© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

Aufgeschnappt
Morsche Geschmacklosigkeit
Matthias Bäkermann

Er war keine Zierde mehr“, begründet der Pressesprecher der Stadt Heilbronn den Abtransport eines Kunstwerks aus vermoderndem Holz bereits im April dieses Jahres. Seitdem herrscht Ratlosigkeit, was mit der über fünf Meter langen und von Pilzen befallenen Skulptur geschehen soll, die nun auf dem Gelände des ehemaligen Schließhofs in Heilbronn vor sich hinrottet. Eine Zerstörung steht jedenfalls außer Frage, da sind sich alle Verantwortlichen sicher, wie die Stuttgarter Zeitung Ende August meldete.

Dazu ist das Kunstwerk mit dem Titel „Phallocaust III“ natürlich interpretatorisch viel zu aufgeladen. Der Freiburger Bildhauer Franz Gutmann hatte 1995 der Stadt für 10.700 Mark einen aus einem Eichenstamm geformten liegenden erigierten Penis mit seiner frei Haus mitgelieferten Interpretation verkauft: Sein „angekohlter Phallocaust“ sei eine „provokante“ Anspielung auf die Verbrennung der Fruchtbarkeit, die mit der Ermordung der Juden im Holocaust für diese Menschen einhergegangen sei, so Gutmann. Mit dieser Schwere beladen, geriet die zahlreiche Kritik an dem anstößigen Objekt schnell zum Politikum. Etwa als der Dekan des örtlichen Deutschordensmünsters sich damals beklagte, warum die Stadt „diese Geschmacklosigkeit unmittelbar vor dem Pfarrhaus“ ausstellte. Der mittlerweile 81jährige Künstler bemängelt den wenig sorgfältigen Umgang und fordert eine Restaurierung seines Werkes. Die wird mit 13.500 Euro veranschlagt und würde den Etat des Städtischen Museums ruinieren. Einzig Mutter Natur darf sich nun der pikanten Ausmusterung der politisch-künstlerisch unantastbaren Installation stellen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen