© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

Wasser für das Meer Zentralasiens
Kasachstan: Der OSZE-Vorsitz wird genutzt, um die Rettung des Aralsees und die Lösung der Wasserkonflikte voranzubringen
Michael Paulwitz

Noch vor einem halben Jahrhundert war er der viertgrößte Binnensee der Welt, heute steht sein Name für eine ökologische Katastrophe: Seit 1960 hat der Aralsee über 90 Prozent seiner Wassermenge und mehr als vier Fünftel seiner Fläche verloren. Der Aral wird daher auch auf der jetzt beginnenden 20. Weltwasserwoche in Stockholm ein Thema sein (www.siwi.org).

Kasachstan, das derzeit den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) innehat, stemmt sich mit Erfolg gegen das völlige Verschwinden des Aralsees und wirbt um internationale Zusammenarbeit zu seiner Rettung. Dabei sind nicht gegenläufige ökonomische Interessen bei potentiellen Partnern zu überwinden, sondern auch Verteilungskonflikte um die Wasserreserven Zentralasiens.

Der Öko-GAU am Aralsee ist ein Erbe der sowjetischen Wirtschaftspolitik. Um den wasserintensiven Baumwollanbau in den zentralasiatischen Steppen drastisch auszuweiten, wurden die Zuflüsse Amu-Darja und Syr-Darja so stark angezapft, daß sie den See nur noch als unstete Rinnsale erreichten. Der Aralsee teilte sich 1988 entlang der Wasserscheide der beiden Zuflüsse in den nördlichen „Kleinen Aral“ und den „Großen Aral“ im Süden, von dem inzwischen nur noch ein schmaler Weststreifen existiert. Die im letzten Jahrzehnt stark beschleunigte Austrocknung ließ bis 2009 vom Hauptteil des einst mächtigen zentralasiatischen „Meeres“ nur noch eine unwirtliche, sumpfige Salzsteppe übrig. Während Usbekistan, zu dem drei Viertel der einstigen Seefläche gehören, den Aralsee offenkundig aufgegeben hat, kämpft die kasachische Regierung um seine Rettung. 1999 wurde ein erster Damm auf der Wasserscheide errichtet, um wenigstens den Nord-Aral zu retten.

Lukrative Erdöl- und Erdgas-Bohrungen in der Salzwüste

Das Projekt, an dem sich seit einigen Jahren auch die Weltbank finanziell beteiligt, ist ein Erfolg: Die Hafenstadt Aralsk, zuletzt über hundert Kilometer vom zurückweichenden Ufer entfernt, kann auf die vollständige Rückkehr des wieder auf 20 Kilometer herangerückten „Meeres“ hoffen, wenn der Damm in den nächsten Jahren weiter aufgestockt wird. In die Städte geflüchtete Anwohner kehren wieder zurück, der Fischfang im Kleinen Aral ist wieder möglich, und das Klima hat sich spürbar verbessert.

Zwei Milliarden US-Dollar haben Kasachstan und seine Partner in den letzten sieben Jahren in die Rettung des Aralsees investiert. Die Ausbesserung maroder sowjetischer Bewässerungsanlagen auf kasachischem Gebiet hat den Syr-Darja wieder zum steten Strom anschwellen lassen. Weitere 50 Millionen Dollar hat die Weltbank bereits für das bis 2015 terminierte dritte Programm des „Exekutivkomitees des Internationalen Fonds für die Rettung des Aralsees“ (PBAM-3) zugesagt. Dessen Gründer, der kasachische Professor Sagit Ibatullin, betont die Bedeutung alternativer Industrien und Einkommensmöglichkeiten für die Bevölkerung der Aralregion.

Nach Angaben des kasachischen Umweltministers könnten durch Modernisierung der vom Amu-Darja gespeisten Bewässerungsanlagen Usbekistans und Turkmenistans die Wasserverluste bis um die Hälfte reduziert werden. Es komme auf die „multilaterale Zusammenarbeit zwischen zentralasiatischen Staaten“ an, betonte Nurgoli Aschimov kürzlich auf einer Aralsee-Tagung in Berlin. Die wird freilich durch unterschiedliche Interessenlagen erschwert: Kasachstans ärmere Nachbarn im Süden halten am intensiven Baumwollanbau fest, von dem viele Millionen Menschen abhängen; und in Usbekistan spekuliert man bereits auf lukrative Erdöl- und Erdgasbohrungen in der „Aral-Kum“, der neuentstandenen Salzwüste auf dem Boden des Aral.

Die vollständige Wiederherstellung des Großen Aralsees erscheint daher auf absehbare Zeit utopisch; Priorität hat zunächst die Stabilisierung des westlichen Restes und die von Kasachstan und Usbekistan betriebene Begrünung der Salzwüste mit Saxaul-Bäumen, den trockenheitsresistenten Gehölzen der zentralasiatischen Steppen. Das von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) unterstützte Projekt erfaßt indes erst gut ein Prozent der „Aral-Kum“-Fläche.

Die kasachische Regierung wird nicht müde, die fatalen Folgen des Sterbens des Aral für das Weltklima zu betonen. Auf den 50.000 Quadratkilometern trockengefallener Seefläche des Großen Aral liegen nach Zahlen des kasachischen Umweltministeriums hundert Millionen Tonnen giftigen Staubs, die von Sandstürmen in weite Entfernungen getragen werden; Salz vom Boden des Aral habe man bereits im Eis der Antarktis, Grönlands und der Alpengletscher gefunden. Auch deshalb hatte Kasachstan als OSZE-Vorsitzende das Thema auf die Tagesordnung des Wirtschafts- und Umweltforums gesetzt.

Das augenfällige Desinteresse der auf wirtschaftliche Fragen fixierten Konferenzpartner am Zusammenhang von Ökologie und internationaler Sicherheit hält man in Kasachstan für kurzsichtig. Schließlich ist die Rettung des Aral nicht nur klimapolitisch von Bedeutung, sondern auch mit den Verteilungskonflikten um die zentralasiatischen Wasserressourcen verknüpft. Eine Front verläuft zwischen den armen, aber wasserreichen Republiken Tadschikistan und Kirgistan, die durch den forcierten Aufbau von Wasserkraftwerken ihre Energieprobleme lösen und sogar selbst zu Stromexporteuren werden wollen, und auf der anderen Seite Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan, die um die Wasserzufuhr des Amu-Darja und Syr-Darja fürchten, sollten die Nachbarn im Süden ihre ehrgeizigen Pläne umsetzen.

Und das ist nicht die einzige Konfliktlinie. Kasachstan, das mit einiger Sorge das russische Engagement an tadschikischen und kirgisischen Staudammprojekten und das chinesische Interesse an Stromlieferungen aus Kirgistan beobachtet hat, warnt eindringlich vor Chinas Absicht, die Wasserentnahmen aus den grenzüberschreitenden Strömen Ili und Irtysch zu vervielfachen. Das könne fatale Folgen für Wirtschaft und Umwelt in Kasachstan und Rußland haben, signalisiert die Regierung in Astana.

Foto: Gestrandetes Schiff auf dem ausgetrockneten Aralsee: Die Nachbarländer im Süden halten am intensiven Baumwollanbau fest, von dem viele Millionen Menschen abhängen

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen