wählerschichten über kurz oder lang in eine konservative Mittelpartei als Gegengewicht zu den zwei linken und zwei sozialdemokratischen münden.

Wenn CDU und CSU sich nur noch als gemäßigter Flügel eines linken Parteienkartells verstehen wollen, ist das Dogma, rechts von ihr dürfe es keine demokratisch legitimierte Kraft geben, endgültig sinnlos. Mit Blumen allein wird die Union ihre zerrüttete Vernunftehe mit den konservativen Milieus nicht mehr kitten können.

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