© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

„Der Ein­fluß des Iran ist viel größer geworden“
Interview: Nach dem US-Abzug aus dem Irak beherrscht der Iran die Region. Shayan Arkian über die Frage, ob das Land zur Gefahr wird
Moritz Schwarz / Jens Boye Volquartz

Herr Arkian, die USA haben den Irak-Krieg nun für beendet erklärt und offiziell alle Kampftruppen abgezogen. Vielen Beobachtern gilt aber der Iran als der eigentliche Gewinner des Krieges.

Arkian: Zweifellos ist der Einfluß des Iran viel größer geworden. Und nicht nur im Irak, etwa weil viele irakische Oppositionelle zur Zeit Saddam Husseins im Iran saßen und heute die irakische Regierung bilden, sondern auch anderswo in der Region, wie im persischsprachigen Afghanistan. Der Iran spielt nicht nur die schiitische Karte, sondern bedient sich ganz pragmatisch auch seiner national-persischen Kulturmacht.

Ende August hat Teheran zudem in Bushehr den ersten Atomreaktor in Betrieb genommen sowie die erste iranische Langstreckenbombendrohne vorgestellt, die Präsident Ahmadinedschad als „Botschafter des Todes“ bezeichnet hat. Offensichtlich wird der Iran zur wachsenden Gefahr.

Arkian: Das vollständige Zitat Ahmadinedschads lautet, bevor die Drohne die „Botschaft des Todes“ trage, überbringe sie die Botschaft des Friedens, und ihre wahre Botschaft sei die Verhinderung von Konfrontationen. Er ging demnach auf die defensive Nutzung der Drohne ein, denn aus iranischer Sicht muß die klare militärische Überlegenheit der USA kompensiert werden. Unabhängig davon sollten wir in eigenem Interesse den Iran nicht nur als eine Bedrohung wahrnehmen, denn insbesondere in Afghanistan haben wir sehr starke gemeinsame Ziele.

Verhinderung von Konfrontation? Ahmadinedschad hat Israel massiv bedroht.

Arkian: Ahmadinedschad soll angeblich gedroht haben, Israel von der Landkarte zu tilgen. Allerdings verwendete er damals nur ein Zitat, nach dem das Besatzungsregime von Jerusalem „aus den Seiten der Geschichtsbücher entfernt“ werden müsse. Ferner wird die iranische Außen- und Sicherheitspolitik primär vom Staatsoberhaupt Ayatollah Khamenei, der auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, bestimmt.

Sie sind Co-Autor des Bändchens „Iran. Fakten gegen westliche Propaganda“.

Arkian: Das Bändchen versammelt ein halbes Dutzend Autoren, die sich jeweils verschiedenen Aspekten der Darstellung des Iran im Westen widmen und bestrebt sind, eine andere Perspektive in der Iran-Debatte aufzuzeigen.

Sie sind Iraner, handelt es sich bei dem Buch nicht selbst um Propaganda?

Arkian: Lesen Sie meinen Beitrag, ich hoffe, daß Sie dann die Plausibilität meiner Argumente erkennen. Übrigens habe ich weder bei der Wahl 2009 noch zuvor Ahmadinedschad gewählt.

Einen völlig unparteiischen Eindruck macht das Bändchen dennoch nicht.

Arkian: Die Wahrnehmung rührt vermutlich daher, daß darin die Mißstände im Iran nicht thematisiert werden. Es gibt derzeit kein Medium, das über den Iran vollständig berichtet, dazu ist das Land zu kontrastreich. Daher ist es wichtig, verschiedene Quellen und Standpunkte zu lesen, um sich sein eigenes Bild zu machen. Andererseits muß ich im Hinblick auf den Buchtitel betonen, daß sicherlich nicht hinter jeder ungenauen Darstellung des Iran in westlichen Medien propagandistische Absicht steckt, sondern oft sind die Gründe Unkenntnis oder Unverständnis. Westliche Journalisten haben oft schon keinen Zugang zu ihren eigenen konservativ-christlichen Mitmenschen, da kann man nicht erwarten, daß sie einen theologisch-schiitischen Staat wie den Iran verstehen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Arkian: Der Iran wird nicht selten als aggressiver Staat verstanden. Während des ersten Golfkriegs 1980 bis 1988 setzte Saddam Hussein Giftgas ein. Dennoch verzichtete der Iran darauf, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Denn nach den Fatwas der religiösen Führung ist der Einsatz von Massenvernichtungswaffen religionsgesetzlich verboten.

Mitte August schossen die Gerüchte über einen Luftangriff erneut ins Kraut. Schon seit Jahren wird darüber spekuliert – ist eine US-Intervention noch realistisch?

Arkian: Die US-Angriffe der letzten Jahrzehnte wurden gegen kriegsgeschädigte Staaten geführt, um aus innenpolitischen Gründen die eigene Verluste gering zu halten. Ein Angriff kann deshalb nur nach einer Zermürbung des Iran erfolgen. Da die Welt aber immer multipolarer wird und sie immer weniger harte Sanktionen gegen den Iran mitträgt, dürfte kein unmittelbarer Angriff bevorstehen. Wir im Westen wären gut beraten, wieder zur Realpolitik zu finden und dem Iran auf Augenhöhe zu begegnen. Auf diesem Weg können wir mehr gewinnen als verlieren.

 

Shayan R. Arkian, 28, ist Islamwissenschaftler und Iran-Experte. Der Publizist (www.irananders.de) ist deutscher Staatsbürger und lebt bei Frankfurt am Main.

„Iran. Fakten gegen westliche Propaganda“, Kai Homilius Verlag, Berlin 2009

Foto: Vorstellung der iranischen Drohne „Karar“ durch Präsident Ahmadinedschad (r.) Ende August

 

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