© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

Kampfgebiet Litauen
Polnische Aggressionen
Christian Nekvedavicius

Im Jahre 1840 wurde das Litauische Statut, welches in Litauen seit 1529 Gültigkeit besaß, durch das zaristische Regime für das Gebiet Litauens abgeschafft. Nach diesem Statut war es Polen nicht gestattet, im Großfürstentum Litauen Land zu erwerben oder in den Staatsdienst zu treten. Im Verlaufe des 18. Jahrhunderts jedoch ging die Zahl der Litauisch Sprechenden in Mittel-Litauen zurück, die Mehrzahl des Adels war zweisprachig, litauisch und polnisch.

Das Polnische verbreitete sich hauptsächlich über die Adelsgüter, über die Kirchen und Schulen. Bis vor 1920 verstanden etwa 15 Prozent der Bevölkerung Mittel-Litauens Polnisch und sprachen es oft auch, obwohl sie – ethnisch gesehen – Litauer geblieben waren. Zu der Zeit aber hatte der Druck des polnischen Klerus erheblich zugenommen, Polnisch wurde als „katholische Sprache“ wirkungsmächtig propagiert. 

Der 1918 ausgerufene Staat Litauen wurde 1920 auf geheimen Befehl von Józef Piłsudski von Einheiten der polnischen Armee unter Führung von General Lucjan Želigowski überfallen und ganz Mittel-Litauen samt der litauischen Hauptstadt Wilna besetzt. Ein litauischer Gegenangriff schlug zwar die polnischen „Legionäre“ in die Flucht, doch ordnete die von Polen alarmierte Kontrollkommission des Völkerbunds an – die in Wirklichkeit nur aus einer Handvoll polonophiler französischer Offiziere bestand –, daß Litauen sich weiterer militärischer Operationen zu enthalten habe. Mittel-Litauen blieb polnisch besetzt und wurde 1923 völkerrechtswidrig als „Wilna-Gebiet“ (polnisch: „Wilenszczyzna“) annektiert. Im weiteren Verlauf kam es zur Ansiedlung von bis zu 200.000 polnischen Kolonisten aus Kernpolen (polnisch: „osodniki“), welche die wesentliche Stütze der polnischen Verwaltung darstellten. Nun folgte im besetzten Teil Litauens eine gnadenlose Entnationalisierung der ansässigen litauischen Bevölkerung bei gleichzeitiger Polonisierung. In erster Linie spielten dabei Verwaltungseinrichtungen, Schulen, Kirchen sowie die Presse die ausschlaggebende Rolle.

Am 19. September 1939 nahmen die Sowjets als Hitlers Verbündete Wilna ein, kurz darauf auch ganz Mittel-Litauen, wo alsbald der Sozialismus sowjetischer Prägung Einzug hielt. Zwar erhielt Litauen am 10. Oktober die Hauptstadt Wilna sowie einen schmalen Streifen Landes zurück, doch war das nicht mehr als etwa ein Fünftel des von Polen besetzten Territoriums. Der Hauptteil wurde unter Verletzung des Friedensvertrags vom 10. Juli 1920 zwischen der jungen Sowjetunion und Litauen der Belorussischen SSR zugeschlagen.

Nach 1941 schuf die deutsche Militärverwaltung den „Generalbezirk Litauen“ und fügte ihm weitere Kreise hinzu. Auch im darauf errichteten „Reichskommissariat Ostland“ gelang es nun, litauische Schulen einzurichten, in den Kirchen wurde wieder litauisch gebetet – dagegen ging übrigens die polnische Widerstandsarmee (Armija Krajowa) in partisanenartigen Aktionen mit brutaler Gewalt vor. Mit der Rückkehr der Roten Armee 1944 und der „Wiedererrichtung der Litauischen SSSR“ ging eine brutale Unterdrückung durch Kollektivierungen und Mord­aktionen aller nationaler Bestrebungen im südöstlichen Litauen einher. Die 1923/24 angesiedelten polnischen Kolonisten wurden in die „wiedergewonnenen Westgebiete“ Polens – das durch Vertreibung entvölkerte Ostdeutschland – umgesiedelt.

Im Verlauf der gesamten sowjetischen Besatzungszeit wurde dem litauischen Volkstum in den südöstlichen Landesteilen ein empfindlicher Schlag zugunsten des Weißrussisschen und Polnischen versetzt, der es in Teilen sogar auslöschte. Die gnadenlose Umvolkungspolitik in der Sowjetunion ließ im Vergleich dazu sogar noch die chauvinistischen polnischen Besatzer moderat aussehen.

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