© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

Integration ohne Sarg
Berlin: Moslems können sich in der Hauptstadt künftig nach islamischen Regeln bestatten lassen
Jens Boye Volquartz

Der Muezzin ruft zum Gebet. Ein Moslem ist verstorben und die Gemeinde der Sehitlik-Moschee am Columbiadamm im Berliner Stadtteil Neukölln versammelt sich zum Gebet. Anschließend wird der Verstorbene auf den angrenzenden islamischen Friedhof gebracht und in einem Sarg beerdigt. Doch dies könnte sich bald ändern.

Künftig soll es Moslems erlaubt werden, auf Berliner Friedhöfen ihre Toten statt mit Sarg in Leinentücher gehüllt zu bestatten. So jedenfalls will es eine Gesetzesänderung des Berliner Senats. Mit dem Berliner „Partizipations- und Integrationsgesetz“ soll „die religiöse Vielfalt der Eingewanderten berücksichtigt werden“. Mit der Regelung will der Senat vor allem den über 120.000 Einwohnern Berlins mit türkischem Migrationshintergrund entgegenkommen. Bislang ist eine sarglose Beisetzung in Deutschland nur in Hamburg möglich. Auch aus diesem Grund werden nach Angaben von Bestattungsunternehmern in Berlin bis zu 90 Prozent aller Muslime zur Beisetzung in ihre Heimatländer überführt. Einige Bestatter haben sich extra darauf spezialisiert, die Muslime nach ihrem Tod in ihre Heimat zu überführen.

Das traditionelle islamische Bestattungsritual sieht vor, daß der Tote in weiße Tücher gewickelt und auf der rechten Seite mit dem Blick nach Mekka liegend beigesetzt wird. Die Deutsche Bestatter­innung weist indes darauf hin, daß bei einer Beisetzung ohne Sarg Körperflüssigkeiten und Bakterien ins Erdreich und Grundwasser gelangen können, die bei der Verwesung des Toten entstehen. „Ein Sarg erfüllt ja gewisse Funktionen“, sagt Günter Scheerer, Inhaber des Berliner Bestattungsinstituts Schuster. „Der Sarg wird mit Öl-Papier ausgeschlagen, Späne und verschiedene saugfähige Kunststoffe sollen zudem Flüssigkeiten auffangen. Bei einer Bestattung ohne Sarg gibt es nichts, was diese Funktion übernimmt.“ Darum macht man sich vor der Moschee in Neukölln allerdings keine Sorgen. „Der Mensch ist ein natürliches Produkt und wird somit auch natürlich abgebaut“, sagt ein Teilnehmer der Trauerfeier.

Eine weitere wichtige Funktion des Sargs sieht Schuster im Transport des Toten. „Hier in Deutschland liegt die Normtiefe für ein Grab bei 2 bis 2,5 Metern. Versuchen Sie da mal, eine weitere Person rein und raus zu bekommen, die den Toten hineinlegt. Denn die Muslime wollen ihre Toten verständlicherweise nicht einfach hineinwerfen oder an Seilen herablassen.“ Hierzu müsse das Grab zusätzlich ausgeschalt werden, um ein sicheres Ein- und Aussteigen zu ermöglichen. Damit seien auch wieder Kosten und Mühen verbunden, stellt der Bestatter fest.

Holz war Mangelware

Die islamische Tradition der sarglosen Bestattung ist kein Zufall. Im Nahen Osten war Holz zur Entstehungszeit dieser Riten Mangelware, was den Verzicht auf Särge verständlich macht. So eindeutig wie häufig dargestellt, ist der Zwang zur Sarglosigkeit für Moslems zudem nicht. Eine Fatwa, ein islamisches Rechtsgutachten, erlaube gläubigen Moslems seit 1985 die Bestattung in einfachen Särgen. Dies wird laut Scheerer auch von deutschen Bestattern umgesetzt. Hierzu wird ein sehr schlichter Sarg gezimmert, der diesen Ansprüchen gerecht wird.

In Hamburg, wo die Bestattung ohne Sarg seit 1995 möglich ist, ist die Nachfrage nach solch einer Beerdigung übrigens sehr gering. So gab es in den ersten drei Jahren nach Einführung der Bestimmungen überhaupt keine sarglose Beisetzung eines verstorbenen Moslems. Für das Jahr 2008 sind auf den Parkfriedhöfen Ohlsdorf und Öjendorf 59 Beisetzungen im Tuch und 144 islamische Sargbestattungen erfaßt. Auch Bestatter Scheerer kann ähnliches für seine Kunden bestätigen: „Wir haben zwei oder drei Muslime im Jahr, die von uns bestattet werden. Immer im Sarg. Die meisten sind so weit integriert, daß sie, wenn ich sie nach einer traditionellen Bestattung mit Waschung frage, mich eher verständnislos ansehen, weil sie das gar nicht kennen und nicht für nötig halten.“

Dennoch wird von der Ditib, der Islamischen Union der Anstalt für Religion der Türkei, immer wieder eine Lockerung der deutschen Bestattungsvorschriften gefordert. Nicht allen Moslems in Deutschland scheint dies so wichtig wie der staatlichen Organisation. So sagt auch der Neuköllner Moscheebesucher, daß zwar von der islamischen Gemeinde dieses Drängen auf Lockerung der Bestimmungen unterstützt werde, aber selbst wenn die sarglose Bestattung erlaubt würde, es bei den Muslimen kaum auf Interesse stoße. „Die meisten werden sich weiterhin in die Heimat bringen lassen. Erst wenn die Bindungen in die Heimat vollkommen weg sind, wird man sich hier bestatten lassen“, weiß der Mann zu berichten. „Aber das wird in den nächsten hundert Jahren nicht passieren. Nur arme Muslime, die Hartz IV bekommen oder wenig verdienen, werden das nutzen, weil sie es sich nicht leisten können, sich in der Heimat bestatten zu lassen.“

Wenn sich tatsächlich immer mehr Moslems in Deutschland begraben lassen, könnten die Friedhöfe schnell an ihre Kapazitätsgrenzen kommen. Sowohl für Muslime als auch für Juden ist ein Grab ein „Platz für die Ewigkeit“. Das heißt, daß diese Gräber in der Regel nicht, wie in Deutschland üblich, nach wenigen Jahrzehnten „wiederverwendet“ werden. Auch hier hilft zum Verständnis ein Blick in den Nahen Osten. Dort sind große Freiflächen vorhanden, die nicht kultiviert werden und somit als weite Gräberfelder genutzt werden können, ohne in Konflikt mit anderen Nutzungsinteressen zu geraten.

„So was gehört nicht mitten in die Stadt“

„Es ist ja nicht bloß, daß so ein muslimisches Grab möglichst ewig stehenbleiben soll, sondern überhaupt erstmal den richtigen Platz dafür zu finden“, sagt Bestattungsunternehmer Scheerer. Die Muslime müßten in „reiner“ Erde begraben werden, wo also vorher noch kein Toter und erst recht kein „Ungläubiger“ gelegen habe. „Versuchen Sie da mal in einem städtischen Gebiet was zu finden. Da muß man also extra Friedhöfe für anlegen, was auch wieder Geld und auch Platz kostet. In Berlin haben wir bis jetzt schon um die 180 Friedhöfe.“

Für den islamischen Friedhof am Columbiadamm in Berlin-Neukölln zeigt sich das Problem der „ewigen Gräber“ daran, daß die letzten Toten hier aus Platzgründen bereits 1989 bestattet wurden. Heute finden die Bestattungen auf dem Gelände des benachbarten Garnisonsfriedhofs statt. Nach Plänen des Berliner Senats könnte der moslemische Friedhof auf das Gelände des angrenzenden Flughafens Tempelhof  ausgeweitet werden. Der Moscheebesucher bleibt trotzdem skeptisch. „So was gehört nicht mitten in die Stadt“, sagt er. Weniger wichtig sind ihm indes nach Religionen getrennte Friedhöfe. „Jeder möchte zwar unter sich bleiben“, sagt der Moscheebesucher, „aber wirklich ein Problem damit haben nur die ganz streng Gläubigen und die sehen mit ihren langen Bärten aus wie Taliban.“

Foto: Islamisches Gräberfeld in Berlin-Neukölln: Bislang werden die meisten Moslems nach ihrem Tod in die Heimat überführt

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