© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

Frisch gepresst

Identitätssuche. Der Titel verspricht viel. Da immer noch allzu viele Deutsche ihr historisches Bewußtsein aus den Jahren von 1933 bis 1945 schöpfen, ist es lobenswert, sich auf die „Suche“ nach einer anderen Identität zu machen. Aufgespürt wird außer einer Handvoll Ergänzungen des „deutschen Klischees“, denen er ein paar Tugenden mehr zuordnet, jedoch wenig. Der Autor Kaevan Gazdar, geboren 1951 in Kalkutta und seit 1974 in Deutschland ansässig, studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaft. Besonders möchte er zeigen, daß es ein anderes Bild unseres Staates jenseits des antidemokratischen „Sonderweg“-Deutschland gibt. Hierzu begrenzt er den Suchradius allerdings auf die letzten 200 Jahre und versucht, in dieser Spanne eine Verankerung demokratischer Traditionen nachzuweisen – wobei er übersieht, daß man ebendiese selbst beim germanischen Thing finden könnte. Statt dessen führt er diese auf das Vereins- und Verbändewesen des 19. Jahrhunderts zurück und vergißt hier die burschenschaftliche Bewegung zu erwähnen, deren Konstitution spätere Verfassungstexte bis hin zum Grundgesetz maßgeblich beeinflußte. Personen, die zu einer deutschen Identität beitrugen, wählt Gazdar allzu subjektiv aus, würdigt andere wie Friedrich Ludwig Jahn oder Ernst Moritz Arndt geradezu diffamierend herab (Zwischen Dichtern und Denkern, Richtern und Henkern. Auf der Suche nach deutscher Identität. Olzog Verlag, München 2010, gebunden, 252 Seiten, 24,90 Euro.)

 

Starker Tobak. Der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider kam im Oktober 2008 nicht durch Alkohol am Steuer ums Leben, sondern wurde von Freimaurern ermordet. Das zumindest behauptet der TV-Produzent Guido Grandt in seinem Buch „Logenmord Jörg Haider? Freimaurer und der mysteriöse Tod des Politikers“. Grandt, der als Buchautor allein und mit seinem Bruder Michael mehrfach okkulte Themen behandelt hat, stützt seine „heiße“ These vom politischen Ritualmord vor allem auf „freimaurerische Okkultsymbolik“ am Unfallort: So werden Tatzeit, Fahrzeug, Schuh, Uhr und Brille zu Indizien eines Mordkomplotts umgedeutet. Manches wirkt dabei sehr bizarr, etwa wenn Grandt das „satanistische“ Kennzeichen des Feuerwehrautos zum Beleg heranzieht oder eine Parallele zum Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand 1914 aufzeigt, nur weil beide „Freimaureropfer“ in einem Automodell namens „Phaeton“ starben. Grandt greift die ebenfalls im Kopp-Verlag geäußerten Zweifel des Journalisten Gerhard Wisnewskis am Unfalltod Haiders auf und sucht unter Österreichs Freimaurern nach den Hintermännern. Indem er diese als Haiders politische Gegner identifiziert, schafft er Raum für etwas, wovon er sich auffällig oft distanziert: Verschwörungstheorien.

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