© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

Ein Gedenktag, der Aufbruch fordert
Wirtschaftsgeschichte: Vor 65 Jahren begann die Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone
Manfred Graf von Schwerin

Am 2. September 1945 verkündete im düsteren Saal des Gasthofs „Zum Adler“ in Kyritz der KPD-Vorsitzende Wilhelm Pieck die „Demokratische Bodenreform“. Dies war schon fast ein Endpunkt der Verfolgung und Vertreibung der ersten Gruppe der und von den Kommunisten besonders gefürchteten Feinde, der von ihnen so genannten „Junker und Feudalherren“. Grauenhaftes erdulden mußten besonders Landwirte und Großbauern. Unzählige wurden mit ihren Familien direkt beim Einrücken der Roten Armee oder kurz danach schlimmsten Repressalien ausgeliefert. Sofern sie nicht in letzter Stunde fliehen konnten, drohte ihnen – häufig durch Neid und Denunziation seitens deutscher Mittäter ausgelöst – Verfolgung, Mißhandlung und oft genug der Tod durch Verhungern oder Krankheit in einem der elf stalinistischen Lager, so in Fünfeichen, Bautzen, Buchenwald, Mühlberg oder Torgau.

Ausschaltung und Liquidierung

Was Pieck als Stalins erster Statthalter für die Sowjetisierung des damaligen Mitteldeutschland im Prignitz-Städtchen Kyritz auf den Weg brachte, war daher aus der Sicht der Kommunisten eine Art Endlösung im Klassenkampf. Schon am 11. Juni 1945 hatte sich die KPD in einem Aufruf für die Enteignung des „Großgrundbesitzes“ ausgesprochen, dies aber noch mit der Landbeschaffung für landarme Bauern und Vertriebene (offiziell „Umsiedler“ genannt) begründet, vor allem wohl, um die Zustimmung der anderen „antifaschistischen“ Parteien (SPD, CDU, LDP) zu erhalten. In der Rede Piecks wurde das Ziel der Umwälzung auf dem Lande dann deutlicher: „Unschädlich machen“ heißt es daher gleich mehrfach, wenn verallgemeinernd gegen „Junker, Kriegstreiber, Kriegsschuldige“ gehetzt wird und – so wörtlich – von „Verbrechergesindel“ die Rede ist, mit dem nun „abzurechnen“ sei. „Rottet dieses Unkraut aus“, forderte bald danach ein großes Propagandaplakat.

Allerdings kann der KPD-Chef und spätere Präsident des „ersten Arbeiter- und Bauernstaates in der deutschen Geschichte“ in Kyritz nicht nur die – doch zahlenmäßig eher wenigen – noch zu Hause überlebenden Gutsbesitzer gemeint haben, wenn er als Scharfmacher behauptete: „In jedem Dorf, in jeder Gemeinde sitzt noch eine ganze Anzahl von ihnen.“ Und Pieck weiter: „Wir dürfen ihnen keine Gelegenheit geben, … ihre Organisationen, Gruppen oder Verbände wieder aufzubauen“, so der KPD-Chef. „Jeder einzelne muß die größte Aufmerksamkeit auf dieses Verbrechergesindel richten.“ Es ging Pieck, dem späteren SED-Chef Walter Ulbricht und der KPD-Leitung schon hier um die Ausschaltung und Liquidierung aller derer, die dem Ziel der „großen gesellschaftlichen Umgestaltung“ hätten im Wege stehen können.

Die „Umsetzung“ im Geist von Kyritz erfolgte prompt: „Schnellste Durchführung“ hatte Pieck in seiner Propagandarede angekündigt. So wurde schon drei Wochen später, am 23. September auf dem Gut Plänitz nahe Kyritz mit angereisten KPD-Führern vor den Dorfbewohnern die Konfiskation gefeiert und eine Neuverteilung des Landes mit Besitz-Urkunden für die neuen Siedler vorgeführt. 1952 wurde dann die Zwangskollektivierung der DDR-Landwirtschaft beschlossen. Die verharmlosend und beschönigend als „Demokratische Bodenreform“ getarnte Landwegnahme war also alsbald entlarvt. Die Auswirkungen sind aber vielfach bis heute spürbar.

Ein Beispiel sind die Abertausenden von Neusiedlern. Deren ab 1945 entstandenen Eigentums-Sekundärrechte waren ihnen von den 1945 vertriebenen „Alteigentümern“ mit ihren Eigentums-Primärrechten nie streitig gemacht worden. Unzähligen von ihnen wurden aber nicht nur zur DDR-Zeit, sondern besonders nach der friedlichen Revolution von 1989/90 ihre Siedlerstellen von der Bundesrepublik entschädigungslos weggenommen. Wenn dennoch bis heute, 65 Jahre nach dem „Tag von Kyritz “ und im 20. Jahr nach der deutschen Wiedervereinigung von interessierter politischer Seite die „Bodenreform“ als besonderer Pluspunkt in der Nachkriegsgeschichte herausgestellt wird, so ist dies mehr als nur die Mißachtung des Schicksals Tausender unschuldiger Opfer, wie sie in Totenlisten der Lager stehen oder aus den für die Aufarbeitung gesammelten Zeitzeugnissen und Beweisdokumenten zu ersehen sind. Schließlich wurden die meisten von ihnen Opfer einer Verfolgung unter schwersten und völlig unberechtigten Strafvorwürfen. Ihr „Verbrechen“ war die Zugehörigkeit zu einer „feindlichen Klasse“.

Gesetze gebieten die rechtsstaatliche Aufarbeitung

Nachdem inzwischen die Forschungsergebnisse von Historikern wie Rechts- und Politikwissenschaftlern immer deutlicher den Strafverfolgungs-Charakter der Maßnahmen nach 1945 nachgewiesen und herausgestellt haben – es geht also gar nicht mehr „nur“ um Enteignungen –, kann das offenbar „politisch nicht Gewollte“, also die Beibehaltung von Strafen und deren strafrechtlichen Folgen als schweres Unrecht von Politik und Gerichten nicht länger betrieben bzw. hingenommen werden. Und was viele nicht wußten: Die vorhandenen Gesetze gebieten die rechtsstaatliche Aufarbeitung, es bedarf gar keiner neuen Regelungen, denn diese werden bis heute, weil Klärung als unerwünscht gilt, durch falsche Anwendung ausgehebelt.

Auch angesichts der zu erwartenden Entwicklung darf die Schönfärberei der Ereignisse zum Zwecke der Relativierung der SED-Diktatur im Gefolge stalinistischen Terrors nicht schweigend mit angesehen und länger geduldet werden. Es ist an der Zeit, deutlicher Front zu machen gegen die Tendenz zur nachträglichen Weichspülung der SED-Diktatur und deren Fortwirkung, abzulesen gesellschaftlich und wirtschaftlich an der Beseitigung der bürgerlichen Schicht und des Mittelstands. Ernsthaft und ohne Tabu muß auch die Frage gestellt werden, welche Konsequenzen zum Beispiel die Zementierung der nach 1990 im ländlichen Raum der jungen Länder weiter bestehenden Agrar- und damit Einflußstrukturen nach sich zieht.

Insofern sollte und kann die Erinnerung an 1945 ein neues Signal auslösen für ganz Deutschland: endlich mit der echten Würdigung der Verfolgungen aller Opfer kommunistischen Klassenkampfes zu beginnen und die gebotene, aber bis heute meist verweigerte Rehabilitierung der Benachteiligten konkret ins Werk zu setzen. Ein großes Stück des Weges hin zu Rechtsfrieden und Aufbau Ost kann so bewältigt werden.

Manfred Graf von Schwerin ist Bundesvorsitzender der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum (ARE). Am 4. September findet in Kyritz um 15 Uhr eine Gedenkfeier am Bodenreformdenkmal in der Perleberger Straße statt. Um 16.30 Uhr gibt es eine Podiumsdiskussion im Herrenhaus Kampehl in Neustadt-Dosse. Anmeldung unter Tel.: 03 39 70 / 5 18 75.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen