© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

Städte ohne Multiplex
Eine fotografische Bestandsaufnahme der Erde
Daniel Napiorkowski

Der Elsässer Albert Kahn hatte vor allem zwei große Leidenschaften: Reisen und Fotografieren. Und vor allem hatte er das nötige Geld, um sich seinen Leidenschaften intensiv zu widmen.

Kahn, 1860 in Maursmünster (Marmoutier) im Elsaß geboren, arbeitete nach seinem erfolgreich abgeschlossenen Jurastudium in einem renommierten französischen Bankhaus und gründete 1898 seine eigene Bank, mit der er zu einem beachtlichen Reichtum gelangte. Bevor Kahn, bedingt durch die Weltwirtschaftskrise, sein gesamtes Vermögen verlor, sandte er zwischen 1909 und 1931 zwölf Fotografen quer durch Europa, in den Nahen Osten, nach Asien, Afrika und Amerika. Sein erklärtes Ziel war eine fotografische Bestandsaufnahme der Erde und ihrer verschiedenen Kulturen zu Beginn des 20. Jahrtausends.

Mit Hilfe des von den Gebrüdern Lumière entwickelten Autochromverfahrens, der ersten Fototechnik, die Farbaufnahmen ermöglichte, gelang Kahn eine einzigartige Sammlung: Über 72.000 Dias und über 100 Stunden Film beherbergt sein „Archive de la Planète“.

Erstmals in Deutschland zeigt das Stadtmuseum Düsseldorf im Rahmen der Ausstellung „Städte der Welt“ eine Auswahl von 250 Farbfotografien und 15 Schwarzweiß-Filmen aus der Sammlung Kahns. In zwölf Kategorien eingeteilt – Europa, Ferner Osten, Erster Weltkrieg usw. –, werden die Bilder, da es sich um Diapositive handelt, an Leinwände projiziert. Man muß bei dem Besuch der Ausstellung also ein gewisses Maß an Zeit mitbringen, da man die Reihenfolge der Bilder und die Geschwindigkeit des Ablaufs nicht beeinflussen kann. Dafür wird man mit einem sowohl in historischer als auch in ethnologischer Hinsicht beeindruckenden Strauß an Bildern belohnt.

Die Aufnahmen reichen von einem Querschnitt durch europäische Städte, die dortigen Bräuche, Sitten und Menschen, über Aufnahmen aus dem traditionellen Japan, Vietnam und Kambodscha bis zu Eindrücken eines frühindustriellen New York. Unter „Erster Weltkrieg“ werden Bilder zerstörter Städte und Dörfer im Osten Frankreichs sowie Szenen aus dem Alltag französischer Soldaten zusammengefaßt. „Rheinland / Ruhrgebiet“ präsentiert unter anderem Impressionen aus dem Ruhrkampf zu Beginn der 1920er Jahre: Barrikaden, Straßenkämpfe und Verwüstungen sowie französisch-belgische Besatzungstruppen zwischen Rhein und Ruhr. Besonders einprägsam sind auch die Aufnahmen vom Landleben auf dem Balkan, das von der technischen und industriellen Entwicklung noch völlig unberührt war.

Nicht nur die eigenwillige Farbgestaltung der Autochromfotografie ist für heutige Sehgewohnheiten ungewöhnlich. In Zeiten, in denen sich die Städte der Welt immer ähnlicher werden, in denen shopping malls und Multiplex-Kinos das Stadtbild mehr prägen als die traditionelle Architektur und Schnellrestaurants mit einem großen gelben „M“ häufiger vertreten sind als die einheimische Küche, sind die Bilder des „alten Europa“ und der volkstümlichen Lebensweise auf den anderen Kontinenten ein wohltuender Kontrast.

Abgerundet wird die Ausstellung durch Aufnahmen historischer Ansichten Düsseldorfs aus dem frühen 20. Jahrhundert. Neben den bekannten Sehenswürdigkeiten dürften vor allem jene von Interesse sein, die heute nicht mehr vorhanden sind, etwa das Düsselschlößchen am Rheinwerft, das hölzerne Standbild des Bergischen Löwen oder das Arabische Café.

Die Foto-Ausstellung „Städte der Welt“ ist noch bis zum 5. September im Düsseldorfer Stadtmuseum, Berger Allee 2, täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 02 11 / 89-9 61 70

Fotos: Istanbul, 22. Oktober 1922, fotografiert von Frédéric Gadmer, Alte Brücke über der Narenta , fotografiert von Auguste Léon (Mostar, Bosnien, 19. Oktober 1912): Wohltuender Kontrast zu Stadtbildern aus dem 21. Jahrhundert

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