© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

Kolumne
Seltsame Widersprüche
Rolf Dressler

Freude, schöner Wetterfunken – klimatisch geht’s just mal wieder bergauf mit uns Deutschen. Die Konjunktur  „brummt“. Das vor allem hebt die Stimmung. Wer wird sich da schon an ein paar mitteleuropäisch sommertypischen Blitz-und-Donner-Einlagen stören?

Zu denken geben könnte indes ein aktueller  Zwischenruf vom Bodensee. Die Risikobereitschaft der Deutschen schwinde dramatisch, grummeln die Demoskopen des Instituts in Allensbach. Hier zumindest geht’s mit uns bergab. Man denke: Nicht einmal mehr jeder siebte der 82 Millionen Bundesbürger hält Risikobereitschaft für wichtig; vor zehn Jahren hatte dies immerhin noch fast jeder Dritte für sich gesagt. Und bei den unter 30jährigen hat sich der Anteil der Risikobereiten sogar nahezu halbiert – auf jetzt nur noch ein mageres Fünftel.

Diffuse Gegenwartslebensängste? Krause Zukunftsfurcht vor diesem und jenem? Und das inmitten eines schlaraffenlandartigen Umfelds, das prall angefüllt ist mit Vergnügungen jedweder Art und Abart rund um die Uhr, auf neudeutsch „Events“ genannt?

Offenbar klaffen recht seltsame Widersprüche zwischen dem, was die Menschen real treiben und was sie Meinungsforschern gegenüber so kundtun. Ob Komasaufen, Rauschgiftschlucken oder Autoraserei, Mutprobenextreme am Kletterberg oder Geschwindigkeitsexzesse auf „frisierten“ Motorrädern – um zu erfahren, welche höllischen Gefahren sich damit verbinden, braucht man weder seinen Arzt noch seinen Apotheker um Rat zu fragen. Denn einen Beipackzettel für alle Fälle hat ohnehin niemand zur Hand.

Apropos Apotheke: Unsere Bündnisgrünen, nach eigenem Bekunden als Menschenfreunde und Fürsprecher insbesondere auch junger Leute ausgewiesen, rufen gerade in diesen Tagen mal wieder zu einer, wie sie es nennen, weicheren Drogenpolitik auf. Zu gern würden sie sich endlich ihren alten, ewig jungen Jugendtraum erfüllen und die Gesetzesgrenzen für den straffreien Besitz (sprich: Konsum) zumindest von Haschisch und Marihuana deutlich weiter ziehen, als bisher üblich war. Und dann ist da ja auch noch das Abermillionenmassenspiel im Internet. Das große „Googeln“ mitsamt Twitter, Facebook & Co. und der fast totalen Selbstentblößung – hart an der Risikohemmschwelle Null. Risikofreude nahe einhundert Prozent. Alles klar?     

 

Rolf Dressler war langjähriger Chefredakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld und ist nun freier Journalist.

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