© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

WIRTSCHAFT
Einseitiges Wachstum
Jens Jessen

Die deutsche Wirtschaft brummt wieder. In erster Linie sind die Exporte dafür verantwortlich. Nicht nur Frankreichs Wirtschaftsministerin Christine Lagarde kritisiert dies und fordert eine Eindämmung der zunehmenden deutschen Exportüberschüsse. Dabei wächst unsere Wirtschaft nur so stark, weil sie im vergangenen Krisenjahr mit minus 4,7 Prozent auch historisch tief gefallen ist. Wenn Paris seinen östlichen Nachbarn auffordert, mehr ausländische Güter zu konsumieren, ist das leichter gesagt als getan. Dazu müßte die Schwäche des deutschen Binnenkonsums überwunden werden. Denn daran leidet Deutschland. Zwischen 2000 und 2009 sind laut Statistischem Bundesamt die inflationsbereinigten Bruttolöhne um 5,2 Prozent gesunken. Die Produktivität stieg dagegen um 15,2 Prozent. Das ist ein erhebliches Ungleichgewicht. Unsere Wirtschaftspolitik läßt den Konsum verkümmern.

Frankreich legt im Gegensatz zu den sparwütigen Politikern bei uns besonderen Wert auf eine stete Konjunkturentwicklung mit stabilerem Binnenkonsum und mehr Investitionen. In Frankreich ist die Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr nur um rund zwei Prozent gefallen. Und im diesjährigen zweiten Quartal um 0,6 Prozent gewachsen. So einfach ist das für die in Deutschland gern verspottete Planification en France. Unser Nachbarland könnte diesbezüglich ein Vorbild für Deutschland sein – nicht zuletzt deshalb, weil von zusätzlichem Binnenkonsum auch die defizitären EU-Nachbarn profitieren würden. Dazu müßten die Tariflöhne an die Produktivitätssteigerung und die Inflationsrate bei uns angepaßt werden. Sowohl der Staat könnte von höheren Löhnen über die anfallenden Steuerzunahmen profitieren als auch der Binnenmarkt durch die Stärkung der Kaufkraft.

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